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Freitag, März 29, 2024
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    Aus der Schulklasse in den Tod. Deutsche Abschiebepraxis im Jahr 2017 – Kevin Hoffmann

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    Montag in Duisburg, Mittwoch in Nürnberg und morgen an deiner Schule, in deinem Betrieb? Immer häufiger kommt es vor, dass Jugendliche in Deutschland von der Polizei mitten aus dem Leben gerissen, zum Flughafen gebracht und in Länder abgeschoben werden …

    … in Länder, die sie unter Umständen noch nie in ihrem Leben gesehen haben, deren Sprache sie nicht sprechen und in denen sie keine sozialen Kontakte haben. Das alles mag schon schlimm genug sein, doch viel schlimmer ist, dass in vielen dieser Länder Krieg herrscht, dass es um das nackte Überleben geht. Im vergangenen Jahr hat die Bundesregierung zahlreiche Länder zu sogenannten „sicheren Herkunftsstaaten“ erklärt. Darunter Afghanistan und die meisten Länder auf dem Balkan. Das bedeutet konkret, dass Geflüchtete aus diesen Ländern so gut wie keine Chance auf Asyl in Deutschland haben. Ein Recht auf Flucht wird ihnen kategorisch abgesprochen. Dass solche Regelungen selbst den Ansprüchen der eigentlichen deutschen Rechtsprechung, nämlich der Anerkennung sogenannter „individueller Fluchtgründe“ widersprechen, interessiert dabei nicht.

    Zahlreiche tragische Beispiele wurden in den letzten Monaten durch die Medien öffentlich gemacht. Viele mit Gewalt und Zwang abgeschobene Menschen wurden in ihren „Herkunftsländern“, also den Ländern, deren Staatsangehörigkeit sie – oder bei Kindern und Jugendlichen – die Eltern besitzen, durch Anschläge oder Übergriffe getötet. Doch nicht mal der Tod solcher schutzsuchenden Geflüchteten schreckt die deutsche Politik davon ab, diese Länder zu „sicheren“ Ländern zu erklären. Deutschland schiebt zurzeit monatlich zwischen 20-30 Menschen nach Afghanistan ab und lässt sich jeden dieser Abschiebeflüge rund 300.000€ kosten.

    Welcher Zynismus, wenn ein Land, in dem deutsche Soldaten und Dutzende weitere NATO-Armeen im Kampfeinsatz sind, als “sicher” gelten soll. Welcher Sarkasmus, wenn in einem Land ganze Regionen unter der Kontrolle islamistischer Terrorgruppen wie den “Taliban”, von “Al Kaida”oder dem „Islamischen Staat“ stehen, als “sicher” eingeordnet werden. Welche Ironie, wenn sich deutsche Verteidigungs- und AußenministerInnen in diesem Land nur mit schusssicheren Westen und Helmen bewegen können und ihre Besuchstermine aus Sicherheitsaspekten geheim halten. Die USA haben ihre Luftangriffe auf Ziele in Afghanistan in den ersten vier Monaten diesen Jahres verdreifacht, die Zahl der toten Zivilisten hat sich bei diesen Angriffen sogar verfünffacht.

    Und schließlich am 31. Mai der brutale Autobombenanschlag in der Afghanischen Hauptstadt Kabul. Anschläge sind in diesem Land leider an der Tagesordnung. Das Brisante an diesem Anschlag: Er ereignete sich in der Nähe zahlreicher Botschaften, unter anderem auch der deutschen. Neben dem Tod von insgesamt bis zu 90 Menschen und hunderten Schwerverletzten beklagt die deutsche Botschaft Dutzende zerstörte Fensterscheiben…

    Der deutschen Abschiebelogik treu ergeben, reagierte auch der bayerische Innenminister Joachim Hermann (CSU) auf den Anschlag: “Der jüngste Anschlag in Kabul war fürchterlich. Aber man muss nicht deswegen die Abschiebungen stoppen”.

    Auch wenn es wünschenswert wäre, wird wohl auch dieser grausame Anschlag nichts an den Abschiebungen Deutschlands in Kriegsgebiete und der Gleichgültigkeit der Herrschenden gegenüber den unzähligen Menschenleben ändern.

    • Autor bei Perspektive seit 2017 und Teil der Print-Redaktion. Freier Autor u.a. bei „Junge Welt“ und „Neues Deutschland“

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