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Samstag, April 20, 2024
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    Call Center Kolumne: Ausbildung zum Betrüger

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    Monatliche Kolumne zum Überleben im Mobilfunkdschungel – von Markus Schneider

    Sowohl Neuverträge als auch Vertragsverlängerungen laufen für mindestens 24 Monate – so ist das in der ganzen Branche üblich. Jeder dieser „Abschlüsse“ am Telefon bedeutet somit einen Mindestumsatz von 240 bis weit über 2.000 Euro. Kein Wunder, dass wir – wie ich von KollegInnen erfahren habe – eine für Callcenter relativ lange Schulung von mehr als einer Woche zu durchlaufen hatten.

    Immerhin sind alle KundInnen, die wir nicht überzeugen können, sich weitere zwei Jahre zu binden, im Zweifelsfall verlorene KundInnen, die vielleicht nie wieder kommen. In der Schulung lernen wir also allerhand über Mobilfunknetze, Netzbetreiber, Netzstandards (E bis LTE), Smartphones und Tarife. Vor allem aber: Wie man verkauft.

    Es geht dabei nicht darum, die Wünsche von etwa 30 Prozent der AnruferInnen, die sich melden und genau wissen was sie wollen, richtig entgegenzunehmen. Entscheidend ist, den 70 Prozent der AnruferInnen, die entweder gar nichts kaufen wollen, sondern ein ganz anderes Problem haben oder denjenigen, die sich nur unverbindlich informieren wollten, trotzdem einen „Abschluss“ anzudrehen. Das ist die hohe Kunst des Verkaufs in der Telefonhotline.

    Meine Aufgabe sollte dabei eine ganz zentrale für die Profitmasse des Unternehmens sein: Vertragsverlängerungen. Zentral deshalb, weil Neuverträge in der Regel mit allerlei Rabatten für die ersten 24 Monate daher kommen und meist kaum Zuzahlungen für die modernsten Smartphones geleistet werden müssen. Vertragsverlängerungen stellen KundInnen demgegenüber in den meisten Fällen deutlich schlechter, da zum Beispiel Rabatte wegfallen.

    Für das Unternehmen jedoch bedeutet das, dass die Gewinnmarge gerade nach den ersten 24 Monaten explodiert. Ich schätze, dass die Steigerung 25 bis 100% gegenüber einem NeukundInnen-Angebot beträgt.

    Das Verkaufssystem, in das wir eingeführt wurden, trägt die Handschrift von diversen Psychologen: Im Umgang mit typischen Anfragen an den Kundenservice wurden wir geschult, wenn auch sehr oberflächlich. Der Gedanke dahinter ist, dass alle VerkäuferInnen in der Lage sein sollen, die häufigsten Probleme unmittelbar zu lösen und dieses für die KundInnen erst mal „positive“ Erlebnis sofort nutzen, um dann ein weiteres Produkt des Unternehmens bzw. eine Vertragsverlängerung zu verkaufen. Schwierige Fälle dagegen – weil die Kenntnisse unseres Teams nicht ausreichen oder die KundInnen extrem verärgert sind und sich nicht ohne weiteres beruhigen lassen – sollen jedoch an andere Abteilungen durchgestellt werden.

    Konsequenterweise werden alle KundInnen, bei denen eine Vertragsverlängerung theoretisch denkbar ist (bereits Monate vor Ablauf ihrer Vertragslaufzeit) in die Vertragsabteilung geleitet – ganz unabhängig von ihrem Anliegen: Bei uns kommen also jene, die den Vertrag tatsächlich verlängern wollen, raus, ebenso wie KundInnen, die ihr Online-Konto freischalten wollen, Auskünfte zu ihrer Rechnung brauchen oder beim Unternehmen hunderte Euro Schulden angehäuft haben. Das Ziel ist aber immer gleich: Verlängere den Vertrag!

    Um in wenigen Gesprächsminuten auf die KundInnen möglichst vertrauenswürdig zu wirken, gibt es regelrechte Leitfäden: So soll bei Beschwerden grundsätzliches Bedauern über die unglückliche Situation der KundInnen geäußert werden und die KundInnen sollen darin bestärkt werden, dass ihr Anruf der richtige Schritt war, um das Problem zu lösen. Ja sogar, die richtige Dosis von namentlicher Ansprache muss geübt werden, denn man will sich die psychologischen Erkenntnisse zu Nutze machen, dass die überwiegende Mehrzahl der Menschen am liebsten ihren eigenen Namen hört.

    Auch das Verkaufsgespräch wird unter dem zynischen Slogan „Pack‘s in die Mitte“ strukturiert: Eventuelle Nachteile (zum Beispiel ein hoher Preis, schlechtere Leistungen als im vorherigen Tarif) sollen von angeblichen Vorteilen eingerahmt werden. Wichtig ist den Machern des Konzepts vor allem, dass den KundInnen am Ende etwas Positives im Ohr bleibt.

    In der gleichen Art und Weise sind noch diverse andere Elemente der Gesprächsführung theoretisch durchleuchtet worden, um uns Verkäufern in spe „wertvolle Richtlinien“ an die Hand zu geben. Vorläufiger Zwischenstand: Um in meinem neuen Job erfolgreich im Sinne des Unternehmens zu sein, muss ich lernen, gezielt menschliche Emotionen zu manipulieren.

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