In Nürnberg kam es gestern zum Versuch, einen Afghanen abzuschieben. Da er Widerstand leistete, wurde eine SEK-Einheit hinzugezogen, welche den Stadtteil Gostenhofen belagerte. Noch vor Ort wie auch am Abend organisierte sich spontaner Protest. Rund 600 Menschen kamen zur Demonstration.
Am Dienstag sollte ein Asylbewerber, der in der Austraße im Nürnberger Stadtteil Gostenhof lebte, abgeschoben werden. Nach Angaben des Bayerischen Flüchtlingsrats handelt es sich bei dem Mann um den Afghanen Jan Ali Habibi. Dieser war 2015 auch als Sprecher einer wochenlangen Protest- und Hungerstreikaktion von Geflüchteten am Hallplatz aufgetreten. Die Taliban hatten seinen Vater umgebracht, er selbst floh mit seiner schwer kranken Mutter und seine beiden Geschwistern nach Deutschland. Dort leben sie bereits seit 2010 als als geduldete Flüchtlinge. Habibi besucht derzeit die Abendrealschule. Seinen Abschluss will er im Juni machen.
Dennoch fuhr am Mittag eine Polizeistreife vor, um Habibi abzuholen. Doch dieser widersetzte sich und flüchtete durch ein Fenster in den Innenhof. Dort drohte er den Polizisten, sich etwas anzutun, sollten sie an seiner Abschiebung festhalten. Sie taten es – und forderten dafür ein Sondereinsatzkommando (SEK) und ein bayrisches Unterstützungskommando (USK) an. Dabei handelt es sich um Spezialeinheiten der Polizei, die eigentlich bei schweren Ausschreitungen oder Terrorlagen zum Einsatz kommen sollen. Sie rückten mit Sturmgewehren, Kettenhemden und Zivilfahrzeugen an.
Belagerung des Stadtteils & spontaner Protest
Als erste Maßnahme riegelten sie das Gebiet weiträumig ab, um die Abschiebung doch durchführen zu können. Laut einem Bericht der Website redside.tk konnten sich die BewohnerInnen des Viertels über zwei Stunden nicht frei in ihren Straßen bewegen. Sondereinheiten des SEK standen in militärischen Uniformen und mit Sturmgewehren auf den Straßen. Doch bereits der Einsatz am Mittag wurde trotz des paramilitärischen Auftretens der Polizei von Protest begleitet. Rund 30 BewohnerInnen des Viertels und UnterstützerInnen des Manns solidarisierten sich lautstark und forderten die sofortige Beendigung des Einsatzes. Daraufhin wurden eine Gruppe von Demonstrantinnen vom USK gekesselt und festgehalten.
Nachdem es einer Verhandlungsgruppe nicht gelang, den Afghanen von seiner eigenen Abschiebung zu überzeugen, kam es gegen 13 Uhr zum SEK-Zugriff. Dabei wurden auch zwei Blendschockgranaten eingesetzt, der Mann anschließend festgenommen. Dazu Yuri Hofer, Sprecher der linken Organisation „Organisierten Autonomie“: „Der heutige Polizeieinsatz zeigt ein weiteres Mal, wie weit die Faschisierung in diesem Land voranschreitet. Mit dem martialischen Einsatz will der Staat das Bild von vermeintlich gefährlichen Geflüchteten zementieren. Außerdem soll damit der Einsatz von
paramilitärischen Polizeieinheiten gegen vermeintlich drohende Gefahren im Alltag normalisiert werden.“
Nach seiner Festnahme wurde Ali Habibi in fachärztliche Behandlung übergeben. Laut bayrischem Flüchtlingsrat, der Ali Habibi beriet, habe er aufgrund seiner langjährigen Perspektivlosigkeit eine Depression entwickelt und sei suizidal. In der Beratung habe er mehrfach angekündigt, dass er sich umbringen werde, falls die Polizei versuchen würde, ihn abzuschieben. “Wir fordern deshalb die Behörden auf, die unverhältnismäßige Abschiebung sofort zu beenden”, erklärte Johanna Böhm vom Bayerischen Flüchtlingsrat. “Ein Menschenleben ist wichtiger als das völlig übersteigerte Abschiebeinteresse des bayerischen Innenministers.”
Dennoch wurde Ali Habibi zum Flughafen Leipzig/Halle gebracht, von wo aus am Dienstagabend die nächste Sammelabschiebung nach Afghanistan starten sollte.
Hunderte demonstrieren am Abend
Als Reaktion auf den gewalttätigen Polizeieinsatz und die Abschiebung wurde auf der Website redside.tk ein Aufruf für eine Demonstration um 19:00 Uhr am Jamnitzerplatz veröffentlicht. Diese stand unter dem Motto: „Hände weg von unseren NachbarInnen – Abschiebungen stoppen hier und überall – Gostenhof ist solidarisch“. Am Abend fanden sich dann rund 600 Personen ein.
Die Demonstration zog lautstark über die Austraße vor das Haus, aus dem der Mann abgeschoben wurde. Vor dem Haus wurde sich über die Lautsprecheranlage solidarisch mit Jan Ali Habibi und seiner in Nürnberg verbliebenen Familie erklärt. Immer wieder wurde die Parole „Hände weg von unseren Nachbarn!“ gerufen, auch von den zahlreichen BewohnerInnen Gostenhofs, die sich spontan dem Demozug anschlossen.
Im weiteren Verlauf der Demonstration wurde schließlich bekannt, dass Habibi nicht in den Abschiebeflieger gesetzt wurde und sich auf dem Weg in ärtztliche Behandlung befinde. Für eine bislang unbekannte Anzahl afghanischer Menschen galt das nicht – der Flieger startete planmäßig am Abend.
USK setzt Gewalt gegen Demonstraten ein
Die Demo zog dann über die Feuerleinstraße zum Gerichtsgebäude in der Fürtherstraße. Dort wurde der Demozug erst von der Polizei behindert und dann von behelmten USK Einheiten unter Einsatz massiver Gewalt gestoppt. Dabei erlitten mindestens zwei TeilnehmerInnen Kopfverletzungen, weitere wurden durch Knüppelschläge mindestens leicht verletzt.
Dennoch zog der Zug einige hundert Meter auf der Fürther Straße weiter, bevor er final angehalten wurde. Nach Verhandlungen konnte die Demonstration schließlich weiter durch Gostenhof laufen. Immer wieder wurde die Parole „Hände weg von unseren Nachbarn gerufen“. Auf dem Jamnitzerplatz wurde die Demonstration schließlich beendet.
Kraftvolles Zeichen gegen Abschiebepraxis
Laut einer Pressemitteilung der “Organisierten Autonomie” wurde gestern deutlich, “dass der bayrische Staat nicht vor dem Einsatz massiver Gewalt zurückschreckt, wenn es darum geht, die rassistische Abschiebepraxis durchzusetzen. Eine neue Qualität zeigte sich heute durch den Einsatz schwer bewaffneter Spezialkräfte, die Teile eines Wohnviertels absperren, um einen einzelnen und unbewaffneten Mann festsetzen zu können. All das, um eine Abschiebung durch zu setzen, die am Ende nicht einmal nach Sichtweise der handelnden Ausländerbehörden legitim ist.”
Dazu Yuri Hofer, Sprecher der Organisierten Autonomie: „Heute wurde ein kraftvolles Zeichen gegen die Abschiebepraxis des Staates gesetzt. Geflüchtete und die Solidarität mit ihren Kämpfen lassen sich nicht kriminalisieren. Daran ändern auch der Einsatz von mit Maschinenpistolen bewaffneten Paramilitärs und die zunehmende Faschisierung des staatlichen Gewaltmonopols nichts.”
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