LC-Waikiki ist ein großer türkischer Bekleidungshändler, der sowohl ein Versandgeschäft als auch Verkaufslokale betreibt. Insgesamt beschäftigt das Unternehmen über 50.000 Arbeiter:innen. Perspektive hat mit Ali Haydar Keleş von der Hafen- und Logistikgewerkschaft DİSK-LİMTER-İŞ über die Kämpfe der Kolleg:innen gesprochen.
1. Ihr habt den letzten LC-Waikiki-Streik organisiert. Mit welchen Forderungen habt ihr diesen und auch vorherige Streiks verbunden?
Hallo, erst einmal senden wir allen Leser:innen unsere Grüße. Wir haben viele Streiks und Proteste gegen schlechte Arbeitsbedingungen, niedrige Löhne, Druck und Mobbing an den Arbeitsplätzen, Entlassungen und Druck auf die gewerkschaftlich organisierten Arbeiter:innen durch die Bosse organisiert. Die Last der Krise und der neoliberalen Politik lastet auf den Schultern unserer Arbeiter:innenklasse. Die Bosse, die die Pandemie als Chance für sich genutzt haben, entziehen der Arbeiter:innenklasse ihre bereits erkämpften Rechte. Die Kaufkraft der Arbeiter:innen sinkt, die Arbeiter:innen arbeiten länger und intensiver. Aus all diesen Gründen ist es zu vielen Proteste gekommen. Wir haben diese Periode als den „Frühling der Arbeiter:innen“ bezeichnet.
Unsere Kolleg:innen im LC-Waikiki-Lagerhaus gingen kollektiv nicht zur Arbeit und forderten eine Erhöhung der niedrigen Löhne, das Recht auf Beförderung und dass die Arbeiter:innen nicht zu anderen als den festgelegten Arbeiten gezwungen werden. Angesichts der entschlossenen Haltung der Beschäftigten bat das Management um Zeit, um das Problem zu lösen. Sie lösten die Probleme jedoch nicht innerhalb der von ihnen geforderten Zeit. Daraufhin organisierten die Arbeiter:inmen einen erneuten Protest. Die Bossen haben darauf reagiert, indem sie sieben von uns mit „Code 46“ entlassen haben.
In der Türkei sind die Gründe für eine Entlassung in verschiedenen Codes festgelegt. Code 46 ist der schlimmste Code für die Arbeiter:innen. Die Bosse benutzen diesen, um alle Rechte der Arbeiter:in an sich zu reißen, sie zu brandmarken, kennzeichnen und zu verhindern, dass die Arbeiter:in Arbeitslosengeld erhält.
LC-Waikiki und sein Subunternehmer Klüh Service Management wollten alle Arbeiter:innen einschüchtern, indem sie die aktivsten Arbeiter:innen entließen, sie als Diebe abstempelten und ihnen ihre Rechte nahmen. Der Chef rechnete nicht damit, dass sich die Arbeiter:innen selbst organisieren würden, indem sie sich mit der ‘Vereinten Bewegung der Arbeıter:innen’ (Birleşik İşçi Hareketi) und der ‘Limter-İş’-Gewerkschaft zusammenschlossen. Gegen diesen Angriff des Chefs begann die Gewerkschaft LİMTER İŞ einen Widerstand vor dem Lagerhaus. Weitere sieben Kolleg:innen, die unseren Widerstand unterstützten, wurden aus der gleichen Ebene entlassen. Wir errichteten 19 Tage lang ein Zelt vor dem LC-Waikiki-Lagerhaus und forderten die Wiedereinstellung unserer entlassenen Kolleg:innen, eine Lohnerhöhung, die Auszahlung von Beförderungsrechten in bar und die Verbesserung der Arbeitsbedingungen.
Wir veranstalteten Aktionen in den LC-Waikiki-Läden und riefen die Kund:innen in diesen Geschäften auf, LC Waikiki, den Feind der Arbeiter:innen, zu boykottieren. Nach unseren Aufrufen kam es vermehrt zu Solidaritätsaktionen mit unserem Widerstand. Gewerkschaften, Gewerkschaftsorganisationen, Jugendorganisationen, revolutionäre und sozialistische Parteien veranstalteten Solidaritätsaktionen in LC Waikiki-Läden. Viele Fernsehsender, Websites, Zeitungen und Zeitschriften berichteten über unsere Aktionen und interviewten Arbeiter:innen.
Zur Unterstützung des Widerstands bei LC Waikiki rief der ‘ADGB, ein Bündnis verschiedener demokratischer und sozialistischer Organisationen aus der Türkei in Europa, auch zu einem Protest vor Hauptsitz des deutschen LC-Waikiki-Subunternehmens ‘Klüh’ in Düsseldorf auf. So hat die Klassensolidarität Grenzen überschritten und unserem Widerstand hier große Kraft verliehen. Infolge des Drucks, den wir mit Widerstand und Solidarität erzeugten, warf der Chef am 19. Tag unseres Widerstands das Handtuch und bat um ein Treffen mit den Arbeiter:innen. Die Arbeiter:innen beschlossen, bei ihrem Treffen eine gemeinsame Haltung einzunehmen. Am 19. Tag des Widerstands wurde eine Vereinbarung zwischen den Arbeitnehmer:innen und den Unternehmern unterzeichnet. Der Widerstand endete mit einem Erfolg.
Wieder hat sich gezeigt, dass Arbeiter:innen, die sich zusammenschließen und Widerstand leisten, nicht besiegt werden können. Wir haben diesen Sieg durch Widerstand und Solidarität erreicht.
2. Im Allgemeinen haben die Streiks in der Türkei zugenommen. Was sind euer Meinung nach die Gründe dafür?
Die Kapitalisten in der Türkei greifen den Lebensstandard der Arbeiter:innen an, sie wollen, dass die Arbeiter:innen für weniger Lohn länger und intensiver arbeiten. Während die Inflation 160 Prozent erreichte, wurden die Löhne der Arbeiter:innen nicht in gleichem Maße erhöht, so dass die Kaufkraft der Arbeiter:innen stark geschwächt wurde. Mehr als die Hälfte der Arbeiter:innen in der Türkei erhält einen Mindestlohn, und dieser reicht bei weitem nicht, um sich für einen Monat zu ernähren. Den Arbeiter:innen werden flexible Arbeitsbedingungen aufgezwungen. Angesichts dieser Situation wächst der Wille, zu kämpfen; der gewerkschaftliche Organisationsgrad wächst ebenfalls. Dies ist der Hauptgrund für die Zunahme von Streiks und Widerständen. Bei den jüngsten Streiks und Widerständen wurden Lohnerhöhungen, die Einhaltung von Forderungen der Arbeiter:innen, ein Ende der Entlassungen und die Beseitigung von Hindernissen für die gewerkschaftliche Organisierung gefordert.
3. Wie wurde Ihr Streik bisher aufgenommen? Wie reagiert die Öffentlichkeit?
Ein großer Teil der Öffentlichkeit hat den Widerstand unterstützt, weil wir die Mittel genutzt haben, um der Öffentlichkeit die Gründe für den Streik und unsere Forderungen zu erläutern. Einer der Gründe, warum wir gewonnen haben, ist, dass es uns gelungen ist, dies zu erreichen. Die Tatsache, dass der Chef alle Rechte der Arbeiter:innen zunichte machen wollte, indem er sie des Diebstahls beschuldigte, hat eine allgemeine Empörung hervorgerufen. Aufgrund dieser Reaktion musste der Chef von LC Waikiki eine öffentliche Erklärung abgeben. Solidaritätsaktionen mit unserem Widerstand breiteten sich in verschiedenen Städten aus, und in einigen Städten wurden gemeinsame Aktionen organisiert. Die werktätige Öffentlichkeit fand unsere Forderungen gerechtfertigt und sah unseren Kampf als richtig an, und einige von ihnen nahmen an Solidaritätsaktionen teil.
4. Wir nähern uns den Wahlen und es ist zu einem Erdbeben mit furchtbaren Folgen gekommen. Seht ihr einen Zusammenhang zwischen all dem und den Streiks?
Der Apparat der Unterdrückung und Ausbeutung, der sich Staat nennt, handelt im Interesse der Kapitalisten. Die faschistische Unterdrückung wird gegen die Arbeiter:innenklasse und alle Unterdrückten aufrechterhalten, um die Ausbeutung fortzusetzen. Wir befinden uns in einer Zeit kurz vor den Wahlen und erleben zahlreiche Arbeiter:innenwiderstände und Streiks, sowie große Kämpfe der Unterdrückten für Gleichheit und Freiheit und konsequente Aktionen der Frauen gegen die von Männern dominierte patriarchale Ordnung.
Die Wahlkampf wird natürlich von diesen Kämpfen beeinflusst, wir sehen die Wahlen als ein Feld der Konfrontation zwischen der Arbeiter:innenklasse und dem Volk einerseits und den faschistischen Machthabern andererseits an. Streiks, Widerstände und Wahlen sind einige der Kampfformen im Kampf der Arbeiter:innenklasse um die Macht. Wir versuchen, alle diese Kampfformen zu nutzen und die Stimme der Straße zu stärken. Die Vorstellung, dass die Lösung der Probleme der Arbeiter:innenklasse durch die Wahlen zu erreichen sein könnte, ist für uns falsch. Millionen von Arbeiter:innen und Werktätigen waren direkt von dem Erdbeben betroffen. Zehntausende von armen Menschen waren unter den Trümmern des Erdbebens eingeschlossen. Wir haben Zehntausende von Menschen verloren, weil die notwendigen Vorsichtsmaßnahmen nicht getroffen wurden. Die armen Menschen, die unter den Trümmern eingeschlossen waren, konnten nicht gerettet werden, weil die staatlichen Einrichtungen nicht mobilisiert wurden. Nicht das Erdbeben, sondern die Politik der herrschenden Klasse hat so viel Zerstörung und Tod verursacht. Der Mörder ist der Kapitalismus, das System der Ausbeutung und der faschistische Staatsapparat. Unsere Arbeiter:innenklasse und die Völker werden sie zur Rechenschaft ziehen. Wir versuchen, die Wut zu organisieren und zu kanalisieren und den Kampf für die Bestrafung der Schuldigen zu verstärken. Streiks, Widerstände, Wahlen und die Wut, die nach dem Erdbeben entstanden sind, all das muss einerseits separat betrachtet werden, aber es sind auch Bälle, die gegen die Wand derselben ausbeuterischen Ordnung schlagen. Wir haben viel Schaden an dieser Mauer des faschistischen Regimes angerichtet und wir werden die Mauern dieser Ordnung definitiv einreißen!
5. Was erwartet ihr von den Bewegungen in Deutschland? Wie können sie euch unterstützen?
Wir wünschen uns internationale Solidarität und gemeinsame Kämpfe mit den Menschen in Deutschland. Während des LC-Waikiki-Widerstands haben wir gesehen, wie eine Solidaritätsaktion in Deutschland hier eine große Wirkung hatte. In dieser Hinsicht wünschen wir uns Beispiele von Klassensolidarität in ähnlicher Form. Auch wir werden versuchen, ähnliche Aktionen durchzuführen. Es lebe die internationale Solidarität, es lebe die Klassensolidarität!