Das israelische Parlament hat einen Teil der umstrittenen Justizreform der rechten Regierung beschlossen. Wirkliche Einigkeit über den Kurs gibt es in der herrschenden Klasse jedoch keine.
Monatelang protestierten Menschen in Israel gegen die geplante Justizreform der Regierung unter Präsident Netanyahu. Als ein Kernelement Ende Juli durch das israelische Parlament trotz alledem verabschiedet wurde, spitzte sich die Situation weiter zu. Durch die Abschaffung des ‚Angemessenheitsprinzips‘ kann der Oberste Gerichtshof kaum noch Einspruch gegen Entscheidungen der Regierung oder einzelner Minister:innen erheben.
Die Pläne lösten nicht nur in der arbeitenden Bevölkerung Protest aus. Selbst Teile der herrschenden Klasse Israels halten den Kurs, die bürgerliche Demokratie jetzt auch für jüdische Israelis zu beschneiden, für den falschen Schritt.
So auch Ehud Barak in einem Interview mit dem Spiegel. Von 1999 bis 2001 war er israelischer Ministerpräsident, zu verschiedenen Zeitpunkten hatte er auch den Posten des Außen- und des Verteidigungsministers inne. Er bezeichnet die Unruhen als die „größte Krise“ in der Geschichte Israels. Die Situation ist auch in diesem Sinne besonders, denn im Gegensatz zu den verschiedenen Kriegen und der gewaltsamen Unterdrückung der Palästinenser:innen geht in den Augen der Bevölkerung jetzt die Politik gegen den eigenen Staat. Oder wie Barak es formuliert: „Denn jetzt geht es um unser Innerstes; um alles, was wir in 75 Jahren erschaffen und geschafft haben. Die äußeren Feinde um uns herum spielen hier keine Rolle.“
Das erklärt, warum selbst Teile des Militärs sich dem Widerstand anschließen. Mehr als zehntausend Reservist:innen wollen wegen des Gesetzes ihren Dienst suspendieren. Von Seiten des Militärs hieß es, die Kriegsbereitschaft werde durch die Verweigerungen beeinträchtigt, sollte sie langfristig anhalten.
Ehud Barak führt seine Bewertung der Situation dann noch aus und nennt Israel eine „De-facto-Diktatur“ und die Regierung faschistisch. Seiner Meinung nach steht fest, „dass man als israelische Regierung nicht ein Groß-Israel zwischen Jordan und Mittelmeer permanent kontrollieren und dabei immer noch demokratisch sein kann.“ Dürften die Palästinenser:innen, die in dem Gebiet leben, wählen, wäre Israel in kurzer Zeit ein binationaler Staat mit muslimischer Mehrheit … „was nun wirklich nicht unserer Vorstellung entspricht“, so Barak. Er halte weiter an einer Zweistaatenlösung fest, deren Umsetzbarkeit er jedoch in eine unbestimmte Zukunft verweist.
In einem Interview mit der Tagesschau spricht der Historiker Meron Mendel ebenfalls davon, dass es vor allem die Bedrohung von außen war, welche die verschiedenen Teile der israelischen Gesellschaft zusammengehalten habe. Die Mehrheit sei nicht auf der Seite der Regierung, trotzdem könne der Abbau demokratischer Rechte unumkehrbar sein. Sollte Netanyahus Kabinett also seine Pläne umsetzen, könnte auch seiner Ansicht nach keine Rede mehr von einer Demokratie sein. Abzuwarten bleibt, wie sich die Beziehungen Israels infolge der ‚Reform‘ mit den USA und der EU weiterentwickeln.