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Sonntag, September 8, 2024
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    Frauen im Fußball: Das Patriarchat spielt immer noch mit

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    Heute Abend steht das EM-Finale vor der Tür und für einige bedeutet das einen angenehmen Abend mit den Jungs und für die anderen einen weiteren Abend als Frau unter gröhlenden und besoffenen Sexisten, die einen in der Straßenbahn oder auf dem Rückweg von der Arbeit belästigen. – Drei Frauen berichten, was es für sie bedeutet, als Frau Fußball zu gucken, zu spielen oder im Amateurfußball zu arbeiten.

    Als Frau im Stadion

    Vor einiger Zeit bin ich mit der Bahn zu dem Fußballspiel meines Herzensvereins gefahren. Ich sitze in der Bahn, unauffällig und in „Zivil“ gekleidet, um dort nicht schon „ins Visier“ gegnerischer Fußballfans zu geraten. Etwas weiter weg von mir im gleichen Abteil sitzen und stehen betrunkene Fußballfans, die mit ihrer Lautstärke jedes Gespräch übertönten und dabei auch noch kundgeben, was sie von Frauen halten. Über eine Lautsprecherbox werden sexistische Malle-Lieder ausgepackt und es wird lauthals dazu gegrölt. Unbeteiligte Menschen, die freundlich darum bitten, das Ganze zu unterlassen, werden teils mit Frauen-, homo- und transfeindlichen Sprüchen angepöbelt. Ich drehe die Musik auf meinen Kopfhörern lauter, aber es hilft nichts – meine Stimmung ist schon ohne den Grottenkick meines Vereins im Keller.

    In der Stadt und ihrem Bahnhof angekommen, versuche ich so gut es geht, den betrunkenen Fans aus dem Weg zu gehen. Ich setzte mich in andere Busse und Straßenbahnen oder gehe einfach direkt zum Stadion – all diese Optionen sind möglich, doch irgendwelche unangenehmen männlichen Fußballfans wird es dabei eigentlich auch so gut wie immer geben. Beim Hineingehen ins Stadion sehe ich mich wie immer instinktiv nach den „angenehmeren“ Ultras um, weshalb ich auch bei Heimspielen immer in dem gleichen Block sitze. So kann ich präventiv sichergehen, nicht neben den wirklich rechten oder „unpolitischen“ Ultras zu stehen. Aber trotzdem sind Ultras ja nicht die Einzigen, die patriarchale Sprache und Verhaltensmuster verinnerlicht haben. Der Fußball und seine Stadien und Fankurven sind natürlich auch immer ein Spiegelbild der jeweiligen Stadt und deren Gesellschaft, und das merkt man dem Ganzen auch an. Bei hitzigen Situationen auf dem Spielfeld werden auf den Rängen schnell Sprüche und Beleidigungen ausgepackt, die weit unter der Gürtellinie liegen und im „freundlichsten“ Fall „nur“ die angeblichen Berufe der jeweiligen Mutter thematisieren.

    Die Stimmung im Block ist super. Mein Verein führt zur Überraschung aller mit 2:0 und eigentlich möchte ich mich sehr darüber freuen. Doch trotzdem ist meine Stimmung getrübt – Grund dafür ist die Hand an meinem Po beim zweiten Torjubel. „Es ist doch nur ein kleiner Grapscher, kein Grund zur Panik”, könnte man da sagen. Dass das nicht so ist, beweist der Fall einer 19-jährigen Frau, die im Frühjahr 2018 mit anderen Fans von Borussia Mönchengladbach im Sonderzug auf dem Rückweg zurück aus München unterwegs war und von einem 30-Jährigen vergewaltigt wurde.

    Klar, es gibt auch Ultras, die sich progressiver geben und Sexismus und sexualisierte Gewalt in der eigenen Kurve zumindest thematisieren. Das Beispiel des Fußballclubs „Sankt Pauli” aus Hamburg zeigt aber, dass das Patriarchat auch die Fanszene von vermeintlich progressiven Clubs fest im Griff hat: Der Ultra-Gruppe „Ultrá Sankt Pauli” (USP), die sich laut eigener Aussage gegen Sexismus, Rassismus, Homophobie und faschistischen Aktivitäten engagierte, wurde 2021 vorgeworfen, seinerseits sexuell übergriffig gegenüber Frauen und Minderjährigen gewesen zu sein. Die Sankt Pauli Ultras äußerten sich daraufhin in einem Statement zu den Vorwürfen, die sie als „beschissene Dinge, die mitunter passieren“ bezeichneten. Die geschädigten Frauen forderten daraufhin in ihrem öffentlichen Vorwurf, die Täter aus der Ultra-Gruppe auszuschließen. Diese Forderung könne man nicht erfüllen, hieß es jedoch in dem Statement der Ultras. Allerdings wolle man das „Bewusstsein für übergriffiges Verhalten und Ausnutzen von Machtstrukturen schärfen“.

    EM in Deutschland: Mehr Gewalt gegen Frauen und Mädchen

    Als Frau auf dem Feld

    Mit 22 habe ich angefangen, in einem Hobby-Team mitzuspielen, in dem zu der Zeit außer mir nur Männer spielten. Beim Training waren wir vier Teams, die in Trainingsspielen gegeneinander spielten, und oft kam es zu personellen Wechseln, sodass viele meiner Gegenspieler mich nicht kannten. Als ich die ersten Male mitgespielt habe, ist mir aufgefallen, dass mir kaum zugepasst wurde. Selbst wenn ich ganz offensichtlich freistand und ein Pass an mir vorbei deutlich mehr Risiko bedeutet hätte, wurde mir der Ball einfach nicht zugespielt. An meinem Umgang mit dem Ball konnte es nicht liegen – ich hatte über neun Jahre im Verein gespielt, und auch in den letzten Jahren hatte ich regelmäßig gekickt. Woran lag es also dann? Mit der Zeit fiel mir auf, dass mir nur dann nicht zugepasst wurde, wenn der Spieler, der derzeit den Ball hatte, mich nicht kannte. Meine Mitspieler gingen also automatisch davon aus, dass ihre weibliche Mitspielerin den Ball „verdödeln” würde – bei neuen männlichen Mitspielern, die dazu kamen, wurde jedoch nicht direkt davon ausgegangen, dass diese noch nie einen Ball gesehen hätten.

    Eine weitere Erfahrung, die sich wöchentlich wiederholte, war, dass ich entweder in der Halbzeit des Trainingsspiels oder danach von einem mir bisher unbekannten Mitspieler angesprochen wurde, ob ich denn schon mal Fußball gespielt hätte. Meistens wurde daraufhin anerkennend festgestellt, dass ich ja tatsächlich Fußball spielen konnte. Wenn ich darauf hinwies, dass diese Frage absolut absurd sei, weil doch keine Person – oder zumindest keine Frau, die noch nie Fußball gespielt hat –zu einem Trainingsspiel mit 22 ausgewachsenen Sportstudenten und Ex-Kreisligaspielern kommen würde, fühlte sich mein Gegenüber direkt wieder angegriffen: Es habe doch nichts mit Sexismus zu tun, mal zu fragen, ob man schon mal Fußball gespielt habe. Und auch ein Kompliment könne doch gar nicht sexistisch sein.

    Wer in der letzten Zeit mal Männer beim (Hobby-)Männerfußball (hört sich absurd an, oder? Aber „Frauenfußball“ zu sagen, ist normal?) beobachtet hat, kann mir sicherlich zustimmen, dass das Ganze eine Szene aus „Unsere Erde“ erinnert, in der aufgepumpte Gorillas miteinander um die ultimative Männlichkeit wetteifern. Bei dem ersten Sonnenstrahl wird das T-Shirt über den Kopf gezogen, bei Pausen vom Laufen werden die Hosenbeine hochgekrempelt, damit am besten der gesamte muskulöse Oberschenkel zu sehen ist und noch mehr Körperteile zu erahnen sind, und nach jedem Sprint muss einmal herzhaft auf den Rasen gespuckt werden. Das gelegentliche „Auf geht‘s, Jungs!“ oder „Weiter so, Männer!“ darf natürlich nicht fehlen – besonders nicht, wenn auch eine Frau mitspielt.

    Auch ist es im Männerfußball mit Frau(en) Sitte, stehen zu bleiben, wenn die Frau hinfällt oder einen Ball abbekommt. Dabei sind es sowohl im Hobby- als auch im Profifußball Männer, die sich bei jeder kleinsten Berührung dreimal überschlagen und dann zehn Minuten mit einem schmerzverzerrten Gesichtsausdruck auf dem Rasen wälzen. Das hat auch eine Studie aus dem Jahr 2011 (ja, das ist zugegebenermaßen sehr lange her, aber wer in der letzten Zeit mal ein EM-Spiel geguckt hat, wird mir zustimmen) ergeben: Männer brauchen im Durchschnitt 30 Sekunden länger als Frauen, um wieder aufzustehen.

    Aber damit wir wirklich im deutschen Männerfußball auf „Hobby-Niveau” angekommen sind, muss eine Frau natürlich noch gehörig sexualisiert werden. Dazu gehört selbstverständlich auch das wöchentliche Nach-der-Telefonnummer-Fragen, aber auch das gelegentliche Körper-Kommentieren („Du bist aber schlank“) oder Neue-Haarfarbe-Bewerten („Vorher hast Du mir aber besser gefallen“). Das kommt dir nicht bekannt vor? Herzlichen Glückwunsch, du bist wahrscheinlich ein Mann.

    Fußball-EM: Der Nationalismus der anderen

    Als Frau im Vereinsheim

    Seit gut einem halben Jahr arbeite ich bei meinem örtlichen Fußballverein. Am Anfang habe ich mich gut aufgenommen und in meiner Arbeit als Betreuerin wertgeschätzt gefühlt. Doch gerade bei Siegen fließt sehr viel Alkohol, und nach Spielen kommt es immer wieder zu sexuellen Übergriffen.

    Ich bin die einzige Frau im Verein und so gibt es gar keinen Raum, um über übergriffiges Verhalten der Spieler zu sprechen. Ungewollte Berührungen werden aus der Chefetage weg gelächelt, und mir wurde sogar schon einmal mit dem Rauswurf gedroht, als ich über solche Vorfälle sprechen wollte. Natürlich hätte ich immer gehen können, aber für mein Traum-FSJ bin ich auf das Empfehlungsschreiben angewiesen. Und sowieso: Warum müssen die Frauen das Feld räumen, wenn sich Männer patriarchal verhalten?

    Bei Auswärtsfahrten spitzt sich die Situation oft zu: Die Männer in meinem Verein sind es nicht gewohnt, dass eine Frau fußballerisch etwas zu sagen hat. Oft werde ich gefragt, „zu wem ich denn gehöre“, wenn ich über fußballerische Geschehnisse diskutiere. Damit ist natürlich eine Beziehung mit, bzw. der „Besitz” eines Mannes gemeint. Denn für viele Amateurfußballer scheint es abwegig, dass eine Frau einfach um des Fußballs willen im Verein arbeiten möchte. Der Amateurfußball ist also immer noch durchzogen von patriarchalem Denken und sexistischen Vorurteilen – und es fehlt an den Menschen, die etwas ändern wollen.

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