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Dienstag, März 19, 2024
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    Kein Grund zur Freude: Die Anerkennung des Völkermordes an den Armenier:innen durch die USA

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    Zum 106. Gedenktag des Völkermordes an den Armenier:innen durch das Osmanische Reich hat der Präsident der Vereinigten Staaten, Joseph Biden, den Genozid offiziell anerkannt. In einem Statement aus Washington heißt es: „Das amerikanische Volk ehrt all jene Armenier, die in dem Völkermord, der heute vor 106 Jahren begann, umgekommen sind.”. Dieser Schritt ist eigentlich selbstverständlich und dennoch kein Grund zum Feiern. – Ein Kommentar von Emanuel Checkerdemian. 

    Die Türkische Republik reagiert darauf bisher sehr verhalten. Und dennoch ist diese Anerkennung des Völkermordes durch die USA kein wirklicher Grund zum Feiern. Sicher, die internationale Anerkennung ist ein wichtiger Meilenstein für alle Armenier:innen, gerade nachdem man sie doch über 100 Jahre ignoriert hat. Dass dieser – eigentlich selbstverständliche – Schritt nun wohl mit dem Blut der Kurd:innen bezahlt wird, macht ihn hingegen unbrauchbar.

    72 Jahre zu spät – Keine echte Anteilnahme, sondern Interessenspolitik

    Bereits seit dem vergangenen Donnerstag kündigte es sich an: verschiedene Medien vermeldeten, dass das Weiße Haus wohl in einem Statement am 24. April offiziell von einem Völkermord sprechen werde. Eine Ankündigung, welche die Armenier:innen weltweit, vor allem in der Diaspora, aufatmen ließ. Diese offizielle Anerkennung ist für sie dabei essentiell, weil das Leid dieses Volkes durch fehlende Anteilnahme schlichtweg negiert wird.

    Es ist eine Farce, dass die Staaten, die schon 1948 die „Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes“ ratifiziert haben – oder ihr später beigetreten sind –, heute überhaupt noch Zweifel an der richtigen Bewertung zeigen. So haben die imperialistischen Staaten des Westens allesamt erst mit dem neuen Millennium begonnen, die Gräuel von 1915 und den darauffolgenden Jahren als Genozid anzuerkennen. Und das, obwohl der Verfasser der Konvention, Raphael Lemkin, diese unter dem Eindruck der Aghet (Völkermord an den Armenier:innen) und der Shoah schrieb.

    Gerade in den Vereinigten Staaten war diese Anerkennung, anders als bspw. in Deutschland, wo keine sozialen Proteste der Bundestags-Resolution voran gingen, Produkt eines langen Kampfes. In den USA, wo schätzungsweise bis zu 1,5 Millionen Armenier:innen leben, waren armenische Organisationen in den letzten Jahren immer intensiver damit beschäftigt, Washington zur Anerkennung zu bewegen. Dabei stellte zum Beispiel das „Armenian National Committee of America“ eine einflussreiche Interessenvertretung der armenischen Community dar.

    Aber auch Prominente wie Kim Kardashian, Kanye West oder die Band “System of a Down”, sowie armenischstämmige Politiker:innen bauten öffentlichen Druck in den USA auf.

    Schon der ehemalige Präsident Barack Obama sagte (vor seiner Amtszeit), dass es sich bei den Massakern von 1915-1917 um einen Völkermord handele. Den Akt der Anerkennung machte er allerdings nie offiziell. In einzelnen Bundesstaaten ist die Anerkennung wiederum schon seit Jahren geschehen. Fast zwei Jahrzehnte nach seiner Aussage haben sich die Proteste der Armenier:innen in Amerika nun also durchgesetzt.

    Dies ist allerdings nicht als tatsächliche Anteilnahme zu verstehen, sondern reine Interessenpolitik des Staates, um gleichzeitig die antikommunistische und kriegstreiberische Außenpolitik in Bezug auf die Offensive gegen Kurdistan zu verwischen. Als „zivilisierter Staat“ war es unvermeidlich, dass die USA irgendwann gleichziehen mussten und – wie es zahlreiche Länder vor ihr getan haben – den Völkermord anerkennen würden. Die große armenische Minderheit im Land hat diesen Druck nur verstärkt.

    In einem Telefonat mit dem türkischen Präsidenten Erdogan unterrichtete Joseph Biden seinen Amtskollegen von dem bevorstehenden Statement. Dieser verhielt sich, wie seine ganze Regierung, verhältnismäßig zurückhaltend. Kein Vergleich zu vergangenen Resolutionen und Anerkennungen.

    Dies hat mit der, seit Freitag stattfindenden, Offensive der türkischen Streitkräfte in Südkurdistan zu tun.

    Der US-Imperialismus ist kein Verbündeter – Solidarität mit Kurdistan

    Im Windschatten der Erklärung aus Washington gab die Regierung-Biden nämlich auch grünes Licht für eine neue Offensive der türkischen Armee auf die kurdischen Gebiete im Norden des Iraks. Kein Wunder also, dass aus Ankara – bis auf das obligatorische Einbestellen des amerikanischen Botschafters – keine größeren Reaktionen folgten. Das Telefonat vom Freitag hat also die Beziehungen der USA und der Türkei überhaupt nicht verschlechtert, wie es von vielen Stellen behauptet wird.

    Im Gegenteil: Hat die reaktionäre trumpistische Ex-Regierung mit ihrer imperialistischen Politik noch für eine angespannte Lage zwischen den beiden Ländern gesorgt, ist der nun eingeschlagene Weg einer der (wieder engeren) Zusammenarbeit mit der Türkei. Im Februar erklärte der türkische Präsident Erdogan noch, dass sich die USA auf die Seite von Terroristen stellen würden. In der Vergangenheit kam es zu Kooperationen von US-Kräften und kurdischen Einheiten gegen islamistische Milizen. In Folge des Telefonats von Freitag konnte die türkische Armee eine Offensive gegen Kurdistan starten, ohne weiteren Widerstand der USA befürchten zu müssen.

    So begann man Angriffe auf die Gebiete Metîna und Avaşîn und weitete diese auf die Zap-Region aus. Kurdische Einheiten leisten zwar heroischen Widerstand, nichtsdestotrotz sind Krieg und Tod die wenigen Konstanten im Leben der Menschen vor Ort. Ein Krieg, den islamistische Schergen und der türkische Faschismus vor allem auch gegen die Zivilbevölkerung führen.

    Dem Kriegstreiber und radikalen Antikommunisten Joseph Biden ist die Anerkennung des Völkermordes an den Armenier:innen dabei willkommener Anlass, den „Kampf gegen den Kommunismus“, unter den auch die räte-demokratischen kurdischen Gesellschaftsprojekte fallen, wieder zu forcieren.

    Bereits in seiner Vergangenheit hatte Biden als US-Senator in Delaware Einfluss auf die Außenpolitik der Vereinigten Staaten. Als Vorsitzender des „United States Senate Committee on Foreign Relations.“ gehörte er bereits in den 1980er Jahren zu den profiliertesten Außenpolitikern des Kongresses. Dabei ist auffällig, dass in „seinem“ Kampf gegen den Sozialismus immer wieder die Unterstützung islamistischer Banden im Zentrum der Strategie steht. Sei es im sowjetisch-afghanischen Krieg, den er – zugegeben noch mit vergleichsweise wenig Renommee – unterstützte, dem NATO-Überfall auf Jugoslawien oder eben jetzt im Nahen Osten.

    Zwischendurch unterstützte er aber auch Kriege gegen die, von der USA hochgezüchteten, islamistischen Terrororganisationen (Afghanistan 2001). Mit der nun stattfindenden aggressiven Außenpolitik der USA lässt Biden keinen Zweifel daran, dass die Abwahl Donald Trumps – trotz gestenreichem „diversity & equality“ Wahlkampf – keine Verbesserungen für die Unterdrückten dieser Erde mit sich bringt. Für Armenier:innen ist diese Anerkennung also keine tatsächliche Erleichterung, morden die türkischen Barbaren doch auf ihrem Rücken nun die Kurd:innen.

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