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Montag, Oktober 7, 2024
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    Rezession wegen Krankheitstagen? – Werbung im Nachrichtengewand

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    Dieser Tage wird die Nachricht verbreitet, dass die deutsche Wirtschaft nur deswegen in die Rezession gerutscht sei, weil die Arbeiter:innen überdurchschnittlich häufig krank waren. Stimmt das? Und auf welcher Grundlage werden diese Aussagen gemacht? – Ein Kommentar von Johann Khaldun.

    Erst vor kurzem wurde in privaten wie in öffentlich-rechtlichen Medien die Nachricht verbreitet, dass es so viele Erb-Milliardäre wie nie zuvor gebe. Bei genauerem Hinschauen zeigte sich, dass hier die bürgerlichen Medien einem Werbeprospekt aufgesessen waren und sich so bereitwillig in die Zwecke unserer Kapitalist:innen einspannen ließen.

    Jetzt wird wieder eine Sau durchs mediale Dorf getrieben. Diesmal erfahren wir etwa beim privaten Focus sehr dramatisch: „Rekord-Krankenstand stürzt Deutschland in die Rezession“. Und auch die öffentlich-rechtliche Tagesschau unterrichtet uns, wenngleich etwas weniger theatralisch: „Drückte Krankenstand Deutschland in Rezession?“. – Also wieder die schönste ideologische Einheit an der bürgerlichen Medienfront.

    Spekulation präsentiert sich als wissenschaftliche Studie

    Die Grundlage der Nachrichtenfront ist eine “Studie” der Lobby-Organisation Verband Forschender Arzneimittelhersteller. Dort haben sich die Herren Claus Michelsen und Simon Junker zusammengefunden, um gleich zweierlei zu meistern: die Krise des Kapitalismus auf die Arbeiter:innen abzuwälzen und zugleich die eigene Industrie anzuheizen.

    In der Studie lesen wir: „Erhebliche Arbeitsausfälle führten [2023] zu beträchtlichen Produktionseinbußen – ohne die überdurchschnittlichen Krankentage wäre die deutsche Wirtschaft um knapp 0,5 Prozent gewachsen. Somit büßt Deutschland durch den hohen Krankenstand Einkommen in Höhe von 26 Milliarden Euro ein – auch für die Krankenversicherung und an Steuern gehen mehrere Milliarden verloren.“

    Das sind schon recht konkrete Zahlen. Wie kommen die Autor:innen dazu? Sie spekulieren einfach. Denn sie räumen ganz offen ein, dass es keine wirklichen Zahlen gäbe, die den Zusammenhang von Krankheitstagen und Rückgang der Wirtschaftsleistung genau belegten. Genau genommen weisen sie sogar darauf hin, dass da noch ganz andere Prozesse eine Rolle spielen: „Erstens macht Deutschlands Exportorientierung die Wirtschaft besonders anfällig für globale Krisen. Zweitens sind die Energiekosten mit dem Wegfall günstiger Lieferungen aus Russland überdurchschnittlich gestiegen – die sich wiederum wegen des vergleichsweise großen industriellen Sektors in Deutschland stärker auswirken. Drittens hinterlässt die globale Flaute bei den Investitionen bei der auf Investitionsgüter spezialisierten Exportwirtschaft deutliche Spuren.“

    Bei solch schwerwiegenden und eigentlich auch bekannten Problemen soll aber doch die Schuld eher in der schwächelnden Konstitution der Arbeiter:innen gesucht werden. Daher hangeln sich die Autoren durch ‘Wieselwort’ wie den folgenden zum gewünschten Ziel: „Bereits seit geraumer Zeit ist der Krankenstand so hoch, dass krankheitsbedingte Fehlstunden wohl nicht mehr ohne Weiteres mit den üblichen Mitteln kompensiert werden können. Zumindest dürfte dies angesichts der so zahlreichen Ausfälle schwieriger geworden sein.“

    Was bringt das Ganze?

    Dass dann ein paar Zahlen herangezogen werden, die durchaus einen Rückgang von Wirtschaftsleistung und einen Anstieg der Krankheitszeiten in bestimmten Industrien zeigen, beweist hingegen noch keinen Zusammenhang. Die ausgefallenen Arbeitszeiten könnten – auch das geben die Autoren zu – durch Überstunden kompensiert worden sein und sie können durch steigende Produktivität ausgeglichen werden. Sie könnten auch schlicht irrelevant gewesen sein in einer krisenhaften Situation, in der Energieversorger nicht mehr zu wettbewerbsfähigen Preisen zu haben sind, in der geopolitische und klimatische Verwerfungen Märkte und Handelsrouten abwürgen und alte Handelspartner verdrängen.

    Der Rückgang der Exporte deutscher Industriewaren ist gut nachgewiesen. Daher ist es wichtig, dass wir uns daran erinnern, dass dies keine wissenschaftliche Studie sondern ein Werbeprospekt der Pharma-Lobby ist. Deren Verschiebung des Problems in den Bereich ihrer Kapitalakkumulation führt dann auch zum Lösungsvorschlag: „Investitionen in die Gesundheit und Präventionsmaßnahmen scheinen angesichts der Folgen schwerer Krankheitswellen gleichermaßen sinnvoll und wichtig. Sie reduzieren einerseits die individuellen Folgen von Krankheit. Andererseits stärken sie die Wirtschaftsleistung und damit das, was als Einkommen zur Verfügung steht.“

    Der bürgerliche Staat soll also mehr Kapital in die Pharmaindustrie investieren. Dabei weist das Prospekt selbst nach, dass der Apothekenumsatz zwischen 2015 und 2023 um 50% gestiegen ist. Das ist schön für diese Industrie und soll daher noch schöner werden. Das Kapital kennt kein “genug”.

    Blinde Flecken bürgerlicher Ideologie

    Interessanterweise zeigt das Werbeprospekt auch, dass die Krankheitstage in mehreren imperialistischen Ländern seit der Weltwirtschaftskrise von 2008, in deren Folge die Herrschenden in Wirtschaft und Politik erhebliche Angriffe auf die Arbeiter:innenklasse starteten, kontinuierlich ansteigen. Das wird grafisch dargestellt, aber inhaltlich ignoriert.  Dabei zeigt sich gerade hier der ideologisch blinde Fleck der Autoren, den sie sich mit den Berichterstattern der bürgerlichen Medien teilen: Der Kapitalismus als Problem taucht im Denken dieser Menschen schlicht nicht auf.

    Doch die beschriebenen Probleme sind schlicht Kapitalismus-gemacht. Die vertiefte Ausbeutung der Menschen auch in den imperialistischen Ländern in Folge der umfassenden und fortgesetzten kapitalistischen Krise zerstört ihre physische und geistige Lebenskraft. Zerrieben im Prozess der Kapitalanhäufung sollen wir funktionieren – wenn es sein muss, auch unter Drogen.

    Unsere Gesundheit ist dabei gar nicht von Interesse. Sie ist nur ein Mittel zum Zweck. Sie ist notwendig, um den eigentlichen Zweck zu erfüllen. Wir sollen im kapitalistischen Produktionsprozess funktionieren, uns dort ausbeuten lassen. Die Pharmaindustrie ist dabei nur ein Parasit, der die Zerstörung der menschlichen Beschaffenheit als ihre höchst eigene Kapitalquelle gefunden hat. Selbst da, wo der Kapitalismus seine Grundlage – unsere menschliche Arbeitskraft – zerstört, findet er noch Wege, sich auch diesen Zerstörungsprozess einzuverleiben.

    Wir brauchen eigene, unabhängige Medien

    Genau darin liegt die Gefahr dieses Werbeprospektes. Und die unkritische Reproduktion seiner Botschaft durch die bürgerlichen Medien – ganz gleich ob private oder öffentlich-rechtliche – verhilft ihr zum Erfolg. Weil alle Akteur:innen in diesem Knäuel von Ausbeutung und Ideologie sich ein und denselben Standpunkt der Herrschenden teilen, vermischen sie sich so reibungslos miteinander. Bürgerliche Medien verbreiten halt bürgerliche Ideologie.

    Einmal mehr enden wir bei der Notwendigkeit eigener Medien, die dem Kapitalismus gegenüber kritisch eingestellt sind. Immer wieder sehen wir, wie bestimmte Kapitalfraktionen die bürgerlichen Medien ohne besondere Mühe für ihre Zwecke nutzen, wie dabei die Wahrheit verdreht und die Herrschaft des Kapitals gestützt wird.

    Dagegen hilft nur eine eigene Presse von Arbeiter:innen für Arbeiter:innen. Die Enthüllung falscher Nachrichten ist ein Teil davon.

    • Perspektive-Autor seit 2023. Philosoph deutsch-algerischer Abstammung mit Fokus auf Arbeiter:innengeschichte und deutschem Idealismus. Vom Abstrakten zum Konkreten auf dem Weg der Vermittlung.

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