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Wahlrechtsreform: Lokale und kleine Parteien werden vom Bundestag noch weiter ausgeschlossen

Die Wahlrechtsreform der Ampelkoalition wurde im Bundestag angenommen. Der Vorschlag soll zu einer Verkleinerung des Bundestags führen, doch werden kleine und regionale Parteien damit faktisch vom Parlament ausgeschlossen.

Bisher konnten Abgeordnete auf eine von zwei Arten in den Bundestag gewählt werden: Entweder indem sie persönlich in einem Wahlkreis die meisten Erststimmen bekamen, die sogenannten „Direktmandate“, oder weil ihre Partei die meisten Zweitstimmen gewann. Dann kamen sie über Listen, die zuvor von den Bundesparteien aufgestellt worden sind, ins Parlament – je nachdem wie viel Prozent Wahlstimmen ihre Partei bei der Bundestagswahl bekam.

Das neue Wahlgesetz der Ampelkoalition soll das ändern. Von jetzt an sollen hauptsächlich die Zweitstimmen beim Einzug in den Bundestag zählen. Mit dem Gesetz soll ab den nächsten Wahlen der Bundestag verkleinert werden.

Eines der größten Parlamente der Welt

Anlass der Reform ist offiziell, dass der Bundestag trotz einer Richtgröße von 598 Abgeordneten mittlerweile auf 736 Personen angestiegen ist. Damit hat der Bundestag eines der größten Parlamente der Welt unter den parlamentarischen Demokratien.

Dies liegt an einem komplizierten System von Ausgleichs- und Überhangmandaten. Überhangmandate werden dann vergeben, wenn eine Partei mehr Direktmandate und damit mehr Sitze im Bundestag hat als ihr prozentual zustehen. Damit die Mehrheitsverhältnisse trotzdem bestehen bleiben, bekommen die anderen Parteien dann ebenfalls mehr Sitze, die sogenannten Ausgleichsmandate. Auf diese Art ist die Zahl der Abgeordneten in den letzten Jahren stark gestiegen. Die faktische Abschaffung der Direktmandate soll jetzt Abhilfe schaffen.

Auch soll die Regelung, dass eine Partei, die bundesweit unter der Fünf-Prozent-Hürde bleibt, aber mehr als drei Direktmandate hat, trotzdem in den Bundestag darf, künftig nicht mehr gelten. Somit könnte der Fall eintreten, dass einige Wahlkreise dauerhaft nicht mehr im Bundestag vertreten sind. Bisher war so etwas eine Seltenheit.

Linkspartei wäre mit neuer Regelung nicht im Bundestag

Vergangenen Freitag wurde der Gesetzesvorschlag im Bundestag angenommen, jedoch gab es starke Kritik aus der Opposition, vor allem von der Linkspartei und der CDU/CSU.

Die Linkspartei blieb bei der letzten Wahl knapp unter fünf Prozent, konnte jedoch aufgrund vieler Direktmandate – vor allem in den Hochburgen Ostdeutschlands – dennoch in den Bundestag einziehen. Das neue Gesetz würde dies in Zukunft unmöglich machen.

Der parlamentarische Geschäftsführer der Linksfraktion, Jan Korte, erklärte dazu, dass der Sinn der Direktmandate ja gerade gewesen sei, dass auch regional verankerte Strömungen im Bundestag vertreten seien und prophezeite: “sie überlassen der AFD den Osten”.

Dies gilt nicht nur für die Linkspartei, sondern auch für andere kleine Parteien, die in Zukunft regional an Einfluss gewinnen, aber damit trotzdem nicht bundesweit im Bundestag vertreten sein dürften.

CSU stellt sich quer

Die CDU/CSU ist gegen das Gesetz. Die Landespartei CSU kam bei den letzten Wahlen auf nur 5,2%, ist jedoch aufgrund ihrer Direktmandate aus Bayern im Bundestag dennoch verhältnismäßig stark vertreten. Ein Wegfall dieser Sitze oder gar der ganzen CSU – sollte sie unter 5% sinken – würde die CDU/CSU enorm schwächen. Beide Parteien haben bereits angekündigt, vor dem Bundesverfassungsgericht Einspruch gegen das Gesetz zu erheben.

Doch noch stärker trifft das Gesetz die oft nur regional verankerten Kleinstparteien. Die Fünf-Prozent-Hürde machte für sie die politische Beteiligung auf Bundesebene bereits in der Vergangenheit so gut wie unmöglich. Mit dem neuen Wahlgesetz ist dies jetzt komplett ausgeschlossen.

Kleine Parteien betroffen

Gerade diejenigen kleinen Parteien, die sich auf ein bestimmtes Thema konzentrieren, beispielsweise Tierschutz oder Seniorenrechte, oder progressive und kommunistische Gruppen, die aufgrund ihrer politischen Haltung für die großen Wahlkampfspender:innen unattraktiv sind, haben oft nicht die finanziellen Mittel für einen bundesweiten Wahlkampf.

Auch von den Diskussionsrunden und Werbeauftritten in den Medien sind sie zumeist ausgenommen. Deswegen konzentrieren sie sich größtenteils auf den Wahlkampf in einigen wenigen regionalen Hochburgen. Mit dem Wegfall der Direktmandatsklausel sind diese Parteien jetzt selbst im Falle eines Wahlsiegs in drei oder mehr Wahlkreisen vom Bundestag und der Bundespolitik ausgeschlossen. Somit steigt der Druck auf ihre Wähler:innen, ihre Stimme größeren Parteien zu geben, sofern sie ihren Wahlkreis weiterhin im Bundestag repräsentiert sehen möchten.

Sebastian Hartmann (SPD) hingegen verteidigt das neue Gesetz und hofft, dass es das „Vertrauen in die Demokratie” stärkt. In der Realität werden jedoch die bereits stark begrenzten Wahlmöglichkeiten für die Bevölkerung noch weiter eingeschränkt. Mit der Wahlrechtsreform wird neben der Anzahl der Abgeordneten auch die Zahl der Menschen, die sich noch durch den Bundestag repräsentiert fühlen, sinken.

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