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Dienstag, März 19, 2024
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    Aus dem Leben einer Frau, die in der DDR aufgewachsen ist

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    Ich möchte euch eine Frau vorstellen. Ihr Name ist Helga, sie ist 72 Jahre alt, in der DDR aufgewachsen und lebt nun in Cottbus. Ich habe sie auf dem 1.Mai-Fest des Solidaritätsnetzwerks kennen gelernt. Seitdem habe ich regelmäßig Kontakt zu ihr, veranstalte gemeinsam mit ihr und anderen Frauen ein Frauencafé, und sie teilt viele ihrer Erfahrungen und Erlebnisse mit mir. Was mich sehr interessiert hat, ist die Sichtweise, die sie als Frau auf die DDR hat. – Ein Interview von Emilia Zucker

    Liebe Helga, du bist 1947  zur Welt gekommen. Wie hast du deine Kindheit als Mädchen in der DDR erlebt? Gab es deiner Meinung nach ein klassisches Rollenverständnis Junge-Mädchen?

    Meine Kindheit war eigentlich zunächst sehr geprägt davon, wie wir das in Rollenspielen im Kindergarten gespielt haben. Vater, Mutter, Kind. Also der Vater geht arbeiten, die Mutter macht den Haushalt, die Kinder spielen und gehen in den Kindergarten und wenn sie älter werden, helfen sie im Haushalt mit. Besonders ausgeprägt war, dass Mädchen eben Puppen geschenkt bekamen, die Jungs die Traktoren und Pferdewagen. Im Kindergarten und in der Unterstufe war das so, wie es uns eben auch meine Eltern vorgelebt haben  und ich es auch selbst erlebt hatte.  Aber später änderte sich das entschieden!

    Später, als junge Frau, bist du zur Schule gegangen, hast anschließend mit dem Lehramtsstudium begonnen und hast als Lehrerin  gearbeitet. Wie hast du das erlebt?

    Ich bin bis zur 8. Klasse in die Polytechnische Oberschule gegangen und dann zur Erweiterten Oberschule (EOS), heute also das Gymnasium. Dort habe ich mein Abitur abgelegt. Ab diesem Zeitpunkt wusste ich eigentlich immer noch nicht genau, was ich werden wollte. Aber in meiner Familie waren alle Lehrer. Also begann ich am Institut für Lehrerbildung mein Fachschulstudium als Unterstufenlehrerin. Mathematik und Deutsch für die 1. bis 4. Klasse war für alle Studenten Pflicht. Dann gab es für alle zwei Wahlfächer. Ich habe mich für die Fachrichtungen Zeichnen und Musik entschieden. Ich muss sagen, das waren die schönsten Ausbildungsjahre, die ich hatte. Wir sind alle so kollegial und kameradschaftlich miteinander umgegangen. Auch später als Lehrerin habe ich die Erfahrungen mit den Kindern und den Eltern gemacht, dass wir alle sehr wertschätzend, vertraut und verständnisvoll miteinander umgegangen sind. Das war einfach schön!

    Wenn du die Zeit reflektierst, hast du dich im Verhältnis zu deinen männlichen Lehrerkollegen gleichberechtigt gefühlt?

    Zwischen uns Kolleginnen und Kollegen gab es überhaupt keinen Unterschied. Wir haben die gleiche Bezahlung bekommen, denn wir wurden nach unserer Ausbildung bezahlt, und das ist ja auch gerecht. Zwischen Mann und Frau gab es keine Unterschiede. Unser Lehrerkollektiv hat sehr kollegial zusammengearbeitet und ist für einander eingestanden.

    Hat sich in deiner Laufbahn später noch was verändert?

    Naja, ich war ja schon immer politisch interessiert. Deswegen habe ich nach der Wende  noch ein Studium für Politische Bildung angefangen. Für mich war es damals wichtig bei dem Studium, die Dozenten zu fragen, ob ich meine politische Einstellung den Schülern gegenüber sagen dürfe.  Sie sagten mir, ich dürfe die Kinder nicht indoktrinieren, aber eine eigene politische Position sei schon wichtig. Und da ich schon immer eine linksgerichtete Meinung hatte, war es mir wichtig zu sagen, welche politische Ansicht ich vertrete.  Sonst hätte ich das Studium abgebrochen.

    Was hast du als besondere Errungenschaft in der Entwicklung der DDR für dich als Frau gesehen?

    Für mich war die Gleichberechtigung gut, denn aus meiner frühesten Kindheit kannte ich das anders.  Aber als ich dann erwachsen wurde, war es vollkommen normal, dass wir gleichberechtigt behandelt wurden. Als Frauen hatten wir einige Vergünstigungen. Beispielsweise jeden Monat einen Haushaltstag. Damit wir Wäsche waschen, Fenster putzen konnten,…

    Aber mein Mann hat mir sowieso im Haushalt geholfen. Er hat zum Beispiel gekocht, während ich Fenster geputzt habe. Wir waren also nicht nur staatlich, sonder auch als Ehepaar gleichberechtigt.

    Für uns Frauen gab es eine besondere gesundheitliche Vorsorge. Wir bekamen regelmäßig Termine von einer Kollegin, einer Gewerkschafterin, die direkt dafür zuständig war, uns Termine für den Gynäkologen zu verschaffen. Sodass wir uns nicht gesondert um Termine kümmern mussten und somit entlastet waren.

    Zum Internationalen Frauentag wurden wir besonders geehrt.  Alle Frauen des Kollegiums wurden von den Männern zur Kaffeetafel gebeten und wurden bedient. Mit Kuchen, Musik und Blumen. Für uns Frauen war das immer sehr schön und lustig. Zu jedem Frauentag  wurden Kolleginnen für hervorragende Leistungen ausgezeichnet, entweder mit einer Geldprämie oder auch mit einer Urlaubsreise o.a..

    Ansonsten durften die Frauen zu DDR-Zeiten schon mit 60 in Rente gehen und die Männer mit 65 Jahren. Wir haben so viel Geld verdient, dass wir unabhängig vom Mann finanziell unser Leben bestreiten konnten. Die Kinderbetreuung war für jeden gesichert. Nach der Geburt meines Kindes konnte ich ein Jahr zuhause bleiben, bekam aber kein Geld, dafür war mir mein Arbeitsplatz sicher. Ich konnte am selben Ort, im selben Kollegium meine Lehrertätigkeit wieder aufnehmen.

    Du hast geheiratet und lange Zeit mit deinem Mann zusammengelebt Wenn du es jetzt reflektierst, hast du dich damals gleichberechtigt gefühlt?

    Das kann ich mit ja beantworten, er hat mich auch gleichberechtigt behandelt, nicht so wie bei meinen Eltern. Das war vollkommen normal, alle Männer, die verheiratet waren, waren gleichberechtigt im Haushalt mit tätig. Ich kenne niemanden aus meinem Kollegium, der sich von seiner Frau hat bedienen lassen.

    In unserer Familie gab es frühzeitig auch schon eine gewisse Arbeitsteilung. Nach dem Frühstück hatte jedes Familienmitglied seine Aufgaben. Meine Tochter erledigte schon als Kindergartenkind den Auftrag, täglich die Küche und das Bad auszufegen. Mein Mann wusch das Geschirr nach dem Frühstück ab und ich machte die Betten und wischte Staub.

    Wir haben auch gemeinsam unsere Tochter erzogen, wir waren Vorbilder.

    Dann kam 1989 die Wende. Gab es dann Veränderungen in deinem Leben und in dem der Anderen?

    Ja, das kann man wohl sagen! Was wir alle bitterlich vermisst haben: Theater,  Kino, öffentliche Verkehrsmittel, Schulmittel … das ganze kulturelle Leben! Alles konnten wir uns für wenige Mark in der DDR leisten, da war niemand ausgeschlossen. Theater, Kino, wenn ich mir das überlege … – 25 Pfennige habe ich als Kind für einen Film im Dorf bezahlt.

    Im Arbeitsleben fiel natürlich der Haushaltstag weg.

    Wir hatten alle wenig Geld und haben nicht so viel verdient, aber dafür floss viel in unser „Gemeinschaftsportmonee“, in die Staatskasse. Davon hat die DDR doch alles bezahlt, die ganzen sozialen Leistungen, Straßenbau, Schulbau, Theater, Kino, Lebensmittel, Kitas, Kinderkrippen u.v.m.  Deswegen waren wir ja auch ein Arbeiter-und Bauernstaat! Wir hatten die Diktatur des Proletariats!  Heute pocht der Staat nur auf dem Wort „Diktatur“ herum.  Doch nach der Wende kamen die Produktionsmittel in private Hand und dann war das alles vorbei! Es geht nur noch um den Profit der Reichen, egal, ob jeder sich noch eine bezahlbare Wohnung leisten kann oder nicht!

    Unsere Losung in der DDR „gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ hatte nach der Wende keine Bedeutung mehr. Wir hatten alle die gleichen Berufschancen und waren abgesichert. So etwas wie Altersarmut oder Kinderarmut gab es bei uns nicht.

    Allgemein war unsere Gesellschaft geprägt von Wertschätzung. Es gab viele Anlässe, Feierlichkeiten, bei denen wir und unsere Arbeit geehrt und anerkannt wurden. Wir pflegten alle ein solidarisches, empathisches und freundliches Miteinander. Viele dieser Sachen fielen nach und nach total weg.

    Heute muss sich jeder um seine eigenen Probleme kümmern, früher haben wir das oft im Kollektiv gelöst. Und auch von Staats wegen wurden wir sehr unterstützt. Es gab staatlicherseits gesundheitliche Vorsorgen. Regelmäßig kam zum Beispiel ein großer Röntgenwagen auf die Dörfer und in die Städte, und die Bevölkerung wurde auf evtl. Lungenkrankheiten geröntgt.  So beugte man Tuberkulose vor und konnte Krankheitsherde direkt eindämmen oder verhindern. Viele Ärzte kamen in die Schulen und  Kindergärten und untersuchten die Kinder.  So wurden wir Eltern entlastet und der Staat hatte die Gesundheit der Kinder im Blick. Das war doch gut! Zumal wir für alle genannten Dinge nichts bezahlen mussten!

    Allgemein standen die Kinder und Jugendliche viel mehr im Mittelpunkt. Größere Betriebe hatten eigene Betriebskindergärten, damit die Mütter ihr Kind direkt bei der Arbeit abgeben konnten. Es gab betriebliche Kinderferienlager, es war wirklich sehr entlastend für die Eltern, aber auch einfach schön für die Kinder.

    Gab es deiner Meinung nach Unterschiede zwischen Frauen des Westens und des Ostens?

    Ja, und im Vergleich zu den Westfrauen würde ich sagen, hatten wir ein wesentlich höheres Selbstbewusstsein, weil wir arbeiten gegangen sind und unabhängig von unseren Ehemännern waren.

    Ich war mal zu Besuch bei Bekannten im Westen, da hab ich mir an den Kopf gefasst. Die Mutter hatte zwar einen Beruf, blieb  jedoch seit der Geburt ihrer Kinder als Hausfrau zu Hause. Als früh alle aus dem Haus waren, räumte sie die Kinderzimmer auf, machte die Betten, machte überall Ordnung.  Als die Kinder heimkamen, hatte Mutti alle Arbeiten erledigt. Natürlich stand auch das Mittagessen fertig auf dem Tisch.

    Bei uns hatte jede Schule eine eigene Schulküche, damit die Kinder ein warmes Essen hatten und die Frauen nicht kochen mussten. Für Kinder kostete das Essen 55 Pfennige, egal, ob Schnitzel oder Eintopf. Für uns Lehrer 75 Pfennige. Es gab auch in der Schule täglich eine Milchpause, in der Kinder zwischen weißer Milch, Fruchtmilch und Kakaomilch wählen konnten.  Dass es hierbei um die Gesundheit ging, muss wohl nicht erwähnt werden.

    Zusammenfassend kann ich sagen, dass die Menschen in meiner Generation überwiegend die sozialen Verhältnisse aus der DDR-Zeit vermissen. Ihre geleistete Arbeit in diesen 40 Jahren wurde seit der Wende im neuen Staat nicht geachtet und respektiert. Die Überheblichkeit der Bürger aus den alten Bundesländern sowie vieler Regierungsmitglieder hat uns sehr weh getan.  Deshalb kann ich die Verdrossenheit sehr gut verstehen. Leider läuft dieser Unmut heute in die falsche Richtung. Es hat bereits kurz nach der Wende Menschen gegeben, die auf diese schlimme Entwicklung hingewiesen haben und davor warnten. Leider wurden auf diese Menschen nicht gehört.

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