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Freitag, April 19, 2024
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    CDU will Jugendliche zu “Deutschlandjahr” zwingen – bringt es uns Einigkeit oder Ausbeutung?

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    Seit längerem debattieren Politiker:inneren ein verpflichtendes “Gesellschaftsjahr” für junge Menschen als verschämte Variante für die Wiedereinführung der Wehrpflicht und Lösung der Pflegekrise. Bundespräsident Frank Walter Steinmeier (SPD) forderte dies, jetzt hat sich auch die CDU auf ihrem Parteitag dafür ausgesprochen. Was ist davon zu halten? – Ein Kommentar von Rudolf Routhier.

    Die CDU hat auf ihrem 32. Parteitag in Hannover beschlossen, das gesellschaftliche Pflichtjahr als „Deutschlandjahr“ in ihr Parteiprogramm aufzunehmen. Wer die Schule abschließt, soll ein Jahr in einer sozialen, ökologischen, kulturellen oder Sporteinrichtung arbeiten – oder aber bei Grenzschutz, Feuerwehr oder Bundeswehr. Voraussetzung ist natürlich, dass die CDU jemals wieder an die Regierung kommt und mit ihrem Vorschlag die Unterstützung anderer Parteien findet.

    Wie es bei diesem Zwangsjahr mit Lohn aussieht, wurde dabei natürlich nicht wirklich besprochen. Vielleicht gäbe es ja, wie beim jetzigen sozialen Jahr, ein lächerlich kleines Taschengeld. So genau weiß die CDU das noch nicht.

    Viel wichtiger ist für die CDU, dass dieses verpflichtende Jahr jungen Menschen endlich wieder beibringen würde, selbstlos ihrem Land zu dienen, einem Land, von dem sie sich zurecht entfremdet fühlen und dem ihre Interessen egal sind.

    Nichts zeigt dies deutlicher als die Forderung nach einem Pflichtjahr. Gerade für junge Arbeiter:Innen bedeutet es nicht nur ein Jahr der Ausbeutung, sondern auch ein weiteres Jahr der Armut und finanzieller Abhängigkeit.

    In Anbetracht der geringen Vergütung während der Ausbildung und der ständig steigenden Mieten und Teuerungen können ohnehin nur noch die Allerwenigsten ein selbstbestimmtes Leben führen und beispielsweise in die erste eigene Wohnung ziehen, bevor sie mindestens Mitte 20 sind. Ein Jahr der schlecht bezahlten Zwangsarbeit wird das nur verschlimmern.

    Ein erster Schritt zur Wehrpflicht

    Das verbindliches Gesellschaftsjahr wäre zweifellos auch ein erster Schritt zur Wiedereinführung der äußerst unbeliebten Wehrpflicht. Denn zum einen kann das “Pflichtjahr” auch bei der Bundeswehr abgeleistet werden – welche vermutlich mit gewissen Vorzügen werben wird. Aber auch in den anderen Arbeitsbereichen wird es seine Wirkung nicht verfehlen: Denn wird man den Jugendlichen  erst einmal beibringen, ohne wirkliche Vergütung für die deutsche Wirtschaft zu arbeiten, dann sind sie bald hoffentlich auch irgendwann bereit, für sie zu sterben.

    Aus der Sicht des Kapitals ist die Wiedereinführung der Wehrpflicht dringend notwendig. Spätestens seit dem 100 Milliarden Euro teuren Aufrüstungspaket hat die Bundeswehr irgendwann die Waffen, um Deutschlands imperialistische Interessen auch militärisch durchzusetzen. Was noch fehlt, sind dann die Menschen, die bereit sind, für diese Interessen in den Krieg zu ziehen.

    Trotz aller Werbeveranstaltungen der Bundeswehr an Schulen und auf Ausbildungsmessen und der wirtschaftlichen Aussichtslosigkeit vieler Regionen, wo die Bundeswehr oft die einzige Chance auf einen Arbeitsplatz darstellt, ist sie bei den meisten Jugendlichen immer noch sehr unbeliebt.

    Anstatt also sofort und unverblümt den “Dienst” an der Waffe zu fordern, versteckt man seine Absichten erst einmal hinter hohlen Phrasen über einen “Dienst” an der Gesellschaft in der Hoffnung auf einen möglichst reibungslosen Übergang. Faktisch ist aber schon jetzt statt des Wehrdienstes der Zivildienst möglich. Es handelt sich also um eine verbrämte Forderung nach einer Wiedereinführung der Wehrpflicht.

    Aber nicht nur die Bundeswehr darf sich freuen. Auch die Betreiber sozialer Einrichtungen und Pflegekonzerne können auf eine Generation zwangsrekrutierter Arbeitskräfte hoffen. Nachdem die schlechten Arbeitsbedingungen und geringe Löhne für einen massiven Mangel an Pflegekräften gesorgt haben, könnte man dies in Zukunft durch Zwang ausgleichen.

    Inwiefern sich die gesetzlich erzwungene Arbeit negativ auf die Pflege der Patient:innen auswirken könnte, ist zunächst egal. Was zählt, ist der Profit. Deswegen ist, aus kapitalistischer Sicht, das gesellschaftliche Pflichtjahr höheren Löhne bei weitem vorzuziehen.

    Einigkeit statt Recht und Freiheit

    Gerade jetzt, wo die Widersprüche zwischen Arbeiter:innen und Kapitalist:innen immer deutlicher werden, wird das Deutschlandjahr von der Politik als Versuch verkauft, die Gesellschaft wieder zu einen. Wenn wir uns nur alle im Dienst an der Nation zusammentun, „wird schon alles gut werden“.

    Dabei ist dies nichts als plumper Nationalismus, der uns Arbeiter:innen aber rein gar nichts bringt. Weder “diese Gesellschaft”, noch der ausbeuterische “Dienst an ihr” sind in unserem Interesse. Am  sogenannten Gesellschaftsjahr kann man beispielhaft sehen, dass die gegensätzlichen Interessen der Klassen unvereinbar sind und der Staat letztendlich nur die Interessen der Kapitalist:innen vertritt.

    Während Arbeiter:innen ihr Pflichtjahr in der Pflege oder bei der Bundeswehr werden verbringen müssen, werden junge Kapitalist:innen-Kinder zweifellos die elterlichen Verbindungen nutzen, um irgendwo auf einem möglichst bequemen Posten ihre Zeit abzusitzen. Auch finanzielle Sorgen werden sie sich durch elterliche Unterstützung kaum machen müssen.

    Bürgerliche Kritiken des sozialen Pflichtjahres betonen durchaus, dass es falsch wäre, Menschen zur Arbeit zu zwingen. Dabei ignorieren sie allerdings, dass wir Arbeiter:innen bereits jetzt gezwungen sind, täglich unsere Arbeitskraft zu verkaufen, um eine halbwegs menschenwürdige Existenz führen zu können.

    Selbst wenn wir es schaffen, nach der Schule in unserem Traumberuf zu arbeiten, ändert dies nichts daran, dass der Großteil des Profits, den wir erwirtschaften, lediglich die Reichen noch reicher macht. Ein gesellschaftliches Pflichtjahr wäre die gleiche Ausbeutung – nur ohne die Illusionen der sogenannten “sozialen” Marktwirtschaft.

    Als junge Arbeiter:innen zusammenschließen

    Es ist wahr, dass sich viele – und nicht nur junge Menschen – durch die kapitalistische Gesellschaft isoliert fühlen. Zu Recht: Immer mehr von uns wird klar, dass unsere Stimme in der Politik nichts zählt. Der gleiche Staat, der uns bei den Teuerungen komplett allein lässt und seine Zeit hauptsächlich damit verbringt, Milliarden von Euro an Großkonzerne zu verschenken, will jetzt unsere Loyalität zum imperialistischen Deutschland notfalls erzwingen.

    Und dann wird uns von der Regierung auch noch eine „Gratis-Mentalität“ vorgeworfen, obwohl sie im gleichen Atemzug fordert, dass wir doch gefälligst gratis unseren Dienst an der Gesellschaft leisten sollen.

    Eins ist klar: Diese Gesellschaft ist nicht in unserem Interesse als Arbeiter:innen und wird es nie sein. Ausbeutung, Einsamkeit und Krise werden wir nur überwinden, wenn wir uns als junge Arbeiter:innen und als ganze Klasse vereinen und gemeinsam für eine neue Gesellschaft kämpfen – für eine gerechte Gesellschaft, die auch in unserem Interesse ist.

    • Perspektive-Autor seit Sommer 2022. Schwerpunkte sind rechter Terror und die Revolution in Rojava. Kommt aus dem Ruhrpott und ließt gerne über die Geschichte der internationalen Arbeiter:innenbewegung.

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