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Mittwoch, September 18, 2024
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    „Neuer Wehrdienst” – was bedeutet das?

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    Im Zuge der Rückkehr zur imperialistischen Kriegspolitik will das Verteidigungsministerium einen „Neuen Wehrdienst“ einführen. Was ist geplant, wie sieht die Rechtslage bisher aus – und welche Antworten gibt es auf diese Pläne? – Ein Kommentar von Thomas Stark.

    Ole Nymoen will bei der Zeitenwende nicht mitmachen: „Ich, für Deutschland kämpfen? Never!“, betitelt der Podcaster („Wohlstand für alle!“) seinen Meinungsbeitrag in der Zeit: „Wer als Soldat auf die Schlachtfelder zieht, der erkämpft dort nicht seine Sicherheit — diese ist de facto in jedem Moment existentiell bedroht, in dem es Granaten und Kugeln hagelt. Stattdessen wird gekämpft für das, was die eigene Herrschaft als ihre Sicherheit definiert“, stellt er zutreffend fest, und viele Jugendliche dürften es ähnlich sehen. In vielen Umfragen sind gerade die 18- bis 29-Jährigen mehrheitlich gegen die Wehrpflicht – im Unterschied übrigens zur Gesamtbevölkerung.

    Wehrpflicht?! Wehrdienst?!

    Dieser Stimmungslage will das Verteidigungsministerium bei seinen aktuellen Plänen offenbar Rechnung tragen: „Keine Wehrpflicht, aber einen neuen Wehrdienst“ nennt die Behörde von Boris Pistorius (SPD) das Modell, das in diesem Jahr gesetzlich verankert werden soll. Dabei soll Männern und Frauen „im wehrdienstfähigen Alter“ ein Fragebogen zugeschickt werden, den Männer verpflichtend und Frauen freiwillig beantworten sollen.

    Abgefragt werden sollen dabei unter anderem „die körperliche Fitness und Motivation“. Ein Teil der Befragten werde anschließend zur Musterung aufgefordert. Die Bundeswehr solle jährlich prüfen, wie viele Rekrut:innen sie ausbilden kann. Zunächst ist von ca. 5.000 Soldat:innen die Rede. Wehrpflichtige sollen sich zwischen einem sechsmonatigen Grundwehrdienst und einem bis zu 23-monatigen Wehrdienst entscheiden können.

    Tatsächlich ist die Wehrpflicht in Deutschland niemals abgeschafft worden. Im Wehrpflichtgesetz wurde 2011 lediglich ergänzt, dass sie nur im „Spannungs- und Verteidigungsfall“ gelte. Heißt: Rein rechtlich könnten im Kriegsfall schon heute alle wehrpflichtigen Personen unter 60 Jahren eingezogen werden. Das Thema betrifft also nicht nur Jugendliche, sondern theoretisch die gesamte männliche Bevölkerung — es sei denn, man ist älter als 59, vom Wehrdienst befreit, hat den Kriegsdienst verweigert oder wurde ausgemustert.

    Wer mindestens einen Tag in der Bundeswehr gedient hat, zählt zudem zur Reserve und kann prinzipiell eingesetzt werden: „Das Engagement ist in Friedenszeiten freiwillig“, wie der Reservistenverband es ausdrückt.

    Nur eine Frage der Zeit

    Wie genau das Verteidigungsministerium das Wehrpflichtgesetz ändern will, ist noch nicht bekannt. Im Moment scheint es ohnehin vor allem darum zu gehen, wieder Kapazitäten für die Ausbildung von Rekrut:innen in der Armee aufzubauen. Für einen größeren Krieg in Europa werden sich aber zukünftig viele Fragen stellen: Wie lange wird der deutsche Staat in einem Krieg das heute hervorgehobene Prinzip der „Freiwilligkeit“ durchhalten? Wird es Pläne geben, das im Grundgesetz festgeschriebene Recht auf Kriegsdienstverweigerung in Frage zu stellen?

    Für revolutionäre und fortschrittlich gesinnte Menschen stellt sich dagegen die Frage, wie auf die Kriegspläne politisch geantwortet werden soll. Dass Ole Nymoen nicht für Deutschland kämpfen will, ehrt ihn sicherlich. Die Frage ist nur, ob er und andere junge Menschen diese Haltung auch durchsetzen können, wenn es mal ernst wird — vor allem wenn sie sich nur individuell weigern.

    In der Vergangenheit haben viele revolutionäre Organisationen vielmehr darauf gesetzt, ihre Mitglieder zum Wehrdienst zu schicken, damit sie dort wichtiges Handwerk erlernen und andere Truppenteile organisieren. Vielleicht sollte die Debatte gerade auch um diese wichtige Frage erweitert werden.

    Dieser Text ist in der Print-Ausgabe Nr. 90 vom September 2024 unserer Zeitung erschienen. In Gänze ist die Ausgabe hier zu finden.

    • Perspektive-Autor seit 2017. Schreibt vorwiegend über ökonomische und geopolitische Fragen. Lebt und arbeitet in Köln.

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