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Dienstag, September 17, 2024
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    Rezession oder nicht – uns Arbeiter:innen geht es trotzdem schlecht

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    Spätestens seit dem kurzzeitigen Börsencrash am „Schwarzen Montag“ herrscht unter Investor:innen die Angst vor einer Rezession. Nun deuten die neuesten Zahlen der US-amerikanischen Wirtschaft allerdings darauf hin, dass diese wohl vorerst ausbleibt. Können wir nun beruhigt aufatmen? – Ein Kommentar von Mohannad Lamees.

    Angeschlagen”, „geschockt”, „fragil”, „anfällig” – wer am 5. August die Nachrichten verfolgte und einigen Wirtschaftsexpert:innen bei der Beschreibung der wirtschaftlichen Lage und ihrer Gemütszustände zuhörte, konnte schnell den Eindruck bekommen, dass ein globaler Börsencrash kurz bevorstünde. Tatsächlich sorgte die Angst vor einer Rezession in den USA für ein weltweites „Börsenbebenund, unter anderem – einen massiven Kurseinbruch in Japan.

    In den USA selbst ist es unter anderem der schwächelnde Arbeitsmarkt, der Anleger:innen zu einem massiven Ausverkauf wegen eines befürchteten Wirtschaftsabsturzes drängte. Die japanische Börse war davon insofern besonders stark betroffen, als mit dem günstigen Yen – gestützt durch die in Japan traditionelle Null-Zins-Politik – japanische Gelder immer wieder in den USA investiert werden. Aufgrund einer Leitzins-Anhebung der japanischen Notenbank zuletzt schienen diese Rechnungen aber nicht länger aufzugehen.

    Börsencrash: Neue Krise oder Kurskorrektur?

    In den Tagen nach dem „Manic Monday” erholten sich zwar sowohl die japanische als auch viele andere Börsen überraschend gut: Unter anderem stabilisierten sich der japanische Nikkei-Index, aber auch der US-amerikanische S&P Index und der DAX. Trotzdem beäugen Anleger:innen weiterhin die Entwicklungen in der US-amerikanischen Wirtschaft besorgt.

    Klassische Indikatoren deuten schon länger auf Rezession

    Tatsächlich deuten einige Indikatoren bereits länger darauf hin, dass die USA in eine Rezession abrutschen. Von Rezessionen sprechen bürgerlichen Ökonom:innen grundsätzlich dann, wenn die Wirtschaft eines Landes zwei Jahresquartale hintereinander schrumpft. Im Kapitalismus kommt es gesetzmäßig immer wieder zu solchen wirtschaftlichen Krisen. Bürgerliche Wirtschaftler:innen versuchen deshalb, möglichst präzise vorauszusagen, wann es wieder zu einer Krise kommt, um diese besser – das heißt im Sinne der Kapitalist:innen – kontrollieren zu können.

    Zuletzt war in den USA immer wieder von der „inversen Zinsstruktur” als einem Hauptanzeichen für eine kommende Wirtschaftskrise die Rede. In der Fachsprache der Banker:innen und Anleger:innen wird mit diesem Begriff umrissen, dass kurzfristige Anlagen höhere Zinsen als längerfristige Anlagen erhalten. Besonders relevant ist das in Bezug auf Staatsanleihen wie den sogenannten „Treasury bonds“ in den USA: Dort weisen seit einiger Zeit Wertpapiere mit deutlich kürzerer Laufzeit eine höhere Rendite auf, als Wertpapiere mit einer Laufzeit von mehreren Jahren.

    Häufig ist der Grund für eine solche Entwicklung, dass Anleger:innen die Sicherheit von kurzfristigen Investitionen anzweifeln, beispielsweise weil sie eine Rezession erwarten. Dementsprechend erhöht sich die Nachfrage nach langfristigen Anlagen, was wiederum zu niedrigeren Zinsen bei eben diesen führt. Genau genommen ist dies jedoch kein wissenschaftlicher Beleg für eine kommende Krise, sondern vielmehr ein Ausdruck der Nervosität der Anleger:innen und Investor:innen.

    Ohnehin zeigen sowohl der „Manic Monday” im Besonderen, aber auch die Diskussion der Rezessionangst in den USA ganz allgemein sehr deutlich auf, dass an den Börsen spekuliert wird: Im Grunde genommen werden dauerhaft Wetten auf die wirtschaftlichen Entwicklungen abgeschlossen – dabei können Kapitalist:innen mit ihren Einsätzen je nach ihrer Strategie sowohl in Krisenzeiten als auch während eines allgemeinen Aufschwungs große Gewinne einfahren.

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    Entscheidet ein zehntel Prozent über die Krisenhaftigkeit?

    Aktuell behaupten nun einige Expert:innen wieder, dass die USA überhaupt nicht in eine Rezession rutschen würden und die Angst unbegründet sei. In den bürgerlichen Kommentaren vermischen sich dabei oft richtige Argumente und das überall durchschimmernde Interesse der Kapitalist:innen.

    Ein Beispiel: Nachdem vor wenigen Tagen die aufgeregt erwarteten jüngsten Inflationsraten für die US-Wirtschaft veröffentlicht wurden, zeigten sich viele Beobachter:innen überrascht: Die Rate war mit 2,9 Prozent Inflation um 0,1 Prozent geringer ausgefallen als erwartet, mit der Senkung von einem zehntel Prozentpunkt wurde sogar der allgemeine Trend der sinkenden Inflationsrate in den USA weiter bestätigt – so weit, so gut.

    Genau deshalb warten Anleger:innen auch gespannt auf die angekündigte Senkung des Leitzinses der US-Notenbank, der Federal Reserve. Mit einer Senkung des Leitzinses würde sie ihren jahrelangen Kurs im Kampf gegen die hohen Inflationsraten mit hohen Leitzinsen ändern, Kredite würden wieder billiger werden, die Konjunktur könnte wieder mehr angekurbelt werden. Mit dieser Zinswende würde die US-Notenbank damit ihren jahrelangen Balance-Akt fortführen können und versuchen, den Kampf gegen Inflation und die Konjunktur weiterhin miteinander zu vereinen.

    Auch der Arbeitsmarkt scheint sich diesem Trend anzuschließen: Laut den neuesten Zahlen beantragten in der vergangenen Woche 227.000 US-Amerikaner:innen Arbeitslosengeld, 7.000 weniger als in der Woche zuvor. Auch der Durchschnitt über vier Wochen ist um 4.500 Anträge gesunken.

    Ein gutes Zeichen für Arbeiter:innen?

    Ist also alles gut in den USA? Womöglich lassen sich die Zahlen für die Kapitalist:innen derzeit tatsächlich so verstehen, dass die wirtschaftliche Entwicklung stabilisiert ist. Doch nur, weil die Tendenzen zum Teil nach oben zeigen und einige zehntel Prozentpunkte den Kapitalist:innen und Großanleger:innen die Ängste nehmen, heißt das für die überwältigende Mehrheit in den USA und auf der ganzen Welt nicht, dass demnächst ein wirtschaftlicher Aufschwung uns allen ein gutes Leben bescheren wird.

    Nein, wenn Expert:innen derzeit das Märchen von den kommenden „roaring 2020s” und einer wirtschaftlichen Blüte erzählen, dann muss uns klar sein, dass eine solche Blütezeit nur deshalb für eine kleine Anzahl von Kapitalist:innen entstehen kann, weil der Großteil der Menschheit ausgebeutet und in Kriegen verheizt wird.

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    Der Kapitalismus ist das wahre Problem

    In den USA ist – als leise Kritik an den herrschende Verhältnissen und der Zahlenklauberei der Kapitalist:innen – deswegen der Begriff der „Silent recession” geprägt worden: denn auch wenn die offiziellen Zahlen nicht auf eine Rezession hindeuten, so spüren die Arbeiter:innen doch deutlich, dass es ihnen insgesamt immer schlechter geht. Wenn wir ehrlich sind, brauchen wir dafür aber keinen eigenen Begriff: Uns geht es schlecht, nicht weil wir in einer kurzzeitigen „Silent recession”, sondern weil wir im Kapitalismus leben.

    Und um das zu ändern, brauchen wir mehr als ein paar sich verändernde Prozentpunkte in Wirtschaftsstatistiken. Denn, wenn es uns Arbeiter:innen langfristig gut gehen soll, müssen wir das gesamte System, das für unser Leid sorgt, bekämpfen und an seine Stelle ein neues setzen: Ein System, das nicht die Profite einiger weniger Kapitalist:innen als oberste Priorität sieht, sondern die Interessen der gesamten werktätigen Bevölkerung.

    Immerhin: Wenn wir es schaffen, uns als Arbeiter:innen und Unterdrückte zusammenzuschließen und uns im Kampf gegen den Kapitalismus und für den Sozialismus zu vereinen, dann werden wir bald in den bürgerlichen Wirtschaftsblättern von „Revolutionsängsten” an den Börsen lesen.

    • Seit 2022 bei Perspektive Online, Teil der Print-Redaktion. Schwerpunkte sind bürgerliche Doppelmoral sowie Klassenkämpfe in Deutschland und auf der ganzen Welt. Liebt Spaziergänge an der Elbe.

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