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Donnerstag, März 28, 2024
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    Wer oder was ist eigentlich “G20”? – von Thomas Stark

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    Was ist das eigentlich für ein Treffen, das seit Wochen derart die Berichterstattung der Medien beherrscht? Im Folgenden die (ausdrücklich parteiischen) Antworten zu einigen der wichtigsten Fragen.

    Am 7. und 8. Juli findet der G20-Gipfel in Hamburg statt. Aus verschiedensten Bereichen der Gesellschaft wird zu Demonstrationen gegen das Treffen mobilisiert. Die Polizei hat halb Hamburg unter Belagerung gestellt und kämpft darum – auch gegen geltendes Recht und Gerichtsurteile – Versammlungen und Protestcamps zu verhindern. An den deutschen Grenzen wird wieder kontrolliert. Die Medien malen Gewaltszenarien aus…

    Wer sind die “G20”?
    „G20“ ist die Abkürzung für „Gruppe der 20“. Der Name steht für die 19 Mitgliedsstaaten USA, China, Japan, Deutschland, Frankreich, Brasilien, Großbritannien, Italien, Russland, Kanada, Indien, Australien, Mexiko, Südkorea, Indonesien, Türkei, Saudi-Arabien, Argentinien und Südafrika plus die Europäische Union. Dabei handelt es sich um einen großen Teil der wichtigsten kapitalistischen Länder (einige andere fehlen, wie z.B. die Schweiz). An den G20-Treffen nehmen die Staats- und Regierungschefs, die Finanzminister und die Zentralbankchefs der Mitgliedsländer teil. Dazu kommen die führenden Vertreter der EU und der Europäischen Zentralbank, des Internationalen Währungsfonds, der Weltbank und der OECD. Damit sind auch die wichtigsten internationalen Finanz- und Wirtschaftsinstitutionen an den G20-Treffen beteiligt.

    Seit wann gibt es die G20?
    Das Gründungstreffen der G20 fand 1999 in Berlin statt. Seitdem versammelten sich jährlich zunächst die Finanzminister und Notenbankchefs der beteiligten Staaten. Vorangegangen war eine Initiative der US-Regierung aus Anlass einer schweren Wirtschaftskrise in Asien. Seit 2008 finden die Treffen der G20 auf Ebene der Staats- und Regierungschefs statt. Diese Aufwertung des G20-Formats war eine Reaktion auf den Ausbruch der weltweiten Wirtschaftskrise in den Jahren 2007/2008.

    Was ist die Funktion der G20?
    Auf der Internetseite zum diesjährigen G20-Gipfel schreibt die Bundesregierung: „Die G20 ist das zentrale Forum zur internationalen Zusammenarbeit in Finanz- und Wirtschaftsfragen. Die führenden Industrie- und Schwellenländer stehen für fast zwei Drittel der Weltbevölkerung, über vier Fünftel des weltweiten Bruttoinlandsprodukts und drei Viertel des Welthandels. (…).“ Die Wirtschaft der kapitalistischen Länder ist heute so miteinander verflochten wie nie zuvor. Die größten Konzerne sind längst über die Grenzen einzelner Länder hinausgewachsen. Sie treiben nicht nur internationalen Handel, sondern auch ihre Industrieproduktion findet aufgeteilt auf viele Länder statt. Um maximale Profite zu erzielen, sind die kapitalistischen Unternehmen zugleich schon seit langem auf das wirtschaftliche Eingreifen der Staaten angewiesen: Steuergesetze, Investitionen, Arbeitsmarktpolitik, Geldpolitik – das alles sind Bestandteile staatlicher Wirtschaftspolitik, die den Konzernen ihre Gewinne auf Kosten der Arbeiterklasse sichert. Die Möglichkeiten, dies auf rein nationaler Ebene zu tun, sind wegen der internationalen Kapitalverflechtung aber heute sehr begrenzt. Das erzeugt für Unternehmen und Staaten die Notwendigkeit, für die Finanz- und Wirtschaftspolitik zwischenstaatliche Vereinigungen zu schaffen. Dazu zählen z.B. die EU, der IWF, die Weltbank – und eben die G20.

    Bilden die G20 eine Weltregierung?
    Die Tendenz der kapitalistischen Länder, internationale Vereinigungen wie die G20 zu schaffen, bedeutet nicht, dass zwischen diesen Ländern und ihren Unternehmen Harmonie herrschen würde – ganz im Gegenteil! Die großen Konzerne führen einen erbitterten Kampf um Marktanteile, technologische Führerschaft, Rohstoffe und vieles mehr. Darauf aufbauend kämpfen die kapitalistischen Staaten um Einflussgebiete in der Welt – wenn es nötig ist, auch mit Krieg. Es entsteht die Tendenz, dass sich verfeindete Blöcke bilden. Heute gibt es z.B. eine ausgeprägte wirtschaftliche und politische Gegnerschaft zwischen einem Block, der aus den USA und den Ländern der EU besteht, sowie Russland und China auf der anderen Seite. Die USA, Europa und Russland stehen sich in den Kriegen in der Ukraine und in Syrien sogar indirekt gegenüber. Doch auch innerhalb dieser Blöcke besteht erbitterte Konkurrenz.
    Treffen wie die G20 erfüllen vor diesem Hintergrund für alle beteiligten Staaten die Funktion, auf politischer, nicht-militärischer Ebene ihre jeweiligen Interessen mittels internationaler Vereinbarungen durchzusetzen und die besten Geschäftsbedingungen für das eigene Kapital herauszuhandeln.

    Befassen sich die G20 nur mit Wirtschaftspolitik?
    Die Bundesregierung schreibt hierzu: „Häufig eng mit ökonomischen Fragen verknüpft sind auch andere Themen von globaler Bedeutung: der Klimawandel, die Entwicklungspolitik, die Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik, die Digitalisierung oder aktuell die Terrorismusbekämpfung. Daher umfasst die G20-Themenpalette inzwischen eine breite Agenda.“ Mittlerweile befassen sich die G20-Staaten mit einer Vielzahl von Themen, die für sie oder ihre Konzerne von strategischer Bedeutung sind. In diesem Jahr stehen neben der Digitalisierung und dem Klimawandel unter anderem der Kontinent Afrika, die Frauenpolitik und die Migrations- und Flüchtlingsbewegungen auf der Tagesordnung. Weitere Themen könnten die Kriege in Syrien und der Ukraine sowie die aktuellen Konflikte auf der koreanischen Halbinsel und am Persischen Golf (Katar) sein. Als Gastgeberin hat die deutsche Regierung die Tagesordnung maßgeblich bestimmt.

    Welche Ziele verfolgt die Bundesregierung beim diesjährigen G20-Gipfel?
    Die deutsche Industrie und die Banken sind vor allem an der Aufrechterhaltung ihrer sehr hohen Exporte und an einer weltweiten technologischen Führerschaft, insbesondere hinsichtlich der digitalisierten Produktion, interessiert. Zu beiden Punkten findet aktuell ein harter Kampf zwischen Deutschland und den USA statt, der nicht erst seit dem Amtsantritt von Donald Trump und seiner Linie „America first“ ausgebrochen ist. Dieser Kampf äußerte sich jüngst z.B. in der Verhängung von Milliardenstrafen gegen VW in den USA und gegen Google in der EU. Auch mit China hatte Deutschland in den letzten Monaten heftige wirtschaftliche Auseinandersetzungen.

    Das Gipfelprogramm ist vor dem Hintergrund dieser Interessenlage zu sehen: Auch wenn die Regierung eines kapitalistischen Landes eine allgemeingesellschaftliche Herausforderung wie z.B. den Klimawandel auf die Tagesordnung setzt, tut sie dies auf der Grundlage der kapitalistischen Profit-Logik und zugunsten ihrer Konzerne. Hinter der Klimafrage steht z.B. aus Sicht der deutschen Industrie das Problem einer grundlegenden Umwälzung in der Produktionstechnik, speziell in der Umstellung der Energieerzeugung auf nicht-ölbasierte Techniken („Dekarbonisierung“). Im „Klimaschutzplan 2050“ der Bundesregierung wird der Klimaschutz deshalb ausdrücklich als „Modernisierungsstrategie unserer Volkswirtschaft“ aufgefasst (Link). Die Bundesregierung ist deshalb bestrebt, internationale Vereinbarungen zu schaffen, die der deutschen Industrie eine Vorreiterrolle bei den „erneuerbaren Energien“ und der Produktion z.B. von Elektroautos verschaffen.

    Beim Thema Afrika geht es Deutschland um eine Stärkung seines wirtschaftlichen und politischen Einflusses auf diesem Kontinent und darum, die „Migrations- und Flüchtlingsbewegung“ von dort einzudämmen. Auch die Sicherung der Fachkräftebasis für die deutsche Industrie durch „gezielte und arbeitsmarktorientiere Zuwanderung“ (Link) dürfte in diesem Zusammenhang relevant sein.

    Was kann man gegen die G20 und gegen die Herrschaft des internationalen Kapitals tun?
    Angesichts der Macht international agierender Mammutkonzerne und ihrer Staaten liegt die Konsequenz für die Arbeiterklasse auf der Hand, sich ebenfalls international – und zwar gewerkschaftlich und politisch – zusammenzuschließen, um ihre Interessen durchzusetzen: Autobauer aus Deutschland, LKW-Fahrer aus Osteuropa, Textilarbeiterinnen aus Bangladesch werden von denselben Kapitalisten ausgebeutet und können im gemeinsamen, organisierten und länderübergreifenden Kampf eine wirkliche Macht entfalten. Zu diesem Kampf gehören ebenso Bauern, Handwerker, Wissenschaftler, Studenten, Frauen, Jugendliche und weitere gesellschaftliche Schichten, die ebenfalls vom Kapital ausgebeutet werden.
    Wenn in Hamburg trotz des massiven Aufgebots der Staatsmacht und einer Kampagne von Polizei und Regierung, die auf Einschüchterung setzt, tausende Menschen aus verschiedenen Ländern und unterschiedlichen Teilen der Gesellschaft zusammenkommen, um gegen den G20-Gipfel zu demonstrieren, kann davon ein starkes Signal für diesen internationalen Klassenkampf ausgehen.

    • Perspektive-Autor seit 2017. Schreibt vorwiegend über ökonomische und geopolitische Fragen. Lebt und arbeitet in Köln.

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