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Mittwoch, April 24, 2024
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    Das Bildungs- und Teilhabepaket – ein bürokratischer Papiertiger

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    Das Bildungs- und Teilhabepaket der Bundesregierung kommt nur in den wenigsten ALG2-Haushalten an. Von den Kindern und Jugendlichen, die Anrecht auf Förderung hätten, werden nur etwa 15% tatsächlich durch das Paket unterstützt. – Ein Kommentar von Tabea Karlo

    In Deutschland leben fast eine Million sechs- bis 15-Jährige in einem Haushalt, der Arbeitslosengeld II (umgangssprachlich auch “Hartz IV” genannt) bezieht. Diesen Kindern und Jugendlichen steht das sogenannte Bildungs- und Teilhabepaket der Bundesregierung zu. Zumindest in der Theorie.

    Das hat der Paritätische Wohlfahrtsverband nun genauer untersucht. Dafür hat er Daten der Bundesagentur zur Arbeit zur Hilfe genommen. Eben diese Daten zeigen, dass in der Realität gerade einmal 15% der Kinder und Jugendlichen, denen Geld aus diesem Paket zustünde, es auch beziehen. Der Verband selbst nennt die Ergebnisse der Studie ein „Armutszeugnis“. Der Hauptgeschäftsführer Ulrich Schneider geht sogar noch weiter: „Das Bildungs- und Teilhabepaket ist und bleibt Murks.“

    Was genau ist das Bildungs- und Teilhabepaket?

    Das Bildungs- und Teilhabepaket wurde vor rund acht Jahren von der damaligen Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (heute Präsidentin der Europäischen Kommission) eingeführt. Es soll Kindern und Jugendlichen aus einkommensschwachen Familien ermöglichen, am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben. Dafür gibt es dann staatliche Zuschüsse, teilweise in Form von Geld oder auch in Gutscheinen. Dabei werden vor allem Klassenfahrten, Schulmaterial, Mittagsessen oder auch die Mitgliedschaft in Sportvereinen und Musikschulen gefördert.

    Erst einmal klingt das alles sehr gut, doch in der Realität ist das Ganze leider eine ziemliche Farce: Familien, die Gelder beantragen wollen, müssen vierseitige Formulare ausfüllen, Unterschriften einholen, Belege einreichen und Kopien erstellen, um gefördert zu werden. Das bedeutet erstens, dass es wenig bis keine Hilfe für Menschen gibt, die nicht verstehen, wie diese Formulare bearbeitet werden müssen. Zweitens, dass Eltern mit Kindern ewig durch die Gegend fahren müssen, damit ihnen irgendwer irgendeine Bescheinigung ausstellt oder unterschreibt. Und drittens, dass Gelder für Kopien, ÖVNP, Porto, etc. ausgegeben werden müssen – Gelder, die man eigentlich nicht so locker hat.

    Das führt nicht nur zu zusätzlichem Stress für die Eltern der Kinder und Jugendlichen, sondern fördert auch Ausgrenzung. Vor Bekannten oder Lehrpersonal die finanzielle Lage eingestehen zu müssen, kann schon äußerst belastend sein und außerdem auch dazu führen, dass man auf Grund seiner sozialen Herkunft weiter ausgegrenzt wird. Dieser Effekt wird zusätzlich dadurch verschärft, dass teilweise Gutscheine statt Geld ausgezahlt werden. Einen Gutschein vorzuzeigen, der quasi eine Bestätigung dafür darstellt, dass man sich in einer schlechten finanziellen Situation befindet, zwingt einen dazu, sehr persönliche Details vor wildfremden Menschen offen zu legen.

    Förderung nur ein Tropfen auf dem heißen Stein

    Hinzu kommt, dass die Förderung einiger Punkte so gering ist, dass sie nicht annähernd ausreicht, um den Kindern und Jugendlichen ernsthafte Teilhabe an der Gesellschaft zu ermöglichen. Bis Mitte diesen Jahres konnte man maximal 100 Euro im Jahr bekommen, um Schulranzen oder Hefte zu kaufen, seit August wurde diese Grenze auf 150 Euro erhöht. Dabei kostet ein neuer vernünftiger Schulranzen zwischen 150 und 250 Euro. Die Förderung für den Besuch einer Musikschule oder eines Sportvereins beträgt seit August 15 statt nur 10 Euro. Wenn man sich jedoch die Preise für eine Stunde in der Musikschule ansieht oder eines Kinobesuchs, dann ist schnell klar: diese „Unterstützung“ hilft den Familien kaum.

    Die Förderung ist zwar leicht gestiegen, die Teilnehmerzahlen sind es jedoch nicht. Genau wie im letzten Jahr bleibt die Anzahl der Familien, die das Paket in Anspruch nehmen, verschwindend gering. Die regionalen Unterschiede dabei sind enorm. In manchen Gebieten erreicht das Programm bis zu 90% der Menschen, die gefördert werden können. Dabei liegt der Anteil der bewilligten Anträge in Schleswig-Holstein mit 45% am höchsten. Im Saarland und in Rheinland-Pfalz ist er mit gerade einmal 8% am geringsten. Selbst in Berlin, wo die Quote der Menschen, die ALG2 beziehen, vergleichsweise hoch ist, nehmen nur etwa 10% der Familien, denen es zustünde, das Angebot in Anspruch.

    Was ist die Alternative?

    KritikerInnen, zu denen unter anderem der paritätische Wohlfahrtsverband, aber auch die SPD, Grüne und Linke zählen, fordern schon lange, das Paket komplett abzuschaffen. Stattdessen solle es ersetzt werden durch eine Art „Kindergrundsicherung“, die monatlich an einkommensschwache Familien ausgezahlt wird. Ob diese dann nicht mit einer ähnlich starken Bürokratie verbunden sein wird, bleibt abzuwarten.

    • Perspektive-Autorin seit 2017. Berichtet schwerpunktmäßig über den Frauenkampf und soziale Fragen. Politisiert über antifaschistische Proteste, heute vor allem in der klassenkämperischen Stadtteilarbeit aktiv. Studiert im Ruhrpott.

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