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Dienstag, September 17, 2024
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    „Die Flüchtlinge haben einen echt krassen Widerstand geleistet“ – Was wir aus der Flüchtlingsbewegung 2015/16 lernen können

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    Im Jahr 2015 befand sich die Fluchtbewegung durch imperialistische Kriege und Krisen auf einem Höhepunkt. Die Unterbringung von Geflüchteten war extrem behelfsmäßig und rassistische Übergriffe waren an der Tagesordnung. Dagegen organisierte sich das Bündnis „Fluchtursachen Bekämpfen” als Teil der Flüchtlingsbewegung. – Ein Interview mit der Mitbegründerin Elif von SKB.

    Kannst du kurz etwas über dich erzählen?

    Hallo, ich bin Elif. Ich lebe seit über 20 Jahren in Nürnberg und bin seit Jahren politisch aktiv. Ich bin bei einer internationalen, migrantischen Frauenorganisation SKB (Sosyalist Kadınlar Birliği), von der ich auch Mitgründerin bin.

    Was war der Ausgangspunkt von „Fluchtursachen Bekämpfen”?

    Wir haben 2015 angefangen, uns für diese Kampagne mit Genoss:innen von unterschiedlichen Organisationen auszutauschen. 2015 gab es eine neue Wende in der Fluchtbewegung: Über 60 Millionen Flüchtlinge waren zu dieser Zeit auf der Flucht, unter anderem wegen des Kriegs in Syrien und um Rojava. Aber gleichzeitig gab es auch in vielen afrikanischen Ländern Unruhen. Aus Äthiopien gab es mehrere große Flüchtlingswellen. Über das Mittelmeer und Westasien kamen zu der Zeit viele Geflüchtete. Ich habe damals im Flüchtlingsbereich gearbeitet, wo ich für die geflüchteten Frauen und Kinder zuständig war.

    In der Zeit haben wir ganz genau gesehen, was für eine politische Auseinandersetzung auf Deutschland langsam zukommt. Denn in der Zeit, als die Flüchtlingswelle kam, gab es mehr rassistische Hetze gegen Geflüchtete und Migrant:innen, auch direkte Angriffe sind mehr geworden. Das ging auch von der Regierung aus. Alles sollte die Schuld von den Migrant:innen sein – zum Beispiel Gewalt gegen Frauen. Sie haben sofort dieses Thema gegen migrantische Männer ausgenutzt und Diskussionen über gute Migrant:innen und schlechte Migrant:innen aufgemacht.

    Weil wir schon lange politisch aktiv waren und ich auch im Flüchtlingsbereich gearbeitet habe, haben wir gesagt, wir müssen aktiv werden und aufklären über die Hintergründe: Warum müssen die Menschen ihre Länder verlassen und herkommen? Warum verteidigen wir weiter das Asylrecht und die Menschen?

    Die Fragen standen offen im politischen Raum. Da sind wir mit den Genoss:innen von Karawane, der Organisierten Autonomie, den Prolos, Flüchtlingsinitiativen und dem Frauencafé zusammen gekommen. Wir haben uns gesagt: wir müssen eine Kampagne initiieren, in der über die Flucht-Ursachen geredet und das Bewusstsein darüber entwickelt wird.

    Wir haben bundesweit Einladungen verschickt und konnten in allen möglichen Städten Kontakte aufbauen. Besonders haben wir Flüchtlinge kontaktiert. Das war uns wichtig, denn die waren ja die Hauptsubjekte im Kampf, die das selbst in die Hand nehmen sollten und mit denen wir uns gemeinsam und solidarisch organisierten.

    Aktuell gibt es auch wieder einen Anstieg der Hetze gegen Geflüchtete und Migrant:innen. Kannst du sagen, wie das damals ausgesehen hat?

    Rückbetrachtet kann man sagen, dass genau das auf uns zugekommen ist, worüber wir damals schon viel gesprochen haben: Da ist das Erstarken des Faschismus. Damals gab es erstmals Pegida und die Identitäre Bewegung. Gleichzeitig gab es eine Wirtschaftskrise, und das alles gemeinsam hat die Stimmung verändert – was im kapitalistischen System immer passieren wird. Heute ist das Ganze schon weiter fortgeschritten. Dieser ganze Rechtsruck ist ein Ergebnis dieser imperialistischen Kriege und Krisen. Und natürlich wird die Hetze gezielt genutzt. Alle Probleme werden auf Migrant:innen geschoben. Damit wird natürlich die Arbeiter:innenklasse gespalten. Das Gleiche passiert auch jetzt gerade. Es gibt wieder eine ökonomische Krise und die Erzählungen sind wieder die Gleichen. Dabei sind es Probleme, die durch den Kapitalismus und das Patriarchat verursacht werden.

    Dieser Kampf hat uns damals gezeigt, dass ein anderer Weg möglich ist. Dass man gemeinsam mit Migrant:innen und Flüchtlingen Basisarbeit durchführen muss – was genau heute leider fehlt. Wenn es so weiter geht mit der Spaltung der Gesellschaft und sich nicht von unten organisiert wird dagegen, dann sehe ich bei den Ergebnissen der letzten Landtagswahlen im Osten die Zukunft von Deutschland.

    Von unten organisiert“ ist genau das richtige Stichwort. Wie genau habt ihr die Kampagne aufgezogen? Welche Aktionen habt ihr gemacht?

    Wir haben ein breites Bündnis organisiert. Worauf wir besonders geachtet haben waren die Geflüchteten und Migrant:innen, die wichtige Akteur:innen in der Kampagne sind. Dafür haben wir viel Propaganda gemacht. Wir haben Flyer und Videos auf acht Sprachen gemacht und Veranstaltungen organisiert, auf die wir aktiv Geflüchtete und Akteure der Flüchtlingsbewegung eingeladen haben.

    In der Zeit gab es eine Flüchtlingsbewegung. Es war nicht so, dass nur wir da waren. Wir haben versucht die Bewegung mit einzubeziehen, was auch gelungen ist. In der Zeit gab es auch diese großen Flüchtlingsunterkünfte, sogenannte „Ankerzentren”. Die sind abgeschottet und außerhalb der Städte. Die Menschen sind dort monatelang isoliert untergebracht. Gegen diese Art der Unterbringung gab es zu der Zeit Aktionen, die wir mit unserer Kampagne zusammen geführt haben. Wir hatten ein Logo, das wir bei allen Aktivitäten benutzt haben, und dann haben wir diesen gemeinsamen Ausdruck auf die Straße gebracht.

    Was auch sehr gut war, war unsere Mobilisierung. Wir waren monatelang jede Woche in den Heimen, haben Flyer verteilt und haben von frühmorgens bis abends 19 Uhr eine Tour gemacht und uns mit den Leuten unterhalten. Wir hatten immer Übersetzer:innen für verschiedene Sprachen dabei, um uns mit den Leuten zu unterhalten. Die Menschen haben uns sehr herzlich wahrgenommen. Egal wo wir hingegangen sind, haben wir Essen und Tee gekriegt. Diese Massenarbeit hat uns gezeigt, dass man auf die Menschen zugehen und sie überzeugen muss. Das hat sich gelohnt.

    Wir haben Veranstaltungen und Treffen in ganz vielen Städten gemacht und am Ende eine zentrale Demo. Dadurch haben wir ganz viele Kontakte, besonders unter Flüchtlingen gemacht, die dadurch auch noch heute links sozialisiert sind und immer noch in der Bewegung sind.

    Ganz besonders war der Frauenblock, den wir aufgebaut haben. Denn die Probleme der Flüchtlinge sind sehr breit und schlimm, aber die Frauen und Kinder haben besonders darunter gelitten und damit waren sie nicht sichtbar. Wir haben dieses Thema aufgemacht: Wie die Flucht Frauen und Kinder besonders betrifft und wie sie Gewalt auch noch hier erleben. Dafür gibt es sehr viele Beispiele, auch heute.

    Welche Herausforderungen gab es bei der Durchführung dieser Kampagne und bei der Organisierung von Geflüchteten?

    Die Flüchtlinge konnten sich nicht so frei bewegen wie wir, die eine Aufenthaltserlaubnis haben, oder die Einheimischen. Sie wurden bei den Ankerzentren schon beim Rausgehen behindert. Es gab andauernd rassistische Kontrollen und Bedrohungen, wenn sie zum Beispiel an Demos teilnahmen. Es gab auch Flüchtlinge, die Angst hatten, die dachten: Wenn wir zur Demo gehen, werden wir abgeschoben. Aber ich muss sagen: der Wille von den Geflüchteten war größer als von allen anderen. Denn sie waren die Betroffenen, die auch hier das ganze Elend erleben mussten. Die Flüchtlinge haben einen echt krassen Widerstand geleistet. Der Staat hat es den Flüchtlingen nicht leicht gemacht und mit Abschiebungen gedroht. Diese Versuche gab es auch, aber wir haben mit der Kampagne einen solidarischen Umgang geschaffen, durch den niemand alleingelassen wurde.

    Was ist dir besonders in Erinnerung geblieben?

    Die gesamte Kampagne hat einen bleibenden Eindruck hinterlassen: Sie war gut organisiert und vernetzt und breit aufgestellt. Inhaltlich war sie sehr kämpferisch und antiimperialistisch. Das haben wir damals geschafft. Was mich beeindruckt hat, war, dass die Betroffenen selber so einen kämpferischen Willen gezeigt haben und diesen Kampf in die eigene Hand genommen haben.

    Das habe ich in der Kampagne gesehen: Wie eine kollektive, internationale, antiimperialistische Bewegung stattfinden kann, wenn wir wollen. Es gibt einen anderen Weg, wenn uns Faschismus und Imperialismus angreifen. Auf wichtige Fragen wurde versucht, Antworten zu finden: Wie kann man in den imperialistischen Ländern Migrant:innen und die einheimische Arbeiterklasse für ihre gemeinsame Interessen zusammenbringen? Und das hat einen großen Eindruck hinterlassen: So viele Nationalitäten, so viel kämpferischer Wille, mit dem wir zusammengekommen sind. Dieses Gefühl war großartig.

    Wurden Forderungen habt ihr aufgestellt, um die Menschen in Bewegung zu bringen?

    Die Kampagne war inhaltlich klar antikapitalistisch und antipatriarchal aufgestellt. Es gab verschiedene Diskussionen, aber am Ende war es das gemeinsame Bündnisinteresse, dass die Geflüchteten mit im Bündnis sitzen und ihre Forderungen zentral sind. Die eine war die Abschaffung der Ankerzentren, die andere waren sichere Wohnräume für Frauen und Kinder. Es ging um das Bleiberecht für alle und die Anerkennung von Geflüchteten. Das waren die festen Forderungen. Wir haben mit der Kampagne sehr viele Flüchtlingsfrauen organisiert, indem wir diesen Kampf für sicheren Wohnraum für alleinstehende Frauen und Mädchen geführt haben und mit anderen Einrichtungen gemeinsam zum Erfolg gekommen sind. Wir haben auch Menschen vor der Abschiebung gerettet. Also man kann sagen: Wir haben eine klare politische Haltung gezeigt und dabei zentrale, direkt umsetzbare Forderungen aufgestellt.

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