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Sonntag, April 28, 2024
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    Meilenstein oder Hindernis? – Das Berliner Antidiskriminierungsgesetz und die Innenministerkonferenz

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    Das neue Antidiskriminierungsgesetz des Berliner Senats sorgte auf der Innenministerkonferenz in Erfurt für viel Furore. Das Gesetz hat aber einen wichtigen Kontext – und der darf nicht vergessen werden. – Ein Kommentar von Pauline Lendrich

    Die bereits 212. Sitzung der Innenminister der Länder tagte vom 17. bis 19. Juni in der Thüringer Landeshauptstadt Erfurt. Die Innenministerkonferenzen werden seit Jahren äußerst kontrovers diskutiert: Weder das Tagesprogramm noch Beschlüsse im Detail gelangen an die Öffentlichkeit. Wie jedes Jahr organisieren sich Protestierende, während scheibchenweise Informationen nach außen gehen.

    Ein Thema flammte jedoch auf wie augenscheinlich nie zuvor, wie der SPIEGEL berichtete: Am 4. Juni 2020 beschloss das Abgeordnetenhaus des Berliner Senats das Landes-Antidiskriminierungsgesetz, das LADG. Und das löste unter den Innenministern und einer Innenministerin mehreren Medienberichten zufolge große Aufregung, viel Diskussion und schließlich auch eine Einigung aus.

    Das LADG hat nach eigenen Angaben das Ziel, Rassismus-Betroffenen den Klageweg in Berlin zu erleichtern, wenn sie gegen öffentliche Behörden vorgehen möchten. Das soll passieren, indem zum Beispiel PolizeibeamtInnen nachweisen müssen, dass sie weder gegen das Antidiskriminierungsverbot noch das Maßregelungsverbot verstoßen haben. Dabei kann die betroffene Person Schadensersatz geltend machen.

    Für Aufregung sorgte zur Innenministerkonferenz (IMK), dass damit Polizeimitarbeitende des Bundes nun belastet und einem Generalverdacht ausgesetzt seien – denn es läge nun an ihnen, zu beweisen, dass sie sich nicht eines diskriminierenden Verhaltens schuldig gemacht hätten.

    Berlins Innensenator Geisel von der SPD argumentierte, es handele sich lediglich um eine Erleichterung – nicht um eine Umkehr. Brandenburger Innenminister Stübgen antwortete gegenüber der tagesschau, dass sei so, als wäre man “nur ein bisschen schwanger.”

    Das LADG: Zweistufige Beweiserbringung

    So einfach ist es jedoch nicht. Das LADG arbeitet in einem zweistufigen Verfahren (hier gibt es alle Informationen vom Land Berlin zum Gesetz). Im Detail heißt das: Eine betroffene Person muss vor Gericht glaubhaft machen, dass eine Diskriminierung stattgefunden hat. Ein Richter oder eine Richterin entscheidet dann, was wahrscheinlicher ist: ob die Diskriminierung stattgefunden hat oder nicht. Diese richterliche Überzeugung ist wichtig für die zweite Stufe.

    Denn erst danach folgt die sogenannte Umkehrung der Beweislast. Sprich: Polizeibeamte müssen nach dieser Entscheidung beweisen, dass die Diskriminierung nicht stattgefunden hat.

    Aber auch bei einer erfolgreichen Klage werden PolizeibeamtInnen nicht individuell zivilrechtlich verfolgt. Stattdessen kann es zu einer Schadensersatzzahlung kommen, die die entsprechende Polizeibehörde leisten muss.

    Wie beweist man Unschuld – oder Diskriminierung?

    “Die Dunkelziffer, ist bei Diskriminierung sehr hoch.”

    Auf den ersten Blick scheint es verständlich, dass das LADG die Bundespolizei nervös macht. Wie beweist man etwas, was im Ernstfall schwer zu beweisen ist? Wie beweist man die eigene Unschuld, wenn ein Vorfall größtenteils auf verbalen Äußerungen oder Verhalten beruht?

    Genau das ist aber bei Diskriminierung oft der Fall. Auf den zweiten Blick ist es nämlich eine Frage der Relation, also der Gesamtumstände. Denn das LADG fängt Probleme auf, die es mit Beschwerden über Diskriminierung gibt. So ist das „Underreporting“, also die Dunkelziffer, bei Diskriminierung sehr hoch.

    Fälle von Diskriminierung gibt es immer und überall – Strafverfahren dagegen weitaus weniger. Nachdem das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz, das AGG, im Jahr 2006 in Kraft trat, folgte viel Kritik, denn man fürchtete Klagewellen. Die blieben jedoch aus.

    Stattdessen gibt es auch vor dem AGG vielfach das Problem, dass viele Menschen nicht klagen. Verfahren kosten Geld und viel mentale wie emotionale Energie, traumatische Erfahrungen müssen ständig wieder durchlebt werden – ähnlich wie bei Strafprozessen wegen Vergewaltigung und sexuellen Missbrauchs. Zusätzlich ist die Beweislast für Klagende sehr hoch. Und vor dem AGG sind Verbandsklagen schon gar nicht möglich.

    Tatsächlich wird das neue Gesetz eher ein Tropfen auf dem heißen Stein sein. Beim AGG ist das ähnlich. Im Jahr 2019 berichtet die Antidiskriminierungsstelle des Bundes von über 3.000 Beratungsanfragen im Kontext des AGG, und zusätzlich über 1.000 gemeldete anonyme Hinweise im Internet. Ein Großteil davon betrifft die ethnische Herkunft oder Hautfarbe.

    Dagegen stehen die vielen privaten und persönlichen Erfahrungsberichte, die immer wieder Teil des öffentlichen Lebens sind – aber nicht Teil einer Statistik: AutorInnen, BloggerInnen, PolitikerInnen, berichten in Büchern, im Fernsehen, in den sozialen Medien. Die weltweiten Proteste gegen strukturellen und unterschwelligen Rassismus und Polizeigewalt der letzten Wochen bilden den Höhepunkt.

    Erneut Zehntausende gegen Polizeigewalt und Rassismus

    Das AGG sollte hier Abhilfe schaffen, doch es deckt nur das Arbeitsrecht und den Zivilrechtsverkehr ab. Es bietet bisher keinerlei Schutz oder Rechtsansprüche bei Diskriminierung, die durch öffentliche Behörden verübt wird.

    “Die Erfurter Erklärung ist nichts weiter als eine Floskel”

    Genau diese Lücke versucht das LADG nun zu schließen. Doch der Erfolg von Betroffenen, sich Recht gegenüber der Bundespolizei einzuklagen, wird stark abhängen von verschiedenen Faktoren: dem oder der RichterIn; der mentalen Standhaftigkeit Betroffener; der Fähigkeit, einen emotionalen und sehr persönlichen Sachverhalt so darzustellen, dass er glaubhaft bleibt.

    Man kann also sagen „Ich bin schwanger“ oder eben nicht. Aber so einfach ist es im öffentlichen Leben und Rechtsansprüchen bei Diskriminierung eben leider nicht.

    Dennoch gab es eine Art Einigung bei der IMK in Erfurt. Am 19.6. wird die “Erfurter Erklärung 2020” vorgelegt, wie der SPIEGEL berichtete. In dieser stärken die MinisterInnen den PolizeibeamtInnen den Rücken und fügen hinzu: “Die Polizei muss in besonderer Weise Vorbild sein! Darum dulden wir auch keinerlei Extremismus und Rassismus in den Reihen der Polizei.“

    Die Kritik der InnenministerInnen am neuen Gesetz jedoch steht. Damit bleibt die Erfurter Erklärung nichts weiter als eine Floskel, die dazu dient, einen echten Kampf gegen Diskriminierung und Rassismus auch in den eigenen Reihen zu verhindern.

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