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Strategie-Klartext zur Ukraine: US-Think Tank hält zeitnahe Verhandlungslösung für beste Option für USA

Die „RAND-Cooperation“ ist eine der führenden US-amerikanischen Denkfabriken, die das US-Militär seit Jahren berät. In einem öffentlichen Papier zur Ukraine-Strategie der USA kommt der Think Tank zu dem Schluss, dass die Vereinigten Staaten kein Interesse an einem langen Kriegsgeschehen in der Ukraine haben können.

Letzten Monat veröffentlichte die RAND-Cooperation eine Einschätzung zum Ukraine-Krieg und welchen Weg die Vereinigten Staaten diesbezüglich in Zukunft einschlagen sollten.

Darin wird festgehalten, dass der Ukraine-Krieg „nicht nur die Ukraine und Russland etwas angehe, sondern auch die USA“. Hinter vorgeschobenen, universell-humanistischen Gründen – z.B. die „Verteidigung der Menschenrechte und internationaler Normen“, das Interesse an der Nahrungsmittelversorgung aller Teile der Welt , die Verhinderung eines atomaren Krieges oder der Schutze von Menschenleben – kristallisiert sich das eigene Interesse der USA knallhart heraus.

Dem Think Tank nach spielen dabei weniger direkte Interessen der USA in der Ukraine eine Rolle als vielmehr mögliche Risiken, die der Krieg für übergeordnete US-Interessen darstellt.

Russland-NATO Krieg verhindern heißt auch, keine Atomwaffen zulassen

Der ranghöchste US-Militäroffizier General Mark A. Milley soll eine Liste mit Prioritäten in der Ukraine-Politik aufgestellt haben, wonach die „Prävention eines Krieges zwischen der NATO und Russland“ auf Platz 1 steht, in Verbindung mit Punkt 2: “den Krieg unbedingt innerhalb der Grenzen der Ukraine behalten“. Das Risiko für die Verwicklung eines NATO-Mitgliedsstaats in das Kriegsgeschehen ist hoch: Vier NATO-Staaten grenzen an die Ukraine, weitere zwei ans Schwarze Meer. Wenn Russland wollen würde, könnte es ohne weiteres einen Krieg mit der NATO provozieren.

Obgleich die RAND einen russischen Einsatz nuklearer Waffen als unwahrscheinlich ansieht, legen sowohl Äußerungen von höchster russischer Ebene als auch Russlands derzeitige Lage im Krieg den Einsatz von Nuklearwaffen als eine – letzte – Optionen nahe. Denn dem Think Tank zufolge sei dieser Krieg beinahe „existentiell“ für Russland. Die Ukraine gilt seit langem als Priorität für den russischen Imperialismus, der zur Aufrechterhaltung seiner kapitalistischen Interessen eine solche Halbkolonie in Europa und insbesondere den Zugang zum Schwarzen Meer braucht.

Die Notwendigkeit zeige sich laut RAND zum einen darin, dass die herrschende Klasse um Putin seit der Annektion der Krim im Jahr 2014 westliche Sanktionen in Kauf nimmt, die pro Quartal 2% des russischen BIP ausmachen. Oder daran, dass die herrschende Klasse ihre kapitalistische Herrschaftsordnung in Russland mit der Teilmobilisierung von 300.000 Arbeiter:innen aufs Spiel setze.

Gerade da die konventionelle Kriegsführung derzeit nicht rund laufe, müsse bedacht werden, dass Russland über das weltweit größte Arsenal nuklearer Waffen verfüge. Speziell taktische, geografisch begrenzte Atombomben könnten eine Option sein. Dies würde allen Einschätzungen nach den Kriegseintritt der NATO bedeuten. Dies sei jedoch derzeit nicht im Interesse der USA.

Kontrolle über die territoriale Aufteilung gewährleisten

Stand Dezember 2022 kontrolliert Russland 20% der Ukraine, vor allem die Krim und die Ostukraine. Währenddessen ist der ukrainische Präsident Selenskyj gewillt, das gesamte Gebiet der Ukraine zurück zu erobern. Hier stellt der Think Tank die Frage, ob diese ukrainische Offensive im Interesse der „internationalen Ordnung“ (d.h. im Interesse der USA) sei, oder ob die Ukraine im Sinne der territorialen Einhegung des Kriegs für die USA nicht lieber auf Gebiete verzichten sollte.

So wird ein vollständige Rückeroberung der Gebiete durch die Ukraine hier als „höchst unwahrscheinlich“ eingestuft. Zudem habe die USA „Maßnahmen“, um Russland genügend für die Annektion der Gebiete seit Februar „zahlen zu lassen“. Die entsprechenden Gebiete seien ohnehin wirtschaftlich nicht so wichtig, und eine Ausdehnung Russlands auf wichtigere Gebiete werde die USA nicht zulassen.

Viel wichtiger noch: Die Ukraine bräuchte nach US-Einschätzung Jahre, wenn nicht Jahrzehnte, um die Gebiete zurück zu gewinnen. Ein solch langer Krieg berge für die USA das Risiko einer weiteren Eskalation, was unbedingt verhindert werden müsse. Und falls die Ukraine sogar die Krim zurückerobern wolle, multipliziere sich die von Russland ausgehende Gefahr noch um ein Vielfaches.

Die Kriegsdauer verkürzen

Obgleich der Krieg also nützlich sei, um russische Kapazitäten zu binden, passiere dasselbe auf amerikanischer Seite. Diese habe nämlich noch ganz andere Sorgen als Russland, vor allem „China“. Außerdem sei nicht gesagt, dass Russland in dieser Zeit seine Angriffe ausweite. Die militärischen Kosten könnten sich für USA und NATO dann erhöhen und auf Dauer nicht mehr tragbar sein.

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Zudem sei Russland durch die Sanktionen schon genügend geschwächt. Das Land brauche Jahrzehnte, um sich wirtschaftlich von den Verlusten seit 2014 zu erholen. Andererseits sei es von Vorteil gewesen, dass die europäischen Staaten ihre Energieabhängigkeit von Russland abgebaut und außerdem mehr Geld in ihr Militärbudget gesteckt hätten.

Das überwiege jedoch nicht die Nachteile eines langen Krieges, nämlich einer möglichen Eskalation, während die eigentliche Herausforderung China bleibe. Und noch ein Punkt müsse den USA wichtig sein: die Stabilisierung der Energie- und Lebensmittelpreise auf dem Weltmarkt, gekoppelt mit dem globalen Wirtschaftswachstum – beides wichtig für die Aufrechterhaltung der kapitalistischen Weltordnung, also im Interesse der USA.

Die USA müssten den Krieg im eigenen Interesse beenden

Der ThinkTank erwägt, dass es nur drei Mittel zur Beendigung eines Krieges gibt: den absoluten Sieg einer Seite, eine politische Einigung und/oder einen anhaltenden Waffenstillstand. Während Russland zunächst einen absoluten Sieg anvisierte, scheint mit dem Kriegsverlauf nun die Kontrolle über die vier eroberten Gebiete eine zufriedenstellende Alternative zu sein. Obgleich die Ukraine eine Zurückeroberung anvisiert, ist nach Ansicht der RAND-Cooperation ein absoluter Sieg der Ukraine ebenfalls kein realistisches Szenario.

Zur Erzielung einer politische Einigung müssten die zentralen Interessen beider Seiten moderiert werden. Für Russland wäre dies die Absage an eine Aufnahme der Ukraine in die NATO, für die Ukraine eine andauernde Garantie westlicher Unterstützung ökonomischer und militärischer Art. Während dies für die USA die sicherste Option wäre, eine Eskalation zu verhindern, erfordere eine politische Einigung zu viel beidseitiges Vertrauen, als dass dies auf absehbare Zeit zwischen der Ukraine und Russland denkbar wäre.

Was einen Waffenstillstand anbelangt, so müssten beide Seiten lediglich territoriale Einigkeit über die Aufteilung der Gebiete erzielen, die beiden Ansprüchen gerecht wird: Die Ukraine müsste die Rückeroberungen einstellen, Russland weitere Annexionen und Bombardierungen. In der derzeitigen Situation sei das jedoch nicht möglich, weil beide Seiten von einem Vorteil im Kriegsgeschehen ausgehen: Die Ukraine verlässt sich auf die Unterstützung der NATO, Russland auf die eigene Stärke und darauf, dass der NATO die wirtschaftlichen Kosten schon bald zu hoch werden.

Hier schlägt der Think Tank vor, dass die USA aktiv werden sollten. Da es im größten Interesse der USA liege, eine baldige territoriale Einigung zu erzielen, sollten sie bereits jetzt Schritte zur Erzielung eines Waffenstillstands einleiten. Im Grunde müsse dafür der Ukraine klar gemacht werden, dass die Unterstützung der NATO nicht immer so weitergehen werde. Das sei zum jetzigen Zeitpunkt politisch jedoch nicht sofort umsetzbar. Diese Politik solle allerdings langsam vorbereitet werden, damit die USA mittelfristig dafür sorgen könnten, dass die Ukraine im Prinzip die jetzigen Gebiete an Russland in Form eines Waffenstillstandes de facto abtritt.

Damit wäre Russland genügend geschwächt und der Konflikt gleichzeitig insofern befriedet, als sich die USA dem drohenden Krieg mit China zuwenden könnte. Natürlich würde Russland weiterhin als Völkerrechtsverbrecher sanktioniert werden, wäre damit aber alles in allem für einige Jahrzehnte als imperialistischer Konkurrent vom Tisch.

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