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Melnyk geht – die Rehabilitierung des Faschismus bleibt

Die Ukraine hat ihren Botschafter Andrij Melnyk abgezogen, nachdem dieser Judenermordungen durch Bandera-Faschisten leugnete. Deutsche Politiker:innen beweinen seinen Abschied. Warum Melnyk mehr als nur ein ukrainischer Botschafter in Berlin war – ein Kommentar von Julius Strupp

Schon seit ein paar Tagen hatte man gemunkelt, seit dem Wochenende ist es beschlossene Sache: Wolodmir Selenskij zieht per Dekret seinen Botschafter Andrij Melnyk aus Berlin ab. Der Diplomat war seit Kriegsbeginn Dauergast in Talk-Shows und Nachrichtenformaten. Auch seine Tweets waren Dauerthema in den Medien.

Warum wird Melnyk abberufen?

Nach außen wird als Grund für Melnyks Abberufung eine gewöhnliche diplomatische Rotation genannt. Auch andere ukrainische Botschafter:innen wurden zeitgleich von ihrem Posten entlassen. Und tatsächlich ist Andrij Melnyk bereits seit 2015 Botschafter der Ukraine in Deutschland, was eine ungewöhnlich lange Amtszeit ist.

Dennoch kam seine Entlassung für die meisten wohl früher als erwartet. Auslöser dürfte ein Interview gewesen sein, dass er Ende Juni dem Journalisten Thilo Jung gegeben hatte. Dort sprach er ein wenig zu offen aus, was eigentlich auch ukrainische Staatsräson ist: Er glaube nicht, dass der ukrainische Nazi-Kollaborateur Stepan Bandere ein Massenmörder sei, und leugnete beziehungsweise relativierte Massaker an der jüdischen und polnischen Bevölkerung.

Damit machte er vor allem dem mit dem ukrainischen Verbündeten Polen Probleme.

Ursache für Melnyks Abberufung dürfte vor allem seine polarisierende Außenwirkung sein und dass er oft Dinge ausspricht, die für die ukrainische Regierung und ihr positives Bild als Kämpferin für Demokratie und Freiheit nicht gerade dienlich sind. Dennoch steht man politisch weiterhin zu ihm. Künftig wird er einer der stellvertretenden Außenminister des Landes sein.

Was ist das Problem mit dem ukrainischen Botschafter Melnyk?

Lob von deutschen Politiker:innen

In Deutschland war der Aufschrei nach Melnyks, den Völkermord durch Nazi-Kollaborateure leugnenden Aussagen verhältnismäßig gering. In den bürgerlichen Medien beschäftigte man sich vor allem damit, dem Interviewer Thilo Jung abzusprechen, dass er Journalist sei.

Nun weinen viele deutsche Politiker:innen dem Botschafter hinterher, unter anderem die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, Marie-Agnes Strack-Zimmermann. Er habe „mit seinen Äußerungen die Deutschen teils an die Grenzen des Erträglichen gebracht und Grenzen auch deutlich überschritten.“ Er habe die „Augen öffnen“ und „wachrütteln“ wollen.

Auch die Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt lobte Melnyk als „unüberhörbare und unermüdliche Stimme für eine freie Ukraine“. Bei Bandera sei man sich lediglich uneinig.

Kampf gegen Geschichtsfälschung und Rehabilitierung des Faschismus!

Aber wie passt ein „freies“ Land zusammen mit Faschisten und Massenmordleugnern in der Regierung?

Melnyk wird vor allem nachgeweint, weil er es so erschienen ließ, als gebe es dort keinen Widerspruch. Dass es keinen Aufschrei in der BRD gibt, wenn wichtige Politiker:innen die Verbrechen der Nazis und ihrer Erfüllungsgehilfen leugnen, ist eigentlich schon ein Skandal an sich. Aber Deutschland geht es in der Ukraine eben nicht um Demokratie, sondern seine eigenen imperialistischen Interessen, genau wie Russland und den USA.

Währenddessen hatte Melnyk vor allem eine ideologische Funktion: Er arbeitete mit an der Rehabilitierung des Faschismus und des Ziehens eines Schlussstriches unter die Verbrechen des deutschen Imperialismus. Dafür sind ihm die bürgerlichen Politiker:innen dankbar.

Julius Strupp
Julius Strupp
Autor bei Perspektive seit 2019, Redakteur seit 2022. Studiert in Berlin und schreibt gegen den deutschen Militarismus. Eishockey-Fan und Hundeliebhaber. Motto: "Für alles Reaktionäre gilt, dass es nicht fällt, wenn man es nicht niederschlägt."

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