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Sonntag, September 8, 2024
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    Microsoft-GAU: Was lernen wir aus dem schwarzen IT-Freitag?

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    Ein fehlerhaftes Software-Update hat am Freitag weltweit Microsoft-Systeme lahmgelegt. Flugzeuge konnten nicht abheben, Banken waren nicht erreichbar, Krankenhäuser mussten OPs verschieben. Dabei gibt es einen Weg, das zu verhindern. – Ein Kommentar von Thomas Stark.

    Trauriger Smiley auf blauem Grund: Nicht wenige IT-Beschäftigte blickten am Freitagmorgen zu Hause oder im Büro beim Hochfahren ihrer PCs überrascht auf dieses Bild. Es folgten mehrfache Neustarts mit langwierigen Windows-Updates, bis wenigstens die Arbeitsrechner wieder funktionierten. Doch auch danach war an sinnvolle Tätigkeiten häufig kaum zu denken, denn auch Server, Datenbanken und Cloud-Dienste waren von dem Störfall betroffen und nicht einsatzfähig.

    Im Laufe eines Vormittags voller Krisenchats und Statusmeetings entfaltete sich dann mehr und mehr das Bild dessen, was auf der Welt gerade vor sich ging: Flugzeuge konnten nicht starten, die Onlinedienste von Banken und Versicherungen funktionierten nicht mehr, Krankenhäuser waren digital lahmgelegt und mussten Operationen verschieben. Das globale Chaos begann am frühen Morgen in Australien und wanderte mit der aufgehenden Sonne von Kontinent zu Kontinent.

    Monopolisierung als Auslöser

    Auslöser des IT-GAUs war kein Hackerangriff, kein Krieg und kein Stromausfall, sondern ein Software-Update der Firma „Crowdstrike”. Der bislang nur Fachleuten bekannte Anbieter für Sicherheitssoftware ist ein Marktführer beim Schutz vor Cyberangriffen und rüstet weltweit unter anderem Cloud-Dienstleister und Server-Betreiber aus. Crowdstrikes Software-Update vom Freitagmorgen führte zu einem Fehler bei zahlreichen Rechnern, die mit dem Microsoft-Betriebssystem Windows betrieben werden – und auch nur dort: Linux- und Apple-Systeme waren von dem Problem nicht betroffen.

    Microsoft ist aber das digitale Monopol schlechthin: Fast alle Banken, Versicherungen, sonstige Finanzfirmen, aber eben auch Krankenhäuser und Flughäfen benutzen Windows als Betriebssystem für ihre IT. Das liegt nicht daran, dass Windows das beste, einfachste oder am wenigsten fehleranfällige System wäre – wer damit arbeiten muss, wird über diese Aussage lachen – sondern dass Microsoft unter seinem damaligen CEO Bill Gates in den 1990er Jahren seine heutige Monopolstellung knallhart und teilweise mit rabiaten Methoden durchgesetzt hat.

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    Microsoft war berüchtigt dafür, kleinere Firmen in Abhängigkeit oder vom Markt zu drängen und dabei überwiegend schlechtere Kopien der Produkte von Konkurrenzfirmen zu verkaufen. Larry Ellison, damals Chef des Microsoft-Konkurrenten „Oracle”, sagte einmal über Gates: „Bill geht hinaus und sucht systematisch nach guten Ideen, die man stehlen könnte. Das ist ein absolut verständliches Benehmen. Es hat ihn sehr erfolgreich gemacht.“

    Dies ist kein Alleinstellungsmerkmal einer einzelnen Person oder einer Firma, sondern entspricht der Art und Weise, wie monopolistischer Kapitalismus eben funktioniert. Wären Microsoft und Gates nicht so vorgegangen, hätten sich andere gefunden. So aber wurde Windows zum weltweit am meisten eingesetzten Betriebssystem.

    Eine Monopolstellung hat das Unternehmen aus Redmond, Washington auch bei seiner Bürosoftware „Microsoft Office”, worunter das Kommunikationstool „Teams” fällt, sowie in Teilen bei seinem Datenbanksystem „MSSQL” und seiner Cloud-Plattform „Azure”, auch wenn es sich die vorherrschende Stellung dort noch mit anderen Tech-Konzernen wie Amazon teilen muss.

    Schwächen der globalen Produktion

    Ein Softwarefehler, der bei vorherigen Tests nicht aufgefallen war – was bei komplexen Produkten alles andere als eine Seltenheit ist und wozu es inzwischen sogar ein ganzes Genre an Literatur gibt – konnte also im Zusammenwirken mit der Monopolstellung von Microsoft innerhalb von Stunden eine globale Kettenreaktion verursachen und den Alltag des Weltkapitalismus in Teilen lahmlegen, darunter auch kritische Infrastruktur.

    Der Vorfall hat gezeigt: Auch ganz ohne bewusste Akteur:innen wie professionelle Hacker:innen hat die Gesamtheit aus globalen Produktions- und Logistikketten und digitaler Infrastruktur heute ein solches Maß an Komplexität erreicht, dass selbst ein kleiner Fehler ein großes Chaos heraufbeschwören kann.

    Der Kapitalismus hat an diesem Freitag also einmal wieder gezeigt, wie angreifbar er eigentlich ist. Denn was er nicht bietet und nicht bieten kann, ist eine wirkliche Planung der globalen digitalen Infrastruktur auf der Basis von Open-Source-Software. Diese könnte erstens flächendeckend vernünftige Betriebssysteme wie Linux einsetzen, zweitens viel mehr gesellschaftliche Ressourcen für Tests, Backups und doppelte und dreifache Sicherungen für kritische IT-Systeme bereitstellen und drittens im Falle von schweren Fehlersituationen auf die Schwarmintelligenz der globalen IT-Community setzen, um die Probleme möglichst klein zu halten und schnell zu lösen.

    All das würde aber voraussetzen, dass die Produktionsmittel der ganzen Gesellschaft gehören und in ihrem Sinne eingesetzt werden. Das bedeutet aber, man müsste sie Firmen wie Microsoft eben wegnehmen.

    Wie “Open Source” kapitalistische Propaganda widerlegt – und wie Kapitalist:innen das Potential ausnutzen

    • Perspektive-Autor seit 2017. Schreibt vorwiegend über ökonomische und geopolitische Fragen. Lebt und arbeitet in Köln.

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