Naturkosmetik von Weleda, Pädagogik nach Waldorf und Landwirtschaft von Demeter – sie alle fußen auf der von Rudolf Steiner begründeten Anthroposophie, einer spirituellen und esoterischen Weltanschauung. An ihr werden immer wieder Wissenschaftsfeindlichkeit und sozialdarwinistische sowie rassistische Aspekte kritisiert. – Ein Kommentar von Konstantin Jung
Für Prof. Dr. Götz E. Rehn, Gründer und Geschäftsführer des Bio-Unternehmens Alnatura, ist Ostern etwas ganz Besonderes. Andere Feiertage, wie zum Beispiel Weihnachten, landen immer auf dem selben Datum, Jahr für Jahr. Ostern ist jedoch ein „bewegliches“ Fest, da es jedes Jahr an einem anderen Termin gefeiert wird. In einem persönlichen Blog-Eintrag auf der Website von Alnatura schreibt er also, dass wir uns zu Ostern endlich von der ausschließlich materialistischen Weltanschauung befreien könnten, die „wie ein schwerer Grabstein auf uns selbst und unserer Erde lastet“. Was sollen wir stattdessen tun? Am besten unsere eigene geistige Freiheit zum höchsten „Produktionsziel“ erheben.
Vor dem Hintergrund der sich verschärfenden Klimakrise zeigt sich der Professor verwundert, dass die Menschen nicht einfach ihr Denken und Handeln ändern. Als einer der 500 reichsten Deutschen mit einem Vermögen von 400 Millionen Euro lässt sich die Seele bestimmt ganz wunderbar im Einklang mit der Natur baumeln lassen. Dass die grundlegende Funktions- und Wirtschaftsweise des Kapitalismus damit etwas zu tun haben könnte, scheint ihm nicht in den Sinn zu kommen.
Die Antworten auf seine brennenden Fragen findet Götz Rehn in den Werken von Rudolf Steiner, dem Begründer der Anthroposophie. Die versucht, anders als die herkömmliche Naturwissenschaft, den Mensch und seine Entwicklung spirituell und übersinnlich zu verstehen. Doch es ist nicht etwa nur ein einzelner, etwas verwirrt erscheinender Millionär, der sich auf anthroposophische Wurzeln beruft. Der Anbauverband Demeter wirtschaftet mit seinen derzeit 1.778 Betrieben seit 1924 auf Basis der biologisch-dynamischen Landwirtschaft, die ebenso auf Steiners Ideen beruht und damals als eine Art Alternativangebot zur Industrialisierung und Automatisierung der Bewirtschaftung galt.
Heute wird beinahe ein Prozent der gesamten Ackerfläche Deutschlands biodynamisch genutzt, die entsprechenden Produkte werden ebenso vom Demeter-Verein zertifiziert. Auf den ersten Blick erscheint das biodynamische Siegel tierfreundlich und „typisch bio“: Kein Einsatz von Pestiziden und unnatürlichen Düngemitteln, jeder Hof wird nach den entsprechenden lokalen Bedingungen bewirtschaftet und die sogenannte „Enthornung“ von Kühen ist verboten.
Abgefahren wird es jedoch, wenn man auf die sogenannten biodynamischen Präparate stößt – ihre Anwendung ist für jeden Demeter-Betrieb verpflichtend. So werden Rinderdärme mit Kamillenblüten und Tierhörner mit Kuhfladen gefüllt und anschließend in der Erde verscharrt, wo sie „kosmische Kräfte und die Energie der tierischen Hülle“ sammeln, welche dann, so die Theorie, die Kompostumsetzung anregen und der Ernte zu Gute kommen. Auf Demeter-Weingütern wiederum wird dem Gießwasser Pulver von Bergkristallen beigegeben und genau 60 Minuten lang per Hand gerührt, wie es die „Präparatekiste“ notiert.
In einer Reportage von ARD-Wissen begründen anthroposophische Landwirt:innen ihre kruden Methoden damit, dass es in der biodynamischen Bewirtschaftung nicht nur um Stofflichkeit und tatsächlich messbare Befunde über Nährstoffe und Mineralien gehe. Das tatsächlich Wesentliche in der Landwirtschaft seien stattdessen „die Lebenskraft der Pflanzen“ und „individuelle Lebens- und Naturphänomene“ – wiederholbare Messungen und Empirie sind ihren Anhänger:innen fremd, oder zumindest unzureichend.
Doch fette Umsätze und ein florierendes Geschäft scheinen dafür zu sprechen, dass ihre Methode weitläufig akzeptiert ist: So stieg 2020 der Umsatz von Demeter im Naturkostfachhandel um 31,5%, darüber hinaus wurde von 2015 bis 2022 die Anzahl der weltweiten Demeter-Weingüter von 612 auf knapp 1.300 verdoppelt.
Die Bäuerinnen und Bauern von Demeter glauben also fest an die Erkenntnisse Rudolf Steiners, der im Übrigen weder mit Landwirtschaft noch mit Biologie irgendetwas am Hut hatte. Die Folge dessen ist mitunter auch, dass fortschrittliche Erkenntnisse bei den Produktionsmitteln teilweise klar abgelehnt werden, zum Beispiel wenn es um die Honigproduktion geht.
Demeter verzichtet hier auf den Einsatz von Absperrgittern, die den Imker:innen Zeit ersparen, dafür aber in den natürlichen Organismus des Bienenvolkes eingreifen und weibliche und männliche Bienen für die Ernte trennen. Bei Demeter wird es stattdessen mit der Hand gemacht. Für jeden Bienenstock wird dann etwa das Neunfache an Zeit benötigt – und Bienen mitunter verletzt.
All diese esoterischen Methoden erscheinen schon isoliert betrachtet sehr eigenartig. Darüber hinaus manifestiert sich die Wissenschaftsferne der anthroposophischen Ideolog:innen aber nicht nur in verschwurbelten Erzählungen von kosmischen Kräften und dem Planetenstand – auch war die Anthroposophie in der Zeit des Nationalsozialismus sehr beliebt und wurde ausdrücklich gefördert: So leitete der ehemalige Chefgärtner von Weleda als SS-Offizier die Plantage des Konzentrationslagers in Dachau und führte dort Versuche mit Heilpflanzen nach biodynamischen Methoden durch. Und nicht nur die Hitlerfaschist:innen fanden Rudolf Steiner ganz klasse, auch er selbst hat mit seiner “Rassenlehre” Grundlagen für menschenfeindliche Ideologien geschaffen.
Selbst wenn man das also alles ignoriert – was unterscheidet jetzt die herkömmlichen Bio-Produkte von denen, die mit Kuhmist und Bergkristall aufgezogen wurden? Tatsächlich gar nichts. Das ganze Geld, das man also für biodynamische Lebensmittel investiert, ist es – vorsichtig gesagt – nicht wert. Selbst wenn sich in Zeiten von Krise und Preissteigerungen immer noch ein Großteil der Bevölkerung für Bio-Produkte entscheiden sollte – so wirklich progressiv ist unser Konsum dann immer noch nicht unbedingt. Denn am Ende des Tages geht es auch den anthroposophischen Konzernen vor allem um eins: Möglichst hohe Gewinne zu erwirtschaften und uns das Geld aus der Tasche zu ziehen.