Über den größten deutschen Denker und seine revolutionären Ideen – ein Kommentar von Pa Shan zum 200. Geburtstag von Marx
Karl Marx wurde am 05. Mai 1818 in Trier geboren. Dass die kleine westdeutsche Stadt der Geburtsort des umstrittensten deutschen Denkers ist, wird heute mit der Enthüllung einer fünfeinhalb Meter großen Marx-Statue in der Stadtmitte zelebriert. Das Denkmal ist ein Geschenk des chinesischen Staates, der sich offiziell immer noch positiv auf Marx bezieht, an die Stadt Trier. Ob Marx das an seinem zweihundertsten Geburtstag als Kompliment aufgefasst hätte, können wir ihn selbst nicht mehr fragen.
Kritiker haben jedenfalls einen Protest durchgeführt, weil die Statue ein Geschenk Chinas ist. Die Debatte darum, wer Marx wie interpretieren und würdigen darf, zeigt, dass er nicht nur aktuell geblieben, sondern immer noch umstritten ist. Aber was ist schon eine kontroverse Statue im Vergleich zu Marx? Als Marx 1883 starb, hatte er der Welt mit seinem Leben und Werk selbst ein unübertreffliches Denkmal gesetzt, das ihn bis heute zum umstrittensten Denker überhaupt macht.
Wer war also Marx? Zunächst einmal war er der bedeutendste Denker des 19. Jahrhunderts, ganz Deutschlands und womöglich auch weltweit der größte Denker der letzten 200 Jahre. Er war zugleich Journalist, Philosoph, Historiker, Ökonom und nicht zuletzt Berufsrevolutionär. Mit seinen journalistischen Texten entlarvte er die politischen Intrigen der Herrschenden. Mit seinen historischen Studien und philosophischen Ideen begründete er die Geschichtsphilosophie des historischen Materialismus, wonach die Geschichte der Menschen „die Geschichte von Klassenkämpfen“ sei. Mit seinen ökonomischen Studien begründete er die ebenso wissenschaftliche wie radikale Kritik der damaligen Wirtschaftstheorien und erklärte, wieso der Kapitalismus zum Scheitern verurteilt ist. Und mit seinen organisatorischen und politischen Tätigkeiten hob er die sozialistische ArbeiterInnenbewegung auf eine neue Stufe, indem er sie auf den radikalen Bruch mit den herrschenden Verhältnissen und den Internationalismus einschwor.
Vom Hobbyphilosophen zum Berufsrevolutionär
Marx begann als Hobbyphilosoph. Als junger Mann studierte er in Berlin zwar Rechtswissenschaften, beschäftigte sich aber leidenschaftlich mit der Geschichtsphilosophie Georg F. W. Hegels. Hegel war ein Geschichtsoptimist, für den die Geschichte der Menschheit Fortschritte machte. Das zeigte sich wenige Jahrzehnte zuvor in dem epochalen Ereignis der französischen Revolution von 1789. Die Revolution hatte den herrschenden Adel entmachtet und an Stelle der absolutistischen Monarchie die Republik gesetzt. Hegel interpretierte das als großen Sprung der Menschheit in Richtung Freiheit.
Als Doktorand schloss Marx sich den radikalen „Linkshegelianern“ an, die sich im Anschluss an Hegel eine demokratische Republik in Deutschland herbeiwünschten. Mit diesen zusammen war er zunächst vor allem journalistisch tätig. Als Journalist und Herausgeber von Zeitschriften polemisierte Marx jahrelang gegen die undemokratischen Zustände in Deutschland und in der Welt. Als solcher begann er, sich mit den Ärmsten der Armen zu befassen. In der Rheinischen Zeitung stellte er 1842 in seinem Text über die „Debatten über das Holzdiebstahlsgesetz“ fest, dass die damaligen Gesetze dazu gemacht waren, die ärmsten Menschen zu fesseln und zu erniedrigen. Zwar kritisierte er diese Gesetze, aber er setzte noch auf die Einsicht der Staatsdiener, dass vernünftigere Gesetze besser seien. Die Hilflosigkeit solcher Appelle an die Vernunft sind ihm bald klar geworden.
Auch in anderen Artikeln zu den tagespolitischen und geschichtlichen Themen deckte Marx die Heuchelei und die wahren Interessen der Herrschenden auf. Wie in Frankreich vor der Revolution von 1789 herrschten auch in Deutschland adlige Großgrundbesitzer – Grafen, Fürsten und Könige. Von Demokratie wollten sie nichts wissen. Von Freiheit und Gleichheit für ihre Untertanen noch weniger. Ihr Interesse als Klasse war die Unterdrückung der unteren Klassen, ob mit Gewalt oder durch ein falsches Bewusstsein: „Die Gedanken der herrschenden Klasse sind in jeder Epoche die herrschenden Gedanken“, erklärte er.
Schon alleine für diese Arbeit wurde Marx von den deutschen Behörden verfolgt und verleumdet. Ihnen galt der radikale Demokrat als gefährlicher Umstürzler. Seine journalistische Arbeit musste er deswegen ab 1843 als Geflüchteter im französischen Exil fortführen. In Frankreich machte Marx Bekanntschaft mit französischen Sozialisten und begann, sich mit den Wirtschaftstheorien seiner Zeit zu beschäftigen. Bis hierhin war er vor allem radikaler Demokrat und journalistischer Kritiker.
Aber sehr bald ging Marx über die Ideen der „Linkshegelianer“ hinaus, da seine demokratisch gesinnten Freunde keine praktischen Antworten darauf hatten, wie der Umsturz in Deutschland zu erreichen sei. Von Marx stammt aus dieser Zeit der Ausspruch: „Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretirt, es kömmt drauf an, sie zu verändern.“ Damit brach er mit den Utopisten, die ohne politische Organisation auf eine Verbesserung der Verhältnisse hofften. Im Gegensatz zu den hegelianischen Philosophen gewann der junge Marx die Überzeugung, dass eine kommunistische Bewegung der Arbeiter und Arbeiterinnen notwendig war. Mitte der 1840er Jahre war er bereits nicht mehr bloß ein radikaler Demokrat, sondern wandelte sich zum kommunistischen Berufsrevolutionär.
Kapitalismus und revolutionäre Arbeiterklasse
In den folgenden Jahren war Marx damit beschäftigt, eine eigene politische Weltanschauung zu entwickeln. Die größte Unterstützung erfuhr er dabei von seiner Frau Jenny und seinem engsten Freund und Genossen Friedrich Engels, die lange mit ihm im Exil verweilten. Mit beiden hatte Marx regen gedanklichen Austausch. Außerdem half der wohlhabende Engels der Familie Marx ab dieser Zeit immer wieder aus finanziellen Engpässen heraus. Damals verfassten Marx und Engels gemeinsam so zentrale Werke wie „Die deutsche Ideologie“ (1845), „Die heilige Familie“ (1845) und das „Manifest der Kommunistischen Partei“, in denen die Grundlagen des Marxismus erarbeitet wurden und aussichtslose Revolutionskonzepte verworfen wurden.
Das „kommunistische Manifest“ wurde ausgerechnet im europäischen Revolutionsjahr 1848 veröffentlicht. Ganz Europa erlebte demokratische Revolutionsversuche unter Führung des Bürgertums gegen den Adel. Doch es zeigte sich, dass von den gebildeten und wohlhabenden Schichten des Bürgertums nicht viel zu erwarten war. Sie suchten letztlich lieber den Kompromiss mit dem Adel, als eine demokratische Republik zu schaffen. Entsprechend erklärte das Manifest nicht mehr nur den Adel zum Feind, sondern auch die bürgerliche Klasse, die Klasse der Kapitalisten und Privateigentümer, die in Frankreich nach 1789 den Adel als herrschende Klasse abgelöst hatte. Diese „Bourgeoisie“ ließ mit Hilfe enormer Geldmengen Manufakturen und Fabriken errichten, in denen sich eine neue Klasse konzentrierte: Die moderne ArbeiterInnenklasse bzw. das Proletariat.
Wirklich revolutionär erschien Marx und Engels einzig diese Arbeiterklasse. Sie erklärten: „Von allen Klassen, welche heutzutage der Bourgeoisie gegenüberstehen, ist nur das Proletariat eine wirklich revolutionäre Klasse.“ Marx und Engels dachten sich die Idee einer revolutionären ArbeiterInnenklasse nicht einfach aus. Die Erfahrung von 1848 hatte gezeigt, dass der Adel und die Bourgeoisie gegen jede weitere Revolution waren, während kleine Kaufleute, Handwerker und Bauern eine konservative Rolle spielten. Ihnen ging es vor allem darum, in der Konkurrenz mit den anderen Schichten nicht unterzugehen, während die Industriearbeiter in den Manufakturen und Fabriken nicht nur an einer Revolution interessiert waren, sondern begannen, sich unter den Bedingungen gemeinsamer Ausbeutungserfahrungen als bewusst agierende Klasse zu organisieren.
Dennoch hatten die neuesten Revolutionsversuche unter Beteiligung des Proletariats keinen Erfolg. Den tieferen Grund dafür sah Marx ihn der „kapitalistischen Produktionsweise“. Diese hatte seiner Auffassung nach noch nicht die Bedingungen für eine erfolgreiche proletarische Revolution geschaffen: Eine genügend große Klasse von ArbeiterInnen, die organisiert genug waren, um Adel und Kapitalisten zu stürzen.
Marx machte sich nun ab 1849 im Londoner Exil an ein intensives Studium der bisherigen Wirtschaftstheorien, um damit „das ökonomische Bewegungsgesetz der modernen Gesellschaft zu enthüllen“. Er erforschte mehrere Jahrzehnte lang mit größter Ausdauer die moderne Gesellschaft. Aus diesen umfangreichen Forschungen entstand sein Hauptwerk „Das Kapital“, das bis heute unübertroffen ist, wenn man verstehen will, was die moderne Wirtschaft des Kapitalismus antreibt. Als Marx am 11. September 1867 sein Hauptwerk im Londoner Exil veröffentlichte, war er bereits in ganz Europa als verfolgter Revolutionär und Kommunist bekannt. Aus der Analyse des Kapitalismus heraus entwickelte Marx einen unerschütterlichen Optimismus. Die ArbeiterInnenbewegung wuchs in dieser Zeit in allen europäischen Ländern zu einer politischen Macht heran, die mit Hilfe marxistischer Ideen immer bewusster und organisierter wurde.
Das Erbe von Karl Marx
Als Marx 1883 starb, waren unzählige seiner Werke im Bereich der Geschichtsschreibung, Wirtschaftstheorie und Ideologiekritik erschienen. Von seinem Hauptwerk, „Das Kapital“, war nur der erste Band erschienen. Band 2 und 3 erschienen erst später mit Engels‘ Hilfe. Aber auch Band 3 brach bei der Definition der Klassen abrupt ab. Auch viele weitere Manuskripte erschienen erst viel später. Marx konnte sein Werk zeitlebens nicht vollenden. Entsprechend trat das Problem der Interpretation seiner Aussagen wie bei kaum einem anderen Denker auf. Alleine schon unter den Marxisten ist das Erbe von Marx überaus umstritten. Auch unter kapitalismuskritischen Nicht-Marxisten wird die Bedeutung von Marx immer wieder neu diskutiert. Die Feinde des Marxismus erklären Marx natürlich zum toten Hund, dessen Ideen entweder veraltet, von vornherein falsch oder zumindest abgrundtief böse, „extrem“ oder „totalitär“ seien. Doch wenn wir uns den heutigen Kapitalismus mit all seinen Seiten aus der Perspektive von Karl Marx anschauen, wird klar, wie aktuell seine Ideen noch immer sind. Das Erbe von Marx ist die größte Aufgabe für alle Unterdrückten, Revolutionäre und Kommunisten: Die Bedingungen für eine erfolgreiche Revolution zu erforschen und auf sie hinzuarbeiten.
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