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Samstag, November 9, 2024
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    Opfer von faschistischer Folter-Sekte „Colonia Dignidad“ kämpfen weiterhin um Entschädigung

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    Die „Colonia Dignidad“ war eine Sekten-Siedlung in Chile, in der ehemalige Nazis Unterschlupf fanden und die unter der faschistischen Diktatur von Pinochet als Folterort diente. Auch zehn Jahre nach einer zugesprochenen Entschädigung haben Betroffene sie immer noch nicht erhalten. Nun fordern sie Hilfe von der Bundesregierung. Auch Bundestagsabgeordnete der CDU/CSU hatten damals Verbindungen zur Colonia Dignidad.

    Acht Betroffene der Colonia Dignidad haben sich nun in einem Brandbrief an die Bundesregierung gewandt und Außenminister Heiko Maas (SPD) aufgefordert, sich um ihre Entschädigung zu bemühen.

    Auszahlungen von insgesamt 1,25 Millionen Euro seien von der chilenischen Justiz bis heute nicht erfolgt. „Die Bundesrepublik tut bislang nicht, was sie tun müsste“, sagt der Opferanwalt Hernán Fernandez in einer Dokumentation der ARD. „Deutschland schuldet es den Opfern, dass diese entschädigt werden.“

    Die Firmen der Colonia Dignidad, die seit 1988 „Villa Baviera“ heißt, verzögerten die Auszahlungen. Bisher wurden nur vereinzelt Entschädigungszahlungen vorgenommen und chilenische und deutsche Opfer finanziell unterstützt. Damit soll den Betroffenen bei möglichen Psychotherapien, Pflegeansprüchen oder Ausfällen bei Bildung und Arbeit unter die Arme gegriffen werden.

    Paul Schäfer und die christliche Sekte

    Aufgebaut wurde die Colonia Dignidad ab dem Jahr 1961 in Zentralchile. Ihr Gründer Paul Schäfer, der als  Anführer und Prediger bereits in Deutschland Anhänger:innen um sich scharte, war zuvor aufgrund von Ermittlungen wegen Vergewaltigung nach Chile geflohen. Von einem Startkapital und Rentenzahlungen von Mitgliedern, die auf ihn ausgestellt wurden, konnte ein Anwesen erworben werden.

    Er erpresste Beichtende und entführte Minderjährige nach Chile, deren Eltern eine „Chor-Freizeit“ versprochen wurde. Schäfer verkündigte, eine urchristliche Gemeinde in einem gelobten Land zu eröffnen, um sich unter anderem vor einer „sowjetischen Invasion“ in Deutschland zu schützen.

    Dort wurden seine Anhänger:nnen zur Zwangsarbeit verpflichtet, Familien wurden auseinandergerissen, private Gespräche waren verboten, Mitglieder wurden zum Medikamentenmissbrauch gedrängt, und drakonische Strafen standen an der Tagesordnung. Das Gelände selbst war durch Absperrungen, Zäune und Türme gesichert, und den Menschen gelang es nur selten zu fliehen.

    Unterstützung Pinochets

    Neben Waffenschmuggel aus Deutschland unterstützte die Colonia den chilenischen Faschisten Augusto Pinochet, der den Sozialisten Salvador Allende am 11. September 1973 mit Hilfe eines Militärputsches stürzte.

    Die Siedlung wurde während der Diktatur Pinochets (1973-1990) als Operationsbasis des chilenischen Geheimdienstes DINA verwendet. Sie diente dabei der DINA als Folterzentrum oppositioneller Chilenen. Auch sie mussten Zwangsarbeit verrichten, wurden medizinischen Versuchen unterzogen oder ermordet. Dabei halfen ehemalige Mitglieder von SS und Gestapo, die dort Unterschlupf gefunden hatten.

    Obwohl die Colonia 1991 formell geschlossen wurde, konnte sie durch Schäfer bzw. seine Vertreter wiedereröffnet werden. Erst 1996 konnte Paul Schäfer wegen sexuellen Kindesmissbrauchs angezeigt und 2005 festgenommen werden. Er starb 2010 in Haft.

    Mitwissen deutscher Behörden

    Die deutsche Botschaft soll bereits 1967 Informationen darüber besessen haben, dass der flüchtige Schäfer und dutzende Minderjährige sich in der Kolonie aufhielten. Aber selbst in Deutschland soll es auf Seiten der CDU/CSU immer rege Unterstützung für die Siedlung gegeben haben. Deutsche Diplomaten haben bereits während des Bestehens wissentlich weggesehen und die Menschenrechtsverletzungen ignoriert.

    Zu Beginn war die Colonia Dignidad zu einem der größten Wirtschaftsunternehmen Chiles aufgestiegen. Es wurden Gold und Uran abgebaut, und 1989 wurde das Vermögen sogar in Aktiengesellschaften übertragen. Auch von diesen Firmen fordern die Betroffenen seit langem Entschädigungszahlungen.

    Gegen Paul Schäfer im Speziellen und die Kolonie im Allgemeinen wurde vor allem deshalb nicht vorgegangen, weil deren Verflechtungen mit dem Regime Pinochet, die Zusammenarbeit mit ansässiger Polizei und Politikern und das Wegsehen deutscher Behörden sie geschützt haben.

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