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Zeitung für Solidarität und Widerstand

Harte Urteile gegen Aktivisten nach der Stuttgarter „Krawallnacht“

Das Stuttgarter Amtsgericht verhängte diese Woche zwei harte Strafen gegen linke Aktivisten wegen angeblichen Beteiligungen an der sogenannten „Stuttgarter Krawallnacht“ im Juni 2020. Es sind politische Urteile, die uns von offenem Protest abhalten sollen.

Bei den Verhandlungen am vergangenen Montag und Mittwoch verurteilte das Gericht die beiden Aktivisten zu Haftstrafen mit Längen von drei Jahren und neun Monaten beziehungsweise drei Jahre und zwei Monaten. Als Grundlage für diese hohen Strafen reichte dem Gericht zum Teil illegal beschafftes Videomaterial sowie ein fragwürdiges Gutachten.

Klare Beweise für die Anwesenheit oder tatsächlich begangene Straftaten der Aktivisten gibt es nicht. In einem der beiden Fälle wurde sich vom Gericht bewusst gegen die Anwendung des Jugendstrafrechts entschieden. Die Richterin begründete in einem Fall unverblümt politisch: Die „ideologische Verblendung“ des Jugendlichen sei ausschlaggebend für die Strenge des Urteils gewesen. Dem Aktivisten wurde weiterhin vorgeworfen, zu anderen Anlässen in Auseinandersetzung sowohl mit einen Faschisten der Identitären Bewegung als auch einem Polizisten getreten zu sein.

Einschüchterung und Abschreckung nach offenen Ausschreitungen in der Stuttgarter Innenstadt

Bei der sogenannten Stuttgarter Krawallnacht kam es in der Nacht zum 21. Juni 2020 zu Ausschreitungen in der Stuttgarter Innenstadt. Unter anderem protestierten mehrere hundert Jugendliche gegen das zu diesem Zeitpunkt etablierte Verhalten der Polizei in der Stuttgarter Innenstadt. Die Wut über rassistische Kontrollen und polizeiliche Schikane entlud sich offen in zum Teil wilden Tumulten.

Anschließend ermittelte die Stuttgarter Polizei mit der größten Ermittlungsgruppe, die jemals in Stuttgart die Arbeit aufgenommen hat: Insgesamt waren 111 Polizist:innen damit beauftragt, die Beteiligten der Ausschreitungen zu fassen.

Bereits unmittelbar nach der Krawallnacht hatte Landesinnenminister Tobias Strobl von der CDU die Justiz indirekt aufgefordert, harte Strafen mit dem Ziel der Abschreckung zu verhängen. Strobl richtete sich weiterhin in den Sozialen Medien direkt an die Beteiligten und kündigte mit eigens dafür hergestellten Plakatmotiven martialisch an: „Wir kriegen euch“.

Anlässlich der Verurteilung eines Jugendlichen im Zusammenhang mit der Krawallnacht zu einer Jugendstrafe von zweieinhalb Jahren Haft hatte Strobl darüber hinaus verlauten lassen: „Der Rechtsstaat zeigt Zähne. Das möchte sich der Mob hinter die Ohren schreiben, dass Randale und Gewalt bei uns kein Spaß sind.“

Linke Aktivist:innen von Anfang an im Visier

Innenminister Strobl machte explizit außerdem „gewalttätige Linksextremisten“ für die Ausschreitungen verantwortlich. Bereits bei den polizeilichen Ermittlungen hatte deshalb das Hauptaugenmerk darauf gelegen, nachweisen zu wollen, dass linke Aktivist:innen bei den Protesten zugegen waren. Mit gezielten Funkzellenabfragungen und dem Überprüfen von Kameraüberwachungen an S-Bahnhöfen, die in der Nähe der Wohnorte bekannter linker Aktivist:innen liegen, sollte herausgefunden werden, ob und wie linke Kräfte in die Krawallnacht involviert gewesen waren.

Die Organisation „Revolutionäre Aktion Stuttgart“ erklärte in einem Statement, dass die Verfolgung linker Aktivist:innen nicht ausgehend von tatsächlichen Erkenntnissen sondern anhand von einer „politischen Vorüberlegung“ geführt worden seien.

Anja Sommerfeld vom Bundesvorstand der Roten Hilfe e.V. kommentierte, dass das Ziel nicht die Verfolgung vom Straftaten sondern vielmehr die „Einschüchterung einer kämpferischen linken Bewegung in der Stadt“ sei. Sommerfeld erklärte weiter, dass das Vorgehen der Behörden darauf abziele, dass „engagierte Aktivist:innen unter fadenscheinigen Vorwänden aus ihrem Leben herausgerissen und auf Jahre inhaftiert werden.“

Ausschreitungen in Stuttgart entwuchsen aus den strukturellen Missständen des bürgerlichen Staates

Obwohl die Ausschreitungen in der Stuttgarter Innenstadt allgemein von Politiker:innen und Medien als Krawalle oder Randale betitelt worden sind, haben sowohl beteiligte Jugendliche als auch politische Gruppen oft auf die tiefer liegenden Zusammenhänge und Missstände hingewiesen, die zu der Entladung der Wut in der Nacht im Juni 2020 geführt haben.

Neben Rassismus und Prekarisierung von vor allem migrantischen Jugendlichen gehörte nicht zuletzt die bürgerliche Corona-Politik zu den Frustfaktoren. Vor allem Jugendliche waren während des „Lock-Downs“ im Jahr 2020 von Ausgangssperren und geschlossenen Räumen betroffen gewesen und mussten so einen ungleich höheren Preis für die Pandemie bezahlen als beispielsweise wohlhabendere Erwachsene mit eigenen Grundstücken oder Vergnügungsmöglichkeiten.

Obwohl die Ausschreitungen in Stuttgart vor allem eine spontane Entladung von Frust darstellte, so zeigte sie doch deutlich, dass derartige Proteste über Ungleichbehandlung und den alltäglichen Widerspruch zwischen Arm und Reich in diesem Staat das Potential haben, auch größere politische Zusammenhänge in den Blick zu nehmen und eine Herausfordernug für die bestehende Ordnung darzustellen. Gerade deswegen geht der Staat momentan mit äußerster Härte gegen linke Aktivist:innen vor, denn schließlich sind sie es, die dieses Potential am meisten entfalten können und wollen.

Einer der verurteilten Aktivisten zeigte sich auch nach dem Prozess ungebrochen kämpferisch und unterstrich in einer Stellungnahme, sich auch in Zukunft nicht von revolutionärer Politik abhalten lassen zu wollen. Und auch zu den mangelnden Beweisen rund um seine unterstellte Anwesenheit in der „Krawallnacht“ nahm er klar Stellung und betonte die allgemeine Notwendigkeit, als linker Aktivist an derartigen Protesten teilzunehmen: „Es ist egal, ob ich tatsächlich in der Nacht vor Ort war oder nicht, ich hätte es sein sollen.“

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