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Mittwoch, Mai 8, 2024
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    Corona: der freiwillige Ausnahmezustand

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    Welche Auswirkungen hat das Corona-Virus auf unsere demokratischen Rechte? – Ein Kommentar zum Umgang der BRD mit dem Corona-Virus von Paul Gerber

    “Eine Republik oder ein Fürst müssen sich den Anschein geben, als täten sie aus Großmut, wozu sie die Notwendigkeit zwingt.” So hat Niccolò Machiavelli einst eine Grundregel für jeden, der herrschen will, auf den Punkt gebracht. Herrschen wollen auch die deutschen KapitalistInnen und möglichst erfolgreich obendrein. Was die BRD – ihr Staat – daher im Angesicht des Corona-Virus tut, muss auch aus diesem Blickwinkel analysiert werden.

    Und das Corona-Virus drängt sich tatsächlich als Notwendigkeit auf, zu der die Herrschenden dieses Landes sich unbedingt verhalten müssen. In der Presse und auch in den Gedanken und Gesprächen vieler Millionen Menschen herrscht Angst vor dem Virus, und die Frage geht um, wer zu der sogenannten Risikogruppe gehört. Ist nur das Leben von Menschen ab 70 vom Virus bedroht oder auch das von AsthmatikerInnen und anderen Vorerkrankten?

    Das Virus ist an allem schuld

    Vom Virus scheint derweil auch die Weltwirtschaft befallen zu sein, wenn man den Schlagzeilen Glauben schenkt. Mittlerweile gesteht die Wirtschaftspresse ein, dass eine Krise wohl nicht zu verhindern sein wird. Schuld sei Corona. Andere Faktoren wie die seit Jahren entwickelten und diskutierten Spekulationsblasen, Überkapazitäten in der Industrie oder der verschärfte Handelskrieg zwischen den Großmächten treten der Pandemie gegenüber in den Hintergrund.

    Es ist daher ratsam, sich einige Monate zurück zu erinnern. Schon im letzten Jahr quollen die Buchläden von mehr oder weniger prophetischen Abhandlungen über den „größten Crash aller Zeiten“ über, und die Turbulenzen an den Börsen nehmen seit Jahren zu.

    Es ist sehr durchschaubar, aber dennoch wichtig zu betonen: Corona ist nicht die Ursache der kapitalistischen Krise, die Epidemie ist höchstens ein weiterer Faktor, der den momentanen Börsencrash auslöst. Für die Regierung ist somit Corona eine willkommene, geradezu schicksalhafte Ausrede, um den aus unseren Steuern finanzierten Staatshaushalt mit beiden Händen an die Unternehmen zu verschenken.

    Die Ängste der deutschen Industrie

    Corona hat dennoch Auswirkungen auf die kapitalistische Weltwirtschaft – das muss zugegeben werden – und was wichtiger ist: das Virus könnte noch viel massivere Auswirkungen entfalten. Die deutsche Industrie wird ja tatsächlich von ausfallenden Zulieferern getroffen. Momentan steht allerdings das Gejammer der Tourismus- und Gastronomiebranche im Vordergrund.

    Gleichwohl müssen wir festhalten: das Herzstück der deutschen Wirtschaft, die Industrie, ist bisher kaum betroffen – zumindest nicht durch erkrankte oder in Panik verfallende Belegschaften. Eine Situation, in der man den Menschen – nachdem man sie erst durch tägliche Nachrichtenmeldungen in Angst und Schrecken versetzt hat – verklickern muss, dass es keinen Grund darstellt, zu Hause zu bleiben, wenn der Kollege oder die Kollegin am Fließband Corona-positiv ist, will man wohlweislich vermeiden.

    Das ist das hauptsächliche Motiv, warum der Staat – verkörpert durch Gesundheitsminister Spahn und Kanzlerin Merkel, flankiert von MedizinerInnen – uns alle väterlich bei der Hand nimmt und sagt, was zu tun ist.

    Die Virologen haben dabei schon offen ausgesprochen, dass nach ihrer Meinung ohnehin mindestens 70% der Bevölkerung das Virus bekommen müssen, um es überhaupt aufhalten zu können. Ihnen geht es lediglich um die Kontrolle des Tempos, in dem es sich ausbreitet. Genau darum geht es: Eine unkontrollierte Panik und Ausbreitung des Virus zu verhindern.

    Ein willkommenes Szenario

    Eine vom Staat kontrollierbare Panik, wie sie gerade mit viel Fingerspitzengefühl aufgebaut wird, hat jedoch aus Sicht der Herrschenden nicht nur Schlechtes. Schon lange wünscht sich der Staat Möglichkeiten, uns wieder auf härtere Zeiten, zum Beispiel während neuer Kriege, vorzubereiten. Als der damalige Innenminister De Maizière vor vier Jahren die Bevölkerung aufrief, sich Vorräte anzulegen, um zwei Wochen unabhängig überleben zu können, brachte ihm das vor allem Spott ein. Heute sind die Supermarktregale tatsächlich leer gefegt.

    Solange der Coronavirus ein chinesisches Problem war, wurde hierzulande von den Maßnahmen der chinesischen Regierung mit subtiler Kritik berichtet: die Rede war von „drastischen Einschränkungen“ und „Einschränkungen der Bewegungsfreiheit“. Klar, China ist sowieso ein autoritäres Regime.

    Macht hingegen die italienische Regierung zunächst einen Teil des Landes mit 12 Millionen EinwohnerInnen über Nacht zur Sperrzone und – als Reaktion auf die Fluchtversuche der Menschen aus diesem Sperrgebiet – kurz darauf das ganze Land, wünscht ihnen Kanzlerin Merkel alles Gute in diesen schweren Zeiten.

    Mit Massenüberwachung und Ausnahmezustand gegen den Virus

    Auch in Deutschland lassen sich plötzlich Dinge durchsetzen, die vor wenigen Monaten so nicht vorstellbar gewesen wären. So werden alle Menschen, die aus sogenannten Risiko-Ländern einreisen, gesondert registriert. Sowohl in Brandenburg als auch in NRW sind ganze Städte unter Quarantäne gestellt worden, und die medizinisch verbrämten „Experten“ vom Robert-Koch-Institut denken schon mal laut darüber nach, ob man nicht die gesamten Handy-Daten aller Erkrankten nutzen könnte.

    Die Mehrzahl der Bundesländer hat mittlerweile Verbote von Veranstaltungen über 1.000 Menschen erlassen. Neben Konzerten und Fußballspielen sind auch Demonstrationen davon betroffen. Gut möglich, dass die Polizei die Großdemonstrationen gegen Mietenwahnsinn am 28.3. und vielleicht sogar den 1. Mai in vielen Städten versuchen wird, zu verbieten. Die Gewerkschaften haben ihrerseits bereits Streiks und Demonstrationen für die kommenden Lohnrunden abgesagt.

    Wir können die Situation so zusammenfassen: Hier wird portionsweise ein Ausnahmezustand verhängt – und die Leute finden es gut. Das zieht sich bis in die linke Bewegung hinein.

    Es gilt Widerstand zu leisten. Das heißt nicht, dass wir die Gefährlichkeit dieses Virus unterschätzen und uns ohnehin sinnvollen Hygiene-Maßnahmen, wie in die Armbeuge zu husten, verweigern. Das heißt auch nicht, dass wir das Virus für eine Verschwörungstheorie der Herrschenden erklären und auf unsere gesundheitlich geschwächten Mitmenschen keine Rücksicht nehmen.

    Es heißt, dass wir nicht jede beliebige Maßnahme, jede beliebige Einschränkung unserer Grundrechte, die mit dem Virus begründet wird, widerspruchslos hinnehmen. Es heißt, dass wir nicht alles unhinterfragt akzeptieren, was aus dem Mund von staatlich bezahlten MedizinerInnen kommt. Das heißt, weiter selbstbewusst Aktionen zu machen, selbst wenn andere das Virus zum Anlass nehmen, jedwede öffentliche politische Arbeit zu verurteilen.

    Gerade jetzt in der Krise gilt es den Ausnahmezustand nicht zu akzeptieren, sondern ihn zu durchbrechen – so wie es in Frankreich gemacht wurde: Auf der Straße.

    • Paul Gerber schreibt von Anfang bei Perspektive mit. Perspektive bietet ihm die Möglichkeit, dem Propagandafeuerwerk der herrschenden Klasse in diesem Land vom Standpunkt der Arbeiter:innenklasse aus etwas entgegenzusetzen. Lebensmotto: "Ich suche nicht nach Fehlern, sondern nach Lösungen." (Henry Ford)

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