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Zeitung für Solidarität und Widerstand

Afghanistan: Endlich sind die Besatzer weg!

Nach knapp zwanzig Jahren enden der Auslandseinsatz der Bundeswehr und der NATO in Afghanistan mit einer überstürzten Flucht. Afghanistan ist ruiniert, aber gerade deswegen ist der Truppenabzug überfällig. – Ein Kommentar von Paul Gerber

Allen Bemühungen der deutschen Politiker:innen zum Trotz: Dass die Bundeswehr aus Afghanistan nicht nur überstürzt abzieht, sondern faktisch vor den Taliban flieht, die diverse Gebiete des Landes im Eiltempo erobern, können sie kaum verleugnen.

Exemplarisch sei an dieser Stelle nur Kundus genannt. Es ist die Provinz, in der 2009 auf Befehl des deutschen ehemaligen Oberst Klein eines der grausamsten Massaker dieses Krieges angerichtet wurde. Die deutschen Truppen hatten diese Region schon im April verlassen und heute melden Beobachter:innen übereinstimmend, dass die Hauptstadt der Region faktisch von den Taliban umzingelt sei.

Insgesamt haben die Taliban seit Mai diesen Jahres 50 der 370 Distrikte des Landes unter ihre Kontrolle gebracht. Dabei erobern sie nicht etwa die abgelegensten und unbedeutendsten Landesteile, sondern insbesondere die unmittelbare Umgebung der Provinzhauptstädte, offenbar mit dem Ziel, sich auf deren Eroberung vorzubereiten, sobald die NATO-Truppen das Land verlassen haben.

Auch die Afghan:innen, die sich bereit erklärt hatten, für die Besatzer zu arbeiten, verfallen angesichts dieser Entwicklung in Panik und fürchten nun die Rache der Taliban. Allein die US-Botschaft bearbeitet momentan 18.000 Sonderanträge für Visa aus diesem Grund.

Es lässt sich nicht beschönigen: Der Afghanistan-Krieg endet für die Bundeswehr mit einer Niederlage.

NATO hinterlässt ein ruiniertes Land

Die Leidtragenden dieses Krieges waren in erster Linie die einfachen Menschen des Landes. Viele von ihnen gerieten zwischen die Fronten der Besatzer und der von ihnen gestützten Regierung und den Taliban oder anderen sogenannten „Warlords“.

Afghanistan ist nach wie vor eines der ärmsten Länder der Welt, die überwiegende Mehrheit der Stadtbevölkerung lebt in Slums, die Alphabetisierungsquote liegt bei 10%. Überdies hat auch dieser Krieg viele Opfer gefordert.

Den gut 3.500 getöteten Soldaten der Besatzungsmächte stehen 240.000 (von westlichen Beobachtern gezählte) im Krieg direkt durch Kampfhandlungen getötete Menschen in Afghanistan und Pakistan gegenüber. Wer an Hunger oder mangelnder medizinischer Versorgung in Folge des Krieges starb, taucht in dieser Statistik noch nicht einmal auf.

Die Niederlage der Deutschen ist gerecht!

Dass die Bundeswehr sich gemeinsam mit ihren Verbündeten an der Kontrolle dieses bitterarmen Landes kurz vor der chinesischen Westgrenze die Zähne ausgebissen hat, ist gut. Es zeigt, dass selbst die Macht der modernsten Armeen der Welt ihre Grenzen findet, wenn sie auf bewaffneten Widerstand stößt, der sich auf Guerillataktiken und Teile der Bevölkerung stützt – und das ist es, was die Taliban getan haben.

Mit anderen Worten: Die Niederlage in Afghanistan belegt einmal mehr, dass die Bundeswehr nicht unbesiegbar ist, obwohl sie vielerorts auf der Welt mit den verlogenen Slogans „Demokratie“ und „Stabilität“ auf den Lippen als Besatzungsmacht, Ausbilderin für Soldat:innen und Polizist:innen der lokalen Herrscher:innen oder Helferin anderer kriegsführender Mächte agiert.

Ein Sieg des afghanischen Volkes lässt auf sich warten

Die militärische und politische Leistung der Taliban, sich in einem von der NATO besetzten Land über zwanzig Jahre zu halten, muss zwar anerkannt werden; das heißt aber in keiner Weise, dass diese reaktionäre-islamistische Kraft die Menschen in Afghanistan befreien wird.

Vielmehr steht das Land kurz vor einem neuen Bürgerkrieg, bei dem die Taliban in einer ausgesprochen guten Position zu sein scheinen.

Auch andere Großmächte wie China strecken die Arme in Richtung Afghanistan aus und versuchen nun Einfluss zu nehmen – die afghanische (Noch-)Regierung zeigt sich diesen Avancen gegenüber aufgeschlossen. Sie ahnt wohl, dass sie sich ohne ausländische Schutzmacht nicht gegen die Taliban wird halten können.

Die Flucht der alten Besatzer aus dem Land mündet also in eine Situation, in der die Kontrolle des Landes oder der verschiedenen Landesteile erneut an mehreren Fronten ausgefochten wird. Eine Kraft, die dabei konsequent die Interessen des Volkes vertritt, ist noch nicht sichtbar. Dennoch bleibt der Abzug der NATO eine Grundvoraussetzung dafür, dass die Afghan:innen eines Tages selbst über ihr Schicksal entscheiden können.

Paul Gerber
Paul Gerber
Paul Gerber schreibt von Anfang bei Perspektive mit. Perspektive bietet ihm die Möglichkeit, dem Propagandafeuerwerk der herrschenden Klasse in diesem Land vom Standpunkt der Arbeiter:innenklasse aus etwas entgegenzusetzen. Lebensmotto: "Ich suche nicht nach Fehlern, sondern nach Lösungen." (Henry Ford)

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