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Freitag, April 26, 2024
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    Schwierige Aussichten zum Ausbildungsstart 2021

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    Im August und September beginnt das neue Ausbildungsjahr. Viele Jugendliche und junge Erwachsene stehen vor dem Beginn eines neuen Lebensabschnitts, der jedoch weiterhin von Wirtschaftskrise und Pandemie bestimmt wird. – Ein Kommentar von Ivan Barker

    Zwar entspannt sich die Lage in Deutschland tendenziell und Maßnahmen werden gelockert; eine Garantie, dass es so bleibt, gibt es aber nicht. Sollten die Fallzahlen wieder ansteigen, könnten Homeoffice, Distanzunterricht und sogar Kurzarbeit auf die neuen Auszubildenden zukommen. Ihre Kolleg:innen litten das letzte Jahr schon darunter: Vielen Berufsschüler:innen fehlte es an notwendiger Technik und die Wissensvermittlung nahm durch den Onlineunterricht sehr ab. In einer IG-Metall Studie mit über 4.000 Menschen unter 27 gaben 70 Prozent an, dass sich die Situation in der Berufsschule seit Ausbruch der Pandemie verschlechtert habe, 41 Prozent sehen ihre Übernahme in Gefahr. Ganze 52 Prozent der Auszubildenden, dual Studierenden und jungen Beschäftigten haben laut Studie seit Beginn der Pandemie das Gefühl, ihr eigenes Leben nicht mehr kontrollieren zu können.

    Auszubildende als billige Arbeitskräfte

    Keine Kontrolle haben Auszubildende ebenfalls über ihre Ausbildungsvergütung. Die in Tarifverträgen festgelegten Summen unterscheiden sich je nach Branche und Region enorm: Die unterste Grenze sind 325 Euro pro Monat, die Auszubildende im Friseurhandwerk in Thüringen im 1. Ausbildungsjahr erhalten. Die höchste Vergütung erhalten Auszubildende im Bauhauptgewerbe in Westdeutschland im 4. Ausbildungsjahr mit bis zu 1.580 Euro. Zu diesem Ergebnis kam das Tarifarchiv des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts der Hans-Böckler-Stiftung. Es untersuchte 20 ausgewählte Tarifbranchen und veröffentlichte die Ergebnisse Mitte Juli. Im 1. Ausbildungsjahr liegt die höchste Vergütung in den Pflegeberufen bei 1.166 Euro. Diese Zahlen gelten jedoch nur für den Öffentlichen Dienst – in privaten Einrichtungen haben sie keine Gültigkeit. Weiterhin erhalten in 11 der 20 Tarifgebiete Auszubildende in Ostdeutschland weniger Vergütung als ihre westdeutschen Kolleg:innen, meist zwischen 50 und 100 Euro pro Monat; im Friseurgewerbe und der Floristik hingegen machen die Unterschiede mehr als 200 Euro pro Monat aus.

    Aufgrund des Tarifvorrangs im Berufsausbildungsgesetz kann die Ausbildungsvergütung unterhalb der gesetzlichen Mindestausbildungsvergütung von 550 Euro im Monat liegen. Teilweise haben die Gewerkschaften, vorrangig in Ostdeutschland, seit 1995 nicht für die Erneuerung der Tarifverträge gekämpft, das macht diese Unterschreitung möglich. Und selbst in den Branchen, die es ihnen vermeintlich wert sind, in Tarifverhandlungen zu gehen, schenken sie den Kapitalist:innen Nullrunden, wie in der Metall- und Elektroindustrie. Auszubildende erhalten dort nicht einmal die „erstrittene“ Einmalzahlung von 500 Euro, die schon der reine Hohn gegenüber allen Arbeiter:innen ist – für sie bleiben gerade einmal 300 Euro übrig. Die Wirtschaftskrise tut ihr Übriges: Zusätzlich ist die Zahl der Ausbildungsplätze 2021 erstmals seit der deutschen Einheit unter 500.000 gefallen. Die Anzahl abgeschlossener Ausbildungsverträge sank im letzten Jahr um zehn Prozent, gleichzeitig stieg die Jugendarbeitslosigkeit um 25 Prozent.

    Unsere Hoffnung? Gemeinsamer Klassenkampf im Betrieb!

    Diese und unzählige weitere Beispiele zeigen deutlich: Wollen wir tatsächlich etwas erreichen, müssen wir uns eigenständig organisieren und dafür kämpfen. Auf die heutigen Gewerkschaften können weder junge noch ältere Arbeiter:innen hoffen. Dabei ist es für neue, junge Auszubildende besonders wichtig, sich nicht von einem vermeintlichen Generationenkonflikt blenden zu lassen. Nicht die älteren, besser bezahlten Kolleg:innen sind der Feind, sondern der Kapitalismus, der uns alle ausbeutet und klein halten will. Gleichzeitig müssen länger beschäftigte Arbeiter:innen die besonderen Fähigkeiten der Jugend achten und sie als vollwertige Kolleg:innen betrachten, die ebenso eine wichtige Rolle im Klassenkampf spielen. Dann wird es uns möglich sein, für uns alle ein besseres Leben zu erkämpfen!

    • Perspektive-Autor seit 2019 sowie Redakteur der Printausgabe. Auszubildender in der Metallindustrie in Berlin und Hobbykünstler.

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