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Zeitung für Solidarität und Widerstand

Ganz groß, ganz bunt, ganz teuer

Unsere Städte sind voller Werbung. Das Internet auch. Unternehmen konkurrieren in unseren alltäglichen Treffpunkten, ob analog oder digital, um das aufmerksamkeitserregendste Produkt – wir können nur noch schwer wegschauen. In Las Vegas wurde mit der Zwei-Milliarden-Dollar-Kugel aber kürzlich in Sachen Penetranz nochmal eine Schippe drauf gelegt. – Ein Kommentar von Konstantin Jung

Auf dem Handy, in der Zeitung, auf dem Weg zur Bahn: im Schnitt kriegen wir täglich um die 10.000 Werbebotschaften entgegen geschleudert. Mittlerweile herrscht dem gegenüber so eine abgestumpfte Akzeptanz, dass das größte Hindernis all der Werbeagenturen nicht mehr die Suche nach dem besten Werbeplatz ist, sondern dass unsere Gehirne bei all dem bunten Datenmatsch ab irgendeinem Punkt einfach nichts mehr wahrnehmen. Wir sehen all die Leinwände und Litfaßsäulen, aber der Schritt zur Verarbeitung der Inhalte wird kognitiv meist nicht gemacht.

Die Antwort der Werber:innen lautet im Grunde genommen, einfach noch mehr Werbung zu schalten. Nicht mal auf dem Boden von U-Bahnhöfen ist man davor sicher, und dass über ganze Wohnblocks für das neue iPhone geworben wird, ist mittlerweile ganz normal. Die Massenmedien wie Zeitung, Fernsehen und auch das Internet tragen Reklame in der DNA. Sie stellen uns ein Produkt vor und versuchen uns zu überzeugen, es auch zu kaufen. Und selbst wenn man es dann gekauft hat, ist man vor weiterem Spam nicht sicher, wie kürzlich das 70-Euro Videospiel „NBA 2K21“ mit einem nicht überspringbaren Werbespot gekonnt bewiesen hat.

All das nimmt in unserem Alltag mehr und mehr Platz zu Lasten von kommerz- und werbefreien Bereichen ein. Der daraus folgende Mangel an beruhigender Zeit kann dabei nicht zuletzt auch der Gesundheit schaden. Gleichzeitig sinkt mit der Zeit auch die Hemmschwelle für aggressive und aufdringliche Werbung bedeutend: einmal an eine Absurdität gewöhnt, kann auch schnell die nächste kommen.

Schau mich an!

Ähnliches mag wohl für das bereits erwähnte Projekt aus den USA gelten. Vergangene Woche wurde nämlich in Las Vegas der bislang größte Kugelbau der Welt mit dem Namen „Sphere“ vorgestellt. Das Zwei-Milliarden-Dollar-Projekt soll ein Raum für Veranstaltungen aller Art sein und fällt vor allem durch seine unübersehbare LED-Beleuchtung mit 1,2 Millionen Elementen an der Außenwand auf. Investoren schwärmen von Virtual-Reality-Konzerten und 4D-Filmen, doch nüchtern betrachtet ist die Kugel vor allem eins: eine absurd gigantische Reklamefläche.

Zuallererst ist es vielleicht angebracht festzustellen, dass die „Sphere“ in einer Stadt wie Las Vegas, die mit all den Luxushotels und überschwänglichen Freizeitangeboten nicht gerade den Inbegriff von Bodenständigkeit darstellt, eher weniger aus dem Rahmen fällt. Außerdem reiht sich ohnehin eine knallbunte Leinwand an die nächste, Marketing-Blogs schreiben ganze Beiträge zu den „Must-See Billboards“. Doch – zumindest gefühlt – übertreffen die neuen 54.000 Quadratmeter an kugelförmiger LED-Leinwand selbst das Niveau des New Yorker Times Square oder des Bahnhofs Shibuya in Tokio.

Grundsätzlich scheint das Gebäude wohl gar nicht für Werbung konzipiert worden zu sein, machten nach der Erstinbetriebnahme doch vor allem Bilder von überdimensionalen Augen und Schneekugeln die Runde im Internet. Am Independence Day darf natürlich auch die rot-weiß-blaue US-Fahne als Animation nicht fehlen. Ein gigantischer Basketball wiederum soll für die derzeit in Nevada stattfindende Sommer-Liga der NBA werben. Und so wirklich ignorieren kann man das Ding bei der schieren Größe nicht. Auf Twitter schreiben Leute jedoch, dass die zwei Milliarden Dollar gut angelegt wurden. Ja?

Die Reichen entscheiden über die Städte

Abseits von jeglicher Werbekritik könnte man im Bezug auf die „Sphere“ noch viele weitere groteske Dinge nennen. Dass sich die aufgewandten Kosten für den Bau seit Anfang quasi verdoppelt haben. Dass sich unter all den Luxushotels und Casinos um die 1.500 obdachlosen Menschen in der städtischen Kanalisation eine Parallelwelt aufbauen mussten. Dass die MSG Company als Betreiberin der „Sphere“ bereits in anderen Veranstaltungsräumen Gesichtserkennung einsetzt, um „feindlich gesinnte“ Vertreter:innen von Anwaltskanzleien rauszuschmeißen. Dass sie ein weiteres ähnliches Gebäude im dicht besiedelten Londoner Osten planen.

Diese komische Kugel ist wohl nur ein weiteres Beispiel unter vielen, wenn es um Absurditäten der heutigen Zeit geht. Aber in Anbetracht dessen, was es an Geldern für tatsächlich sinnvolle Projekte im Kunst- und Kulturbereich benötigt, ist das kugelförmige Teil hier doch eher eine krasse Verhöhnung. Damit wäre auch schon einiges zur generellen Städteplanung und Architektur im modernen Kapitalismus gesagt: Es liegt nicht in der Hand des Großteils der Bevölkerung, zu entscheiden, was jetzt wo hin gebaut wird und was nicht, natürlich sind die Resultate dann auch entsprechend exklusiv. Der öffentliche Raum unserer Städte ist – auch in Sachen Gestaltung – schon längst privatisiert. Letztlich ist jeder optisch wahrnehmbare Ort für ein Unternehmen auch ein potentieller Werbeträger.

Diese Reizüberflutung ist für uns normal geworden, sie prägt unbewusst unser Verständnis von und für Ästhetik. Wir denken schon gar nicht mehr so viel darüber nach, was uns eigentlich tagtäglich für abstruse Sachen begegnen. Doch vielleicht ist diese Riesenkugel in Las Vegas der richtige Anlass, um genau das zu tun.

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