`
Freitag, März 29, 2024
More

    Machtkampf auf dem Balkan

    Teilen

    Kapitalistische Staaten kämpfen um Einfluss in der Region – wirtschaftlich, politisch, ideologisch und militärisch. Ein Hintergrundartikel über Macht- und Einflusssphären auf dem Balkan –  von Thomas Stark

    In Südosteuropa sei ein Kampf um die Vorherrschaft entbrannt. Die Türkei und Russland, aber auch Saudi-Arabien bauten ihren Einfluss dort aus. Das berichteten in der vergangenen Woche verschiedene Medien, so unter anderem das Handelsblatt (Link). Anlass war eine Äußerung des österreichischen Außenministers Sebastian Kurz. Der hatte vor einem wachsenden Einfluss der islamischen Staaten Türkei und Saudi-Arabien auf dem Balkan gewarnt: „In Sarajevo oder Pristina werden zum Beispiel Frauen dafür bezahlt, voll verschleiert auf die Straße zu gehen, um das Straßenbild zu ändern. Hier dürfen wir nicht tatenlos zusehen.“, so Kurz, der in Kürze in Österreich eine Wahl gewinnen will.

    Blutige Geschichte

    Der Balkan, umgangssprachlich die südosteuropäische Halbinsel, die sich von Griechenland über Rumänien und Bulgarien bis zu den ehemaligen jugoslawischen Teilrepubliken wie Serbien, Bosnien-Herzegowina und Kroatien erstreckt, ist tatsächlich schon seit Jahrhunderten ein umkämpftes Gebiet zwischen den jeweiligen Großmächten gewesen – mit brutalen Kriegen auf Kosten der dortigen Bevölkerung. Hierbei dürfte es neben direkten wirtschaftlichen Interessen z.B. an Rohstoffen vor allem um die geopolitische Lage als Brückenkopf zwischen Europa und Westasien gehen.

    Früher Teil des Osmanischen Reiches, fielen zahlreiche Balkanländer zeitweise unter die Herrschaft Österreich-Ungarns. Der Erste Weltkrieg begann auf dem Balkan, als der österreichische Thronfolger von einem Serben im bosnischen Sarajevo erschossen wurde. Das faschistische Deutschland führte im Zweiten Weltkrieg einen blutigen Eroberungsfeldzug bis nach Griechenland und Albanien und stieß auf den erbitterten Widerstand von Partisanenarmeen in der gesamten Region. Nach 1945 begann die Spaltung des sozialistischen Lagers auf dem Balkan mit dem Bruch zwischen Jugoslawien und der Sowjetunion. Und seit Anfang der 1990er Jahre wurde der Balkan erneut zum Schauplatz blutiger Kriege und Völkermorde, die – auf Betreiben unter anderem der USA und Deutschlands – zur Zerschlagung Jugoslawiens in Kleinstaaten und zur militärischen Besetzung des Kosovo führten.

    Heute sind es die USA, die EU, Russland und andere kapitalistische Mächte, die danach streben, ihren Einfluss auf dem Balkan auszubauen und zu diesem Zweck versuchen, ethnische und religiöse Gruppen in der Vielvölkerregion für sich zu vereinnahmen. Das und die Beschwörung eines angeblichen Kulturkampfes wie in der Aussage von Österreichs Außenminister sind allein nichts Neues. Scheinbar ist es jedoch so, dass sich die Kräfteverhältnisse zwischen den beteiligten Staaten laufend verschieben und dass neue, wenn auch altbekannte Akteure vermehrt auf den Plan treten.

    EU und USA

    Die Warnung eines österreichischen Ministers vor einem islamischen Vormarsch sollte einen nicht darüber hinwegtäuschen, dass in den vergangenen zwanzig Jahren vor allem der Westen seine Vorherrschaft über den Balkan ausgebaut hat. Das gilt vor allem für die EU. Ob aus Deutschland, Italien oder dem Krisenstaat Griechenland: Europäische Banken und Unternehmen machen gute Geschäfte auf dem Balkan (Link). Doch auch der US-amerikanische politische Einfluss z.B. in Albanien und Kosovo ist nach wie vor stark. (Link)

    Einige Fakten sollte man sich diesbezüglich vor Augen führen: Die Balkan-Staaten Slowenien, Rumänien, Bulgarien und Kroatien sind seit Beginn der 2000er Jahre nacheinander EU-Vollmitglieder geworden. Serbien, Montenegro, Mazedonien und Albanien sind heute EU-Beitrittskandidaten. Alle Balkan-Staaten außer Serbien und dem Kosovo sind außerdem entweder schon NATO-Mitglieder oder Beitrittskandidaten (Bosnien-Herzegowina, Mazedonien).

    In Bosnien-Herzegowina und dem Kosovo sind nach wie vor tausende ausländische Soldaten im Rahmen der EU-Mission „Althea“ bzw. der NATO-Mission „KFOR“ stationiert. Hinzu kommen im Kosovo ca. 2000 Polizisten, Richter, Gefängnisaufseher und Zollbeamte, die entsprechende Institutionen in dem Land aufbauen sollen und dabei von der kosovarischen Regierung unabhängige Befugnisse besitzen. In Bosnien-Herzegowina steht an der Spitze des Staates sogar faktisch ein ausländischer „Hoher Repräsentant“, zurzeit ein Österreicher. Beide Staaten sind Mitglieder im „Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen“ der EU und bezüglich ihrer Währung an den Euro gekoppelt.

    Offenbar um diesen Einfluss weiter auszubauen, strebt Deutschland nach jüngsten Zeitungsberichten einen großen Investitionsplan für den Westbalkan an. (Link)

    Russland

    Russland, das damit also von westlicher Seite von NATO-Ländern eingekreist ist, versucht diesen einseitigen Trend aufzuhalten und seine eigenen Interessen in der Region zur Geltung zu bringen. Dabei stützt es sich traditionell vor allem auf Serbien. Einen EU-Beitritt des Landes dürfte Russland daher unbedingt verhindern wollen. Laut Handelsblatt seien die Serben nach wie vor „mehrheitlich prorussisch eingestellt, während sie die NATO, die das Land 1998 während der Kosovo-Krise bombardierte, ablehnen“. Russland wolle das Land mit einer strategischen und militärischen Partnerschaft „im Orbit“ halten. Aus Montenegro und Mazedonien berichtet das Handelsblatt über Versuche politischer Einflussnahme Russlands bis hin zu einem kürzlich aufgedeckten Plan für einen Staatsstreich in Montenegro. Wie die Welt außerdem berichtet, liefert Russland in Kürze neue Kampfflugzeuge an Serbien. Russische Oligarchen hätten große Teile der montenegrinischen Adriaküste aufgekauft. Und die bosnischen Serben hätten zwei Raffinerien russischen Unternehmen überlassen (Link).

    Türkei und Saudi-Arabien

    Die „schleichende Islamisierung“, vor der Kurz wie auch andere österreichische Politiker nun gewarnt haben, bezieht sich auf türkische und saudi-arabische Initiativen in der Region. Militärisch ist die Türkei mit ca. 500 Soldaten im Rahmen von „KFOR“ im Kosovo vertreten. Ihren Einfluss in dem Kleinststaat, aber auch in Albanien und Serbien baue sie stetig aus, so die Welt. Ein türkisches Bergbauunternehmen habe im April bekannt gegeben, 40 Millionen Euro in den Kosovo zu investieren, berichtet das Handelsblatt. Turkish Airlines helfe beim Aufbau einer eigenen albanischen Fluggesellschaft, während türkische Firmen am Bau eines neuen Flughafens in dem Land mitwirkten. Mit Bosnien-Herzegowina unterhält die Türkei ein Freihandelsabkommen, welches sie nun vertiefen wolle.

    Doch die Erdogan-Regierung nutzt auch kulturell-religiöse Anknüpfungspunkte: So restauriert die staatliche türkische Entwicklungsorganisation “TIKA” auf eigene Kosten derzeit 14 historische osmanische Bauwerke auf dem Balkan.

    Private und staatliche Geldgeber aus arabischen Ländern wie Saudi-Arabien seien darüber hinaus unter anderem im Kosovo aktiv, wo es eine große islamische Gemeinde gibt. Das geht aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linke-Bundestagsfraktion von Mitte Mai hervor: „Saudi-arabische Missionierungsorganisationen sind auch im Kosovo aktiv und verbreiten hier die von Saudi-Arabien vertretene wahhabitische Interpretation des Islam, etwa durch die Entsendung von Predigern“. Die Linke-Abgeordnete Sevim Dagdelen warnte mit Bezug auf diese Informationen davor, der Kosovo habe sich „unter den Augen von KFOR (…) zum islamistischen Terrorzentrum in der Region entwickelt“ (Link).

    Ausweg in Sicht?

    Ob christlich, islamisch oder orthodox, ob bosnisch, kroatisch, serbisch oder albanisch: Die Feindseligkeiten, die seit langem zwischen den ethnischen und religiösen Gruppen in der Balkan-Region herrschen, werden offenbar also auch von außen angefacht. Vor diesem Hintergrund war es ein besonderes Ereignis, als Anfang 2014 Angehörige aus allen Bevölkerungsteilen in Bosnien-Herzegowina gemeinsam gegen Korruption und die hohe Arbeitslosigkeit demonstrierten. (Link).

    Dass dieses Beispiel in der gesamten Region Schule macht, dürfte jedenfalls in den Regierungssitzen in Berlin, Moskau, Ankara, Washington und Riad gleichermaßen gefürchtet werden.

     

     

     

     

    • Perspektive-Autor seit 2017. Schreibt vorwiegend über ökonomische und geopolitische Fragen. Lebt und arbeitet in Köln.

    Mehr lesen

    Perspektive Online
    direkt auf dein Handy!

    Weitere News