`
Freitag, März 29, 2024
More

    Call Center Kolumne: Der erste Tag

    Teilen

    Monatliche Kolumne zum Überleben im Mobilfunkdschungel – von Markus Schneider

    Mein Vater hat die Angewohnheit, seine Gesprächspartner in den Kundenhotlines bestimmter Unternehmen als ‘moderne Wegelagerer’ zu bezeichnen. Mit dem Unterschied, so sagt er, dass sie nicht aus dem Gebüsch springen und Reisende ausrauben, sondern Kunden im Gespräch überrumpeln, um ihnen Zeug anzudrehen, das sie nicht brauchen.

    Ich habe mir also lieber nicht vorgestellt, was mein „alter Herr“ dazu sagen würde, wenn er erfährt, dass nun sein eigener Sohn zu eben einem solchen professionellen Betrüger ausgebildet wird. Begeisterungstürme konnte ich jedenfalls schon nach den ersten zwei Stunden meiner Schulung im Callcenter nicht mehr erwarten.

    Unser Ausbilder beeilte sich – wohl eine Art Schocktherapie – uns klar zu machen, was auf uns zukommt: In der Einleitung wurde uns angekündigt, zwar auch etwas über Kundenservice zu lernen, jedoch immer nur, um letztlich etwas verkaufen zu können. Die bei dem ein oder anderen vielleicht vorhandene Hoffnung auf einen moralisch einwandfreien Job wurde ebenso schnell zerstört: „Bei uns geht es oft genug auch darum, dem Kunden nicht die volle Wahrheit zu sagen. Wer damit ein Problem hat, ist hier falsch.“

    Mein Name ist Markus Schneider und ich habe vor gut sieben Monaten angefangen, in einem Callcenter für einen der größten und berüchtigtsten deutschen Mobilfunkanbieter zu arbeiten. Den Job habe ich angenommen, weil ich einen brauchte und andere Bewerbungen ins Leere liefen.

    Schnell habe ich erkannt, dass sowohl die Anforderungen an uns, als auch das Verhalten der meisten meiner KollegInnen menschlich absolut verwerflich sind. Trotzdem habe ich weitergemacht: Konfrontiert mit einem ausgefeilten System, dass es selbst den MitarbeiterInnen mit den besten Absichten schwer bis unmöglich macht, den KundInnen am anderen Ende der Leitung „wirklich“ etwas Gutes zu zu tun.

    Nach Monaten in diesem System kann ich sagen: Arbeiten ohne Gewissensbisse ist unmöglich und eigentlich müsste ich jeder/m AnruferIn ins Ohr schreien: Kündigen Sie Ihren Vertrag und kommen Sie niemals wieder!

    Ob mein Arbeitgeber eine Ausnahme ist? Ich glaube nicht daran. Schon eine oberflächliche Recherche im Internet zeigt auf, dass die Methoden, die ich kennengelernt habe und die ich anwenden sollte, um KundInnen zu täuschen und möglichst viel Profit aus ihnen heraus zu pressen, in ganz ähnlicher Form auch anderswo angewandt werden.

    Als vorläufigen Kompromiss zwischen der Arbeit, die ich machen muss, um meinen Lebensunterhalt zu finanzieren, und meinen ständigen Gewissensbissen habe ich mich entschieden, meine Erlebnisse auf Perspektive zu veröffentlichen.

    Meine Ziele sind dabei folgende: Erstens, für Vertragskunden von Mobilfunkanbietern das System, mit dem man Monat für Monat versucht, sie an der Nase herumzuführen, zu entlarven und somit auch ein wenig kontrollierbarer zu machen. Zweitens, Kolleginnen und Kollegen in ähnlichen Positionen wie meiner, den tatsächlichen Inhalt unserer Arbeit vor Augen zu führen und in den engen, bestehenden Grenzen einen anständigeren Umgang mit den KundInnen zu fördern. Drittens, das im Grunde genommen kriminelle systematische Vorgehen großer Konzerne im Mobilfunksektor aufzudecken.
    Wenn ich Ihr Interesse geweckt habe, würde ich mich freuen, wenn Sie mich in den nächsten Monaten als LeserIn begleiten.

    [paypal_donation_button align=”left”]

    Mehr lesen

    Perspektive Online
    direkt auf dein Handy!

    Weitere News