Zwischen 2015 und 2021 versuchte die politische Polizei in der Türkei, mindestens 952 Spitzel anzuwerben. Die Dunkelziffer dürfte deutlich höher sein.
Der türkische Staat geht mit besonderer Härte gegen Kommunist:innen, Antifaschist:innen und sozialistische Aktivist:innen vor. Insbesondere die kurdische Befreiungsbewegung nimmt sie ins Visier – umso mehr, seit 2015 die Friedensverhandlungen mit der PKK beendet wurden.
Eine wichtige Rolle spielt dabei auch die geheimdienstliche Tätigkeit gegen fortschrittliche Bewegungen und Organisationen. Wie die1990 gegründete türkische Menschenrechtsorganisation İHD (Türkiye İnsan Hakları Vakfı, auch TİHV) berichtet, soll die türkische Polizei dabei allein zwischen 2015 und 2021 bei mindestens 952 Menschen versucht haben, sie als Spitzel zu gewinnen. Die Dunkelziffer dürfte dabei deutlich höher liegen, da viele erfolglose und vor allem die erfolgreichen Versuche nicht ans Licht kommen.
Perfide Methoden
Beim Anwerben von Spitzeln schrecken Polizei und Geheimdienste vor kaum einem Mittel zurück: Sie nutzen z.B.die ökonomische Situation junger Menschen aus und versuchen, sie durch finanzielle Anreize zu gewinnen. Aber auch persönliche Beziehungen missbrauchen sie, um politische Aktivist:innen zu erpressen. Besonders Frauen sind hierbei der Gefahr sexualisierter Gewalt ausgesetzt, indem man versucht, sie mit Veröffentlichung von Bildern der Taten zu bedrohen.
Gemeinsam mit den Zahlen veröffentlichte die İHD auch die Sichtweise von Betroffenen auf Anwerbeversuche. So wurde etwa der Aktivist Sezgin Cengiz (38) vom türkischen Geheimdienst MIT verschleppt. Dieser nutzte seine familiäre Situation, um ihn zu erpressen. „Wie geht es Ihrer Tochter Newroz und Ihrem Sohn Bahoz? Sie sind sehr groß geworden, wie wir sehen. Wir folgen dir. Handle entsprechend“, sollen die Agenten ihn genötigt haben. Eine 16-Jährige gab an, aufgrund von Drohungen gegen ihre Familie Falschaussagen über Aktivist:innen beim Geheimdienst getätigt zu haben.
Aber auch die Situation von Gefängnis-Insassen wird ausgenutzt: So wurde der politische Gefangene Onur Katar, als er sich unter dem Vorwurf der Mitgliedschaft in der kommunistischen Partei MLKP in Isolationshaft befand, ein Angebot gemacht, gegen Haftverschonung als politischer Spitzel tätig zu sein.