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Freitag, April 19, 2024
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    #IhrBeutetUnsAus – Organisierte Ausbeutung von Menschen mit Handicap

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    Mit dem Hashtag „IhrBeutetUnsAus“ wollen in den letzten Tagen Menschen mit Behinderung auf die Ausbeutung in Werkstätten für Menschen mit Handicap aufmerksam machen. Statt Lohn für ihre Arbeit bekommen sie meist nur ein „Taschengeld“, das nur einen Bruchteil des Mindestlohn beträgt.

    Der Twitter-User „Johannissaft“, der selbst in einer Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM) gearbeitet hat, hatte den Hashtag und die Debatte rund um das Thema vor einigen Tagen losgetreten. Nun berichten viele weitere Betroffene von ihren eigenen Erfahrungen, und es werden öffentlich Konzerne genannt, die einige ihrer Produkte in diesen Werkstätten herstellen lassen.

    Einige der Hauptkritikpunkte an den Behindertenwerkstätten sind:

    • Die Beschäftigung in einer WfbM ist das Gegenteil von Inklusion: Die Werkstätten führen dazu, dass Menschen mit Behinderung von nicht-behinderten Menschen abgegrenzt werden. Sie haben keinen Kontakt zueinander, was zu noch mehr Ausgrenzung von Menschen mit Behinderung aus der Gesellschaft und dem gesellschaftlichen Leben führt. Zusätzlich sind die Träger der Werkstätten große Bezieher von Behindertenhilfe. Arbeitsstätte, Wohnort und Freizeitorte sind meist in einem Gesamtkomplex vereint. So entsteht eine komplette Abtrennung von der restlichen Gesellschaft.
    • Beschäftigte Menschen mit Behinderung in den WfbM erhalten keinen Mindestlohn. Sie erhalten gerade einmal einen Lohn von 2 Euro pro Stunde. Das liegt weit unter dem Mindestlohn, obwohl sie zum Teil die selbe Arbeit verrichten wie nicht-behinderte Menschen. Mit einem Stundenlohn von 2 Euro kann man sich kein eigenes Leben aufbauen, auch so wird den Betroffenen eine Teilhabe am gesellschaftlichen Leben verwehrt
    • Die Vermittlungsquote in denArbeitsmarkt liegt seit Jahren unverändert bei unter 1%. Der gesetzliche Auftrag der WfbM lautet hingegen genau das: „Rehabilitation und Eingliederung in den Arbeitsmarkt“. Die Quote zeigt deutlich, dass das System der Werkstätten dazu nicht geeignet ist.

    Ausnutzung als billige Arbeitskräfte

    Konzerne als Kunden oder Betreiber solcher Werkstätten stellen sich als Retter dar und gaukeln nach außen hin vor, sie würden etwas Gutes für die Gesellschaft und für Menschen mit Handicap tun.

    Als Beispiel könnte man Demeter heranziehen. Demeter ist ein deutscher Bioverband, an dem sich auch einige Landwirte beteiligen. Auch sie betreiben Werkstätten für behinderte Menschen, sie nennen sie aber „Lebensorte“. Sie haben „Demeter-Höfe“ gebaut, in denen teilweise über 100 Menschen mit Behinderung leben. Es gibt dort „verschiedene Werkstätten, z.B. Landwirtschaft, Gartenbau, Holzwerkstatt, Kerzenzieherei“. Die Menschen, die auf diesen Höfen leben, sind fast kompletvollständig vom Rest der Gesellschaft isoliert. Da sie an einem Ort leben und arbeiten, sind sie immer verfügbar und können oft auch körperlich harte Arbeit verrichten.

    Ein Träger für Behindertenhilfe schreibt auf seiner Website etwa: „Arbeit in Werkstätten: Ein freiwilliges Beschäftigungs-Angebot“. Hier wird Arbeit, die sich in ihrer Qualität nicht allzu sehr von der Arbeit nicht-behinderter Menschen unterscheidet, zynisch als „freiwilliges Beschäftigungs-Angebot“ beschrieben. Der Kapitalismus hat sich mit diesen Werkstätten damit ein riesiges Feld geschaffen, wo er Arbeitskräfte nach Belieben  und massiv ausbeuten kann, um das Ganze dann als eine Wohltätigkeit zu verkaufen. Im Monat zahlen die Werkstätten den Menschen dort für ihre Arbeit rund 220 Euro aus.

    Die Isolierung der Menschen mit Handicap hat auch die Folge, dass es ungleich schwerer für sie ist, sich politisch oder gewerkschaftlich zu organisieren oder zu wehren. Die künstliche Spaltung zwischen Menschen mit und ohne Behinderung wird so absichtlich vertieft und zementiert.

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