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Freitag, März 29, 2024
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    Konsequente Streiks für Lohnerhöhungen – und mehr!

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    Die Ergebnisse der letzten Tarifverhandlungen sind Mogelpackungen und reichen nicht aus, um die steigenden Lebenshaltungskosten der Arbeiter:innenklasse aufzufangen. Trotz hoher Streikbereitschaft der Beschäftigten haben sich die DGB-Gewerkschaften auf faule Kompromisse mit der Kapitalseite eingelassen. Die Antwort auf die Preisexplosion kann nur der Vollstreik sein. – Ein Kommentar von Ivan Barker

    Der Abschluss wurde als Sieg im Kampf um einen Inflationsausgleich gefeiert. Am 11. März haben sich die Deutsche Post AG und die Gewerkschaft ver.di auf einen neuen Tarifvertrag für die 160.000 Post-Beschäftigten geeinigt. Die vierte Verhandlungsrunde zwischen Gewerkschaft und Kapitalseite war sehr kurzfristig einberufen worden. Nur einen Tag zuvor hatten sich mehr als 85% der Gewerkschaftsmitglieder der Belegschaft in einer Urabstimmung für einen unbefristeten Streik ausgesprochen und das bisherige Konzernangebot abgelehnt. Ver.di wollte trotzdem weiter verhandeln und schuf kurzfristig Tatsachen. Der Tarifkonflikt bei der Post dauerte bereits seit Ende Januar an. Dabei gab es auch mehrere größere Warnstreiks mit einer hohen Beteiligung von jeweils 10.000 bis 15.000 Arbeiter:innen.

    Einmalzahlungen statt dauerhafter Lohnerhöhungen

    Was ver.di jetzt als „gutes Ergebnis“ mit „deutlichen Erhöhungen der Entgelte“ zu verkaufen versucht, erweist sich bei näherem Hinsehen als Einverständniserklärung zu einem sinkenden Lebensstandard. Der Tarifvertrag soll bis zum 31. Dezember 2024 und damit ganze zwei Jahre gelten. Die erste tabellenwirksame Entgelterhöhung ist dabei erst für April 2024 vorgesehen. Als Festbetragserhöhung von 340 Euro fällt sie im Vergleich zu früheren Tarifrunden zwar höher aus und sorgt bei Arbeiter:innen in den unteren Entgeltgruppen für ein stärkeres Plus: nach ver.di-Angaben 11 bis 16% im Vergleich zum aktuellen Lohnniveau. Bis dahin gibt es jedoch nur Einmalzahlungen, die sich nicht auf das zukünftige Lohnniveau auswirken und deren wirtschaftlicher Effekt damit langfristig verpufft – und zwar ganz im Gegensatz zur Inflation: Diese wird von bürgerlichen Ökonomen in Zukunft bei dauerhaft 3-4% gesehen, die auf die heutige Rekordinflation also noch drauf kommen werden.

    Psychologischer statt wirtschaftlicher Effekt

    Konkret gibt es bei der Post im April 2023 eine steuer- und abgabenfreie Einmalzahlung von 1.020 Euro und von Mai 2023 bis Mai 2024 monatlich jeweils 180 Euro mehr. 2.460 Euro mehr im Jahr 2023 hört sich erst einmal gut an und macht sich sichtlich im Portemonnaie bemerkbar — vor allem, wenn die Überweisung im April um 1.020 Euro höher ausfällt als sonst. Für einen Beschäftigten der Tarifgruppe 2 (Endstufe) mit 13 Monatsgehältern entsprechen die Sonderzahlungen auf das Jahr gerechnet jedoch nur einer Lohnsteigerung von knapp 6%. Bei den höheren Tarifgruppen ist es entsprechend weniger. Das ist deutlich weniger als die offizielle Inflation — die im Februar bei 8,7% lag — und wirkt sich nicht auf die zukünftigen Löhne aus.

    Die Jobs bei der Post gelten als besonders hart und schlecht bezahlt, und so wird es bei diesem Abschluss auch bleiben. Der Effekt der Sonderzahlungen ist also vor allem ein psychologischer und kein wirtschaftlich-nachhaltiger. Und genau aus diesem Grund dringt das Kapital parallel zu den höchsten Preissteigerungen seit Jahrzehnten auf Einmalzahlungen statt tabellarischer Lohnerhöhungen, während die Unternehmen Rekordgewinne verzeichnen. Die Post etwa meldete Ende 2021 das beste Ergebnis ihrer Konzerngeschichte. Die Ausbeutung von Arbeitskraft ist die Grundlage dieser Gewinne, und niedrige Löhne lassen letztere besonders nach oben schießen.

    Bei diesen Manövern werden die kapitalistischen Unternehmen vom Staat und den DGB-Gewerkschaften bereitwillig unterstützt. Die IG Metall hat im vergangenen Herbst in der Metall- und Elektroindustrie in Baden-Württemberg einen ähnlich faulen Kompromiss vereinbart wie jetzt ver.di, und das trotz großer Streikbereitschaft. Eine vermeintlich hohe Entgeltsteigerung von 8,5% wird dabei auf zwei Jahre gestreckt, ansonsten gibt es für die Beschäftigten nur Einmalzahlungen. Das Muster ist dasselbe.

    Lohnerhöhungen nur durch Vollstreiks

    Die einzige Möglichkeit für Beschäftigte, die Senkung ihres Lebensstandards durch die Preissteigerungen aufzuhalten, ist der Streik. Einige kurzzeitige Warnstreiks, wie sie in den vergangenen Monaten in verschiedenen Branchen stattgefunden haben, sind zwar Schritte in die richtige Richtung, reichen aber nicht aus, um den Kampf um den Lebensstandard zu gewinnen. Dafür sind unbefristete Streiks notwendig, am besten branchenübergreifend. Vollstreiks für einen echten Inflationsausgleich sind ein Albtraum für das Kapital.

    Dass die Kapitalseite durch Streiks wirklich getroffen wird und Angst davor hat, zeigte kürzlich die Reaktion der „Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände“ (BDA) auf Streiks an den deutschen Flughäfen. Hauptgeschäftsführer Steffen Kampeter sprach von „überzogenen Streikzielen“ und forderte eine Einschränkung des Streikrechts: „Ein Streik, der den Flugverkehr in Deutschland zum Erliegen bringt, ist kein Warnstreik mehr.“ Der Ausstand mache deutlich, dass „gesetzliche Regelungen für den Arbeitskampf“ überfällig seien. Es brauche ein „Gesetz, das klar macht, dass Arbeitskämpfe Ausnahmen bleiben sollen“. Konkret brachte Kampeter Ankündigungsfristen bei Arbeitskampfmaßnahmen ins Spiel, eine „Klarstellung der zulässigen Mittel des Arbeitskampfs“ sowie eine gesetzlich verpflichtende Schlichtung vor jeglichen Arbeitskampfmaßnahmen. Die Gewerkschaften wiesen den Vorstoß Kampeters zurück.

    Die große Angst der Unternehmerseite vor echten Streikkämpfen, die nicht vom DGB nach drei Warnschüssen mit einem faulen Kompromiss beendet werden, erklärt sich auch aus der Arbeitsmarktsituation. Das deutsche Kapital hat immer mehr mit einem branchenübergreifenden Mangel an Arbeitskräften zu kämpfen. Bereits im Oktober 2021 haben deutsche Unternehmen 1,2 Millionen Arbeitskräfte gesucht. Und die Tendenz ist steigend: Berechnungen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), das zur Bundesagentur für Arbeit gehört, sehen einen Rückgang der Arbeitskräftezahl in Deutschland um bis zu 7 Millionen bis 2035 voraus. Besonders betroffen sind der Pflegebereich, das Handwerk und naturwissenschaftlich-technische Berufe. Doch auch ungelernte Arbeitskräfte sind für das Kapital immer schwerer zu finden.

    Diese Lage bietet für die Arbeiter:innenklasse besonders gute Möglichkeiten, um durch entschlossene Lohnkämpfe ihren Lebensstandard nicht nur zu verteidigen, sondern sogar zu verbessern. Denn findet das Kapital ohnehin keine Arbeitskräfte mehr, wird es auch keine willigen Arbeiter:innen finden, um hart geführte Streiks zu brechen. Nicht nur deshalb sucht die Kapitalseite mithilfe des Staates händeringend nach Möglichkeiten, um zusätzliche Arbeitskraft zu mobilisieren. Da Männer und Frauen im gewöhnlichen Erwerbsalter bereits zu 70 bis 80% erwerbstätig sind, bleiben nicht viele Möglichkeiten. Die Pläne gehen daher in die Richtung, noch mehr Frauen (vor allem mit Migrationshintergrund) in Jobs zu bringen, Rentner:innen zu reaktivieren, ausländische Arbeitskräfte anzuwerben und das Rentenalter sowie die Wochenarbeitszeit für alle Beschäftigten anzuheben.

    Politische Angriffe und politische Streiks

    Angriffe auf den Lebensstandard der Arbeiter:innenklasse drohen also nicht nur im Hinblick auf Löhne und Preise, sondern auch auf die Renten, die Arbeitszeit und die Verhältnisse am Arbeitsplatz insgesamt. Auch hier sind Streikkämpfe aus Arbeiter:innensicht die richtige Antwort. In vielen europäischen Ländern wie in Frankreich, Italien, Belgien, Griechenland und anderen legen Arbeiter:innen selbstverständlich die Arbeit nieder, wenn Staat und Kapital politische Angriffe auf sie starten. In Frankreich kam es in den vergangenen Wochen im Kampf um Macrons Angriff auf die Renten zu landesweiten Streikwellen (siehe den Artikel auf der nächsten Seite). Und die griechischen Arbeiter:innen haben Mitte März mit einem Generalstreik das öffentliche Leben im Land weitgehend lahmgelegt, um die Aufklärung eines Zugunfalls mit 57 Toten durchzusetzen.

    Das deutsche Streikrecht, das der Unternehmerfunktionär Kampeter für zu liberal hält und verschärfen will, sieht solche politischen Streiks jedoch nicht vor. Tatsächlich ist das Streikrecht in Deutschland fast gar nicht in Gesetzbüchern geregelt, sondern ergibt sich aus den vergangenen Urteilen von Gerichten. Demnach dürfen Arbeiter:innen hierzulande nur die Arbeit niederlegen, wenn sie dies zur Durchsetzung von Forderungen im Rahmen von Tarifkämpfen und unter der Führung einer Gewerkschaft tun. Um politische Ziele zu erreichen, darf nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts nicht gestreikt werden. Dazu würden auch Solidaritätsstreiks zählen.

    Mit anderen Worten: Der deutsche Staat und seine Gerichte legen den Arbeiter:innen im Kampf um ihre Lebens- und Arbeitsbedingungen enge Fesseln an und verbieten alle Arten von Streiks, die sich außerhalb von Tarifverhandlungen und der eigenen Branche — und damit faktisch außerhalb des Hoheitsbereichs des DGB oder anderer bürgerlich geführter Gewerkschaftsorganisationen (wie z.B. der GdL oder dem Christlichen Gewerkschaftsbund CGB) — bewegen. Streiken ist damit fast immer illegal. Zugleich sind die Unternehmen über ihre Verbände und deren Funktionär:innen über zahlreiche Kanäle mit dem Staat und seinen Organen verbunden und können ihre Interessen dort relativ mühelos durchsetzen. Der heutige Kapitalfunktionär Kampeter etwa saß mehr als 25 Jahre für die CDU im Bundestag und war jahrelang Staatssekretär im Finanzministerium.

    Streiks sind für die Arbeiter:innenklasse eines der wichtigsten Kampfmittel. Deshalb gehört auch der Kampf gegen die Beschränkung des Streikrechts zu den wichtigsten Aufgabenfeldern im Klassenkampf. Um den Angriffen von Kapital und Staat wirksam entgegenzutreten, muss die Arbeiter:innenklasse branchenübergreifend und politisch streiken.

    • Perspektive-Autor seit 2019 sowie Redakteur der Printausgabe. Auszubildender in der Metallindustrie in Berlin und Hobbykünstler.

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