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Donnerstag, April 25, 2024
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    Zukunftsvisionen der Kapitalist:innen: Sozialkreditsystem bald auch in Deutschland möglich?!

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    Das Forschungsministerium beschäftigt sich derzeit mit „Zukunftstrends“. Doch entgegen ihrer medialen Aufmachung ist die Zukunftsmusik des deutschen Kapitalismus eher eine düstere – und deckt zugleich seine Verlogenheit auf. – Ein Kommentar von Julius Strupp

    Die Zukunftsvisionen des deutschen Kapitalismus

    Unter dem Motto „Vorausschau“ beschäftigt sich das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) derzeit mit sogenannten „Zukunftstrends“. Dazu wurde sogar ein „Zukunftskreis“ ins Leben gerufen, dessen Aufgabe es ist, eben diese zu erkennen.
    Auf der zugehörigen Webseite werden in buntem und farbenfrohem Design Fragen aufgeworfen wie „Was erwartet uns in den 2030er-Jahren“ und „Neugierig, was die Zukunft bringen könnte?“. Nun, wer ist das nicht? Doch es ist nicht alles Gold, was glänzt – gerade, wenn es aus der deutschen Ministerialbürokratie kommt. Doch eben deshalb lohnt sich ein Blick hinter die Fassade, findet sich doch auf der Kampagnen-Seite auch der Aufruf, die Zukunft mit „strategischer Voraussicht“ zu planen.

    Dabei werden verschiedene Szenarien entworfen, etwa der „Wettbewerbsmodus“, der eine weitere „Liberalisierung“ der Wirtschaft bedeuten würde – also Aufweichung bestehender Arbeitsschutzgesetze, weitere Privatisierungen usw.. Als eine andere Möglichkeit wird die „Rückkehr der Blöcke“ genannt, ein Szenario, in dem Deutschland sich in einem brenzligen geopolitischen Umfeld abschotten würde. Demgegenüber steht noch die Annahme eines europäischen Weges, bei dem die EU einen selbstbewussten und eigenständigen Kurs in einem harten globalen Wettbewerb fahren würde.

    Auch ein Verlust von Attraktivität des Wirtschaftsstandorts Deutschland – gepaart mit wachsenden gesellschaftlichen Spannungen – wird in den Raum gestellt („Tempounterschiede“). Es wird klar: Die deutschen Kapitalist:innen und ihr Staat bereiten sich auf alle Eventualitäten vor, um ihre Herrschaft zu festigen.

    Sozialkreditsystem wie in China?!

    Ein weiteres, besonders interessantes Szenario ist das sogenannte „Bonussystem“. Dabei handelt es sich um ein Sozialkreditsystem” ähnlich dem, das bereits in China besteht. In einem solchen System werden Menschen anhand bestimmter Daten bewertet.

    So würden unter anderem Nachbar:innen Noten vergeben oder Überwachungskameras mit Gesichtserkennung etwaiges „Fehlverhalten“ dokumentieren können. Dazu kann auch die Teilnahme an Demonstrationen zählen. In China sind diese Daten unter anderem beim Erwerb von Tickets für Hochgeschwindigkeitszüge oder für etwaige Chefs bedeutend.

    Karim Fathi, Mitglied des Zukunftskreises, meint, dass ein solches “Social-Scoring”-System eine „transparent einsehbare und unternehmensübergreifend vereinheitlichende Bewertungsgrundlage“ zur Folge hätte. Auf dieser Grundlage könne auch künstliche Intelligenz immer mehr Entscheidungen treffen.
    Ein Resultat: Für Menschen, die etwa gegen die Abwälzung der Krisenlasten auf die Arbeiter:innen Widerstand leisten, könnte es hierzulande noch schwieriger werden.

    Während man sich in Deutschland noch über den Überwachungsstaat in China empört, stellt nun gar das Forschungsministerium in Aussicht, dass es ein ähnliches System im nächsten Jahrzehnt auch hier geben könnte.

    Deutschland übernimmt immer mehr vom chinesischen Polizeistaat

    Der vorgebliche Unterschied: Das „Bonussystem“ in der deutschen „Leistungsgesellschaft 2.0“ solle auf „Freiwilligkeit“ aufgebaut sein. Doch das ist ebenso verlogen, wie die Kritik am chinesischen Überwachungsstaat. So kann es bei einem „freiwilligen“ Überwachungssystem sehr wohl der Fall sein, dass man eben keine Wohnung und keinen Arbeitsplatz mehr erhält, sollte man keinen Bonusscore vorweisen können – und damit wäre auch die Freiwilligkeit nichts weiter als eine Worthülse.

    Was heißt das für uns?

    Dass eines der in Erwägung gezogenen Szenarien vollumfänglich eintritt, scheint unwahrscheinlich. Vielmehr werden Komponenten verschiedener möglicher Situationen ineinander greifen und sich in der dynamischen Weltlage ablösen. Es werden also aller Voraussicht nach Bestandteile verschiedener „Zukunftsszenarien“ eintreten. Genau deshalb bereitet sich der deutsche Staat auch in alle Richtungen vor.

    Klar ist jedoch, dass sich die Angriffe auf unsere Freiheiten und Lebensbedingungen weiter verschärfen werden, beispielsweise mit einem immer weiter ausgebauten Überwachungsstaat, in dem ein pseudo-freiwilliges Sozialkreditsystem besteht. Gleichzeitig sind auch eine verstärkte Militarisierung durch die „Rückkehr der Blöcke“ sowie Angriffe auf Arbeiter:innenrechte im „Wettbewerbsmodus“ und ein sinkender Lebensstandard in der langfristigen Strategie des kapitalistischen Systems in Deutschland angelegt.

    Ansätze dafür konnten wir bereits in den letzten Jahren und Monaten mit den neuen Polizeigesetzen, dem neuen Telekommunikationsgesetz sowie unzähligen anderen Gesetzen und Gesetzesvorhaben, der Freiheitsberaubung im Zuge der Corona-Pandemie, aber auch bei den Debatten um eine Erhöhung des Rentenalters beobachten. Getreu dem Sprichwort „Nach den Wahlen kommt das Zahlen“ werden sich die Angriffe auf uns nach den Bundestagswahlen im September wohl noch einmal weiter verschärfen. Auch wenn die vom Forschungsministerium entworfenen Szenarien weit weg zu sein  scheinen: sie sind schon in der heutigen Politik angelegt, und wenn wir uns nicht wehren, kann man uns auch stärker überwachen und unsere Rechte rauben.

    Gleichzeitig muss uns aber auch bewusst sein, dass derartige Angriffe solange nicht abreißen werden, wie das kapitalistische System weiter besteht, solange noch über uns entschieden wird und wir unsere Belange nicht in die eigenen Hände nehmen. Die „Zukunftstrends“ der Kapitalist:innen sind Abwärtstrends für uns. Es ist also an der Zeit, unsere eigene Zukunft zu erkämpfen.

    • Autor bei Perspektive seit 2019, Redakteur seit 2022. Studiert in Berlin und schreibt gegen den deutschen Militarismus. Eishockey-Fan und Hundeliebhaber. Motto: "Für alles Reaktionäre gilt, dass es nicht fällt, wenn man es nicht niederschlägt."

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