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Samstag, Mai 4, 2024
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    Unternehmen halten Inklusionsvorgaben nicht ein – Bußgelder werden abgeschafft

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    Zehntausende deutsche Unternehmen stellen trotz Pflichtvorgabe keine Menschen mit Behinderung ein. Die vorgesehenen Bußgelder werden so gut wie nie verhängt. Nun soll diese Strafe im nächsten Jahr sogar abgeschafft werden.

    Menschen mit Behinderung sind in Deutschland weitestgehend vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen: 300.000 arbeiten in sogenannten „Behindertenwerkstätten“, und die Arbeitslosenquote ist mehr als doppelt so hoch wie bei Menschen ohne Behinderung. „Um das zu ändern, machen wir mit gezielten Maßnahmen den Arbeitsmarkt inklusiver“, so Bundesarbeitsminister Hubertus Heil ursprünglich. Wie sehen diese gezielten Maßnahmen aktuell aus? Kann Deutschland tatsächlich mit Inklusion von behinderten Menschen punkten?

    Inklusionsquoten für Unternehmen

    Die UN-Behindertenrechtskonvention vom Jahr 2009 sollte in Deutschland für mehr Inklusion in der Arbeit sorgen. Über 170.000 Unternehmen in Deutschland wären eigentlich gesetzlich dazu verpflichtet, 5% Arbeiter:innen mit Behinderung einzustellen. Dies gilt ab einer Größe von 20 Angestellten. Die Bereitschaft der Unternehmen, dem nachzugehen, ist jedoch außerordentlich gering. 45.000 Firmen beschäftigen derzeit trotz gesetzlicher Verpflichtung keine einzige Person mit schwerer Behinderung.

    Wird dem nicht nachgekommen, müssen die Unternehmen monatlich eine Ausgleichszahlung von 140-360 Euro an den Staat zahlen – Arbeitsplätze für behinderte Menschen entstehen dadurch nicht. Wenn ein Unternehmen vorsätzlich keine Menschen mit Behinderung einstellt, droht ihm theoretisch sogar eine Strafe in Form eines Bußgelds bis zu 10.000 Euro. Doch auch hierdurch finden behinderte Menschen nicht leichter Arbeit. Eine nicht eingehaltene Quote für ihre Inklusion wird zwar bestraft, aber eingestellt werden die Beroffenen dadurch noch längst nicht automatisch. Und was, wenn die Unternehmen in der Realität nicht einmal ihre Bußgelder bezahlen müssen?

    Lediglich ein Bußgeldverfahren im Jahr 2022 – Ohne Bußgeld

    „Die Bundesagentur für Arbeit begleitet Menschen mit Behinderung vor und während des Berufslebens“, heißt es auf der Internetseite der Bundesbehörde. Bezogen auf die Teilnahme von Personen mit Behinderung ist es die Aufgabe der Agentur, Sanktionen gegen Unternehmen zu verhängen, die sich vorsätzlich oder fahrlässig nicht an die vorgegebene Fünf-Prozent-Quote halten. Nun stellte sich jedoch heraus, dass es im Jahr 2022 nur ein einziges derartiges Verfahren gegen ein Unternehmen gab, während doch eigentlich 45.000 Unternehmen nicht nach dem Gesetz handeln. Um welches Unternehmen es sich handele, wollte die Bundesagentur für Arbeit (BA) auf Nachfrage von FragdenStaat und der Zeit nicht bekanntgeben. Grund dafür seien der Datenschutz und die Geheimhaltung. Auch in einem Schreiben an das Verwaltungsgericht Ansbach versuchte die Agentur, das Unternehmen in Schutz zu nehmen. Eine Veröffentlichung des Namens der Firma könne Missachtung in der Bevölkerung nach sich ziehen.

    Aufgrund eines Gerichtsbeschlusses des Ansbacher Verwaltungsgerichts musste die BA nun doch mitteilen, um welche Firma es sich handelte: Es war die Firma EDEKA Neukauf Kratzmann KG, gegen die ein Ermittlungsverfahren durchgeführt wurde, das sich auf das Jahr 2021 bezog. Doch selbst hier kam es zu keiner Verhängung eines Bußgeldes. Zuvor hatte die Bundesagentur noch versichert, es seien insgesamt sechs Verfahren gelaufen – diese Angaben waren falsch.

    Während Unternehmen also keine nennenswerten Sanktionen bei Nicht-Einhaltung von Inklusionsvorgaben zu erwarten haben, werden hunderttausende Arbeitslose bestraft. Zukünftig sollen sogar noch schärfere Bestrafungen auf Arbeitslose zukommen, um die Löcher im Bundeshaushalt mit Geld zu füllen. Doch damit nicht genug: Auch die Bußgeldverfahren gegen Unternehmen sollen ab 2024 nicht mehr stattfinden.

    Vollständige Abschaffung von Bußgeldverfahren

    In wenigen Tagen, ab dem 1. Januar 2024, ist die Sanktion durch Bußgeldverfahren nun endgültig Geschichte. Die SPD-Staatssekretärin im Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Kerstin Griese, bezeichnete die Bußgeldverfahren als „stumpfes Schwert“ und rechtfertigte so die Abschaffung durch das Ministerium. Stattdessen trete eine neue Gesetzesreform in Kraft: Das Gesetz zur Förderung eines inklusiven Arbeitsmarkts. Demnach soll die monatliche Abgabe für Unternehmen, die keine schwerbehinderten Menschen einstellen, auf bis zu 720 Euro angehoben werden.

    Sollte ab dem neuen Jahr konsequent jedes Unternehmen monatlich mit dem Höchstwert von 720 Euro Abgaben zu leisten haben, würde dies immer noch eine jährliche Senkung auf 8.640 Euro bedeuten. Sozialverbände und Sachverständige stellten sich deshalb bis zuletzt gegen die Gesetzesreform. Ob mit dem neuen Gesetz ein anderer Kurs, ein Kurs für mehr Inklusion eingeschlagen wird, lässt sich bezweifeln: „Das Einzige, was die Schwerbehindertenvertretung jetzt noch machen kann, ist, Arbeitgeber zu bitten, die Beschäftigungspflicht einzuhalten. Da könnten Sie genauso in die Kirche gehen, eine Kerze anzünden und hoffen, dass alles besser wird“, so der Sachverständige Franz-Josef Düwell, ehemaliger Vorsitzender Richter am Bundesarbeitsgericht.

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