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Rondenbarg-Prozess: Verurteilung ohne individuell begangene Straftat

Über sieben Jahre sind seit dem G20-Gipfel in Hamburg vergangen. Am Dienstag wurden nun zwei Personen wegen ihrer Teilnahme an einem der Gegenproteste, bei dem es zu Straftaten gekommen sein soll, zu je 90 Tagessätzen Geldstrafe verurteilt. Individuell kann den beiden bis heute nichts nachgewiesen werden.

Im Jahr 2017 beteiligten sich tausende Demonstrierende an den Protesten gegen den G20-Gipfel in Hamburg. Teil dieser Proteste war unter anderem eine 200 Personen starke Demonstration aus einem Protestcamp im Hamburger Volkspark in Richtung Innenstadt: der sogenannte „Schwarze Finger“ sollte das Gipfelgeschehen stören. Doch dazu kam es erst gar nicht. Bereits am Rondenbarg im Stadtteil Bahrenfeld wurde der Demonstrationszug von der Polizei mit Wasserwerfern gestoppt.

Zahlreiche Videos im Internet bestätigen, dass die Polizei dabei plötzlich und mit brachialer Gewalt vorging: „Ich bin sicher, dass es unverhältnismäßige Polizeigewalt gegeben hat“, räumte selbst die dem sogenannten Rondenbarg-Prozess vorsitzende Richterin, Sonja Boddin, ein. Das Ergebnis waren 85 Verhaftungen, zahlreiche Verletzte und 14 Schwerverletzte.

In der Menge befanden sich auch der 29-jährige Student Nils Jansen sowie die 35-jährige Erzieherin Gabi Müller. Im Verlauf der Demonstration kam es wohl zu Auseinandersetzungen mit der Polizei, wobei den beiden aber keine individuelle Straftat nachgewiesen werden kann – jetzt wurden sie verurteilt.

Sieben Jahre später das erste Urteil

Sieben Jahre hat es also gedauert, bis jetzt am Dienstag, 03.08.2024, im Hamburger Landgericht dieses erste Urteil des Prozesses gefällt wurde: Beide Angeklagten wurden wegen Landfriedensbruchs und Beihilfe zu versuchter gefährlicher Körperverletzung und Beihilfe zum tätlichen Angriff auf Polizeibeamte zu je 90 Tagessätzen verurteilt. Bei Jansen, liegt der Tagessatz bei 15 Euro, bei der mitverurteilten Erzieherin beträgt er 40 Euro. Wegen der überlangen Verfahrensdauer gelten für beide Verurteilten 40 der 90 Tagessätze bereits als verbüßt. Die Verfahrenskosten, die beide Angeklagten zu tragen haben, dürften die Strafen allerdings bei Weitem übersteigen. Hinzu kommen die Kosten, die im Rahmen der 24 Prozesstage für Fahrt und Unterbringung zusammengekommen sind.

Rondenbarg-Prozesse: „Es sollen Einzelne kollektiv in Haftung genommen werden“

Besonders erschreckend ist, dass beiden Angeklagten bis heute keine individuellen Straftaten nachgewiesen werden können. Sie wurden allein für ihre Anwesenheit auf der Demonstration und für das Tragen von schwarzer Kleidung bestraft. Mit ihr sollen sie andere Straftäter:innen geschützt haben, die aus der Demonstration heraus agierten.

Bei den „Straftaten”, die unterstützt worden sein sollen, handelt es sich unter anderem um drei  durchbrochene Bauzäune und Müllcontainer, mit denen eine Fahrbahn blockiert wurde – was allerdings keinen Stau auslöste. Dazu kommen einige zertrümmerte Gehwegplatten, eine beschädigte Plastik-Fahrplanhalterung an einer Bushaltestelle und ein „No G20!“- Graffiti. Im Gegenzug kassierten die Demonstrierenden zum Teil offene Knochenbrüche und schwere Traumata.

Schwarze Kleidung und Schuhe von Deichmann als Verurteilungsgrundlage

In den 24 Verhandlungstagen wurde unter anderem die Frage behandelt, ob der Schwarze Finger Teil einer geschützten „Fünf-Finger-Protesttaktik“ gewesen ist. Die Verteidigung argumentierte, dass er genauso dazu gehört habe wie die andersfarbigen Finger, die zur selben Zeit unterwegs waren – daher sei er versammlungsrechtlich geschützt gewesen.

Die Richterin fällte schließlich ein anderes Urteil, sie beurteilte den Schwarzen Finger anders als die bunten Finger. Sie bezieht sich dabei besonders auf die Kleidung: Die „Vermummung”, sowie die „schwarzen Schuhe mit weißer Sohle von Deichmann“, die viele Demonstrierenden trugen, würden beweisen, dass die beiden Angeklagten gewusst hätten, worauf sie sich einließen: „Jeder weiß, dass ein schwarz gekleideter Aufzug nichts Gutes bedeutet“, äußerte sich Boddin. Die Demonstrierenden hätten „Krawall“ zum Ziel gehabt, außerdem seien Passant:innen durch den Schwarzen Finger in Angst versetzt worden.

Über sechs Jahre Rondenbarg – Über sechs Jahre Polizeigewalt, Grundrechtsentzug und Heuchelei

Der Verteidiger Sven Richwin kritisiert das Verfahren: Das Urteil auf die mögliche Angst von Personen zu stützen, sei „irrational“, denn man würde immer jemanden finden, der sich von einer Versammlung eingeschüchtert fühle. Im Grundgesetz gehe es aber beim Schutz von Versammlungen nicht um deren ästhetischen Ausdruck. Nils Jansen, der Verurteilte, teilt diese Meinung und kritisiert den Schuldspruch als Angriff auf die Versammlungsfreiheit. Er will prüfen, ob Müller und er in Revision gehen. Müller selbst verwendet in ihrer Erklärung zum Prozess den Begriff „Gesinnungsjustiz“ zur Beschreibung des absurden Gerichtsverfahrens.

„Sie sagen, sie wollen die Möglichkeit zu demonstrieren nicht einschränken, aber sie tun es. Und sie wissen das auch. In der Verhandlung reden sie von schwarzer Kleidung, aber in der Anklage schreiben sie ‚einheitlich’. Und einheitlich bedeutet bei ihnen genau genommen ähnlich. Daraus basteln sie eine psychische Beihilfe. Zu was eigentlich? Es ist nur eine Frage der Zeit, bis diese Argumentation auf alle möglichen Farb- und Fingerkonzepte angewendet wird.“, schreibt Gabi Müller.

Rondenbarg geht in die nächste Runde

Der erste Rondenbarg-Prozess ist zunächst vorbei, das Ergebnis sind zwei Verurteilungen und drei eingestellte Verfahren. Doch 80 Angeklagte warten noch, 17 davon haben bereits ihre Anklageschriften bekommen. Aufgeteilt in zwei Gruppen werden sie voraussichtlich im nächsten Jahr in Hamburg vor Gericht stehen.

Die Angeklagten kommen nach Eigenaussage größtenteils aus dem Süden Deutschlands. Sie müssen nun überlegen, wie sie „einen an die 25 Tage umfassenden Prozess in Hamburg unter den jeweiligen Lebensumständen stemmen können“. Bald 8 Jahre nach den Protesten gegen den G20-Gipfel gehören mittlerweile auch kleine Kinder und ein Berufsleben zu diesen Lebensumständen – aller Wahrscheinlichkeit nach aber kein Grund zur Sorge für das Hamburger Landgericht.

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