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Sonntag, April 28, 2024
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    Studie zu Rassismus gegen Sinti:zze und Rom:nja legt diskriminierende Behördenarbeit offen

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    In einigen Behörden hat sich ein rassistischer Normalzustand etabliert: Wohnungssuchende werden beispielsweise vor unnötige Hürden gestellt, und auf dem Arbeitsmarkt werden Migrant:innen aufgrund ihrer Herkunft wichtige Chancen verwehrt. So auch in der niedersächsischen Landeshauptstadt Hannover, wo eine Studie zur Diskriminierung von Sinti:zze und Rom:nja durchgeführt wurde. – Ein Kommentar von Arthur Jorn.

    Für die meisten migrantischen Personen gehören Diskriminierung und Benachteiligung zum Alltag in Deutschland. Auch Sinti:zze und Rom:nja sind davon stark betroffen. Besonders seit den 1960er und 70er Jahren, als eine Vielzahl von ihnen als Arbeitsmigrant:innen nach Deutschland kamen, prägen stereotype Vorurteile den Umgang mit ihren Minderheiten.

    Fremdenfeindlichkeit gegenüber Sinti:zze und Rom:nja wird auch als “Antiziganismus“ bezeichnet. Dieser Begriff wird von den Studienautor:innen verwandt. Um nicht die diskriminierende Fremdbezeichnung zu reproduzieren, wird als alternativer Ausdruck für diese Form von Diskriminierung “Gadjé-Rassismus” benutzt. “Gadjé” ist Romanes und meint alle Menschen, die nicht selbst Roma sind.

    Dank unterschiedlicher Meldestellen und Gremien, die im Interesse der Minderheiten Fälle von Diskriminierungen sammeln und auswerten, wurde erst über die Jahre nach und nach deutlich, wie prekär die Lage für die meisten Sinti:zze und Rom:nja in Deutschland ist.

    Studie über rassistische Behördenarbeit in Hannover

    Bereits im März 2021 veröffentlichte das „Institut für Didaktik und Demokratie“ der Universität Hannover eine Studie, in der sie Gadjé-Rassismus am Fallbeispiel einer „westdeutschen Großstadt“ erforschten. Demnach ist besonders im Bereich des Wohnens und der Unterbringung eine räumliche Verdrängung der migrantischen Gruppen besonders auffällig. In der Studie ist mit Blick darauf von einem „kommunalen Problemdiskurs“ die Rede, in dem die „als Roma bezeichneten Bürger:innen als Gefährdung für den sozialen Frieden“ inszeniert werden. Dadurch werden sie vorzugsweise in abgelegeneren Gebieten untergebracht, wie beispielsweise in Gewerbegebieten oder in der Nähe von Autobahnen, wodurch sie räumlich vom Rest der Bevölkerung getrennt und isoliert werden.

    Derartig gefestigte rassistische Muster haben jedoch auch auf andere Bereiche des Zusammenlebens Einfluss, wie z.B. auch auf den Arbeitsmarkt. Dieser stellt die Migrant:innen vor extreme, teils nicht nachvollziehbare bürokratische Hürden, da ihre Erfahrung und individuelle Qualifikation auf dem Arbeitsmarkt paradoxerweise in den meisten Fällen nicht anerkennt wird. Durch diese Umstände werden große Teile dieser Minderheiten an den „Rand des Arbeitsmarktes“ gedrängt, was sie oftmals in die prekärsten Verhältnisse zwingt.

    Auch die Suche nach Schul- oder Kitaplätzen wird laut der Studie für die Betroffenen deutlich schwerer, da sie in beinahe allen Bereichen des Zusammenlebens unter den Generalverdacht von Betrug gestellt werden.

    Dass es sich bei der „westdeutschen Großstadt“, die in der Studie exemplarisch untersucht wurde, um Hannover handelt, wurde in der Studie nicht erwähnt. Erst durch Recherchen der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung wurde vor wenigen Wochen offengelegt, dass es sich bei dieser Großstadt um die niedersächsische Landeshauptstadt handelt. Nicht zuletzt, weil die Redakteur:innen in den zitierten Beispielen ihre eigene Berichterstattung teilweise wiedererkannten.

    Flugblätter gegen Sinti:zze und Rom:nja in Chemnitz

    Aktuelle Fälle von Diskriminierungen von Sinti:zze und Rom:nja zeigten sich in der jüngeren Vergangenheit auch in Chemnitz. Dort haben die nationalistische Gruppierung „Pro Chemnitz“ und die rechtsextreme Kleinstpartei „Freie Sachsen“ rassistische Flugblätter verteilt, die vor einer angeblich zugezogenen Clan-Familie warnen sollen. Auch die Namen und Adressen der Betroffenen sind auf den Flugblättern lesbar, wodurch indirekt zu Gewalt gegenüber ihnen ermuntert wird. Der Antiziganismus-Beauftragte der Bundesregierung, Mehmet Daimagüler, erklärte, die Flugblätter läsen sich gar wie ein Aufruf zum Pogrom. Er forderte vom Land deshalb umfassendere Schutzmaßnahmen für die Sinti und Roma in Chemnitz.

    Solche Maßnahmen wären jedoch auch bundesweit außerordentlich notwendig, wenn man sich vor Augen führt, wie massiv die Fälle von Diskriminierung und Benachteiligung zunehmen: Die Melde- und Informationsstelle Antiziganismus (MIA) hat im Jahr 2022 mehr als 600 antiziganistische Vorfälle erfasst. Der Rassismus ist für die Betroffenen bereits zum Alltag geworden und wird nicht nur bei den deutschen Behörden oder Faschist:innen sichtbar, sondern auch von der Polizei, dem Jugendamt, dem Jobcenter oder den kommunalen Verwaltungen registriert.

    Maßnahmen, wie bspw. Sensibilisierungsversuche oder Gewaltprävention, Schutzräume für Betroffene oder sozialere Perspektiven für Sinti:zze und Rom:nja wurden von Seiten der Regierung jedoch bis dato kaum getroffenen.

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