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Trump droht mit dem Rückzug der USA aus Europa – was steckt dahinter?

Trump will die NATO verlassen. Rechte US-Geostrategen träumen von einer preiswerteren US-Hegemonie über Europa. Was hat das mit dem Kampf zwischen amerikanischem und chinesischem Imperialismus zu tun? Und warum ist die Empörung der Medien darüber unaufrichtig? – Ein Kommentar von Johann Khaldun.

Donald Trump hat mal wieder für Aufregung in der bürgerlichen Medienlandschaft gesorgt. Dieses Mal geht es um seine Aussage, dass er bei seiner eventuellen Wiederwahl zum Präsidenten der Vereinigten Staaten dieses Jahr aus der NATO austreten würde. Besonders für die transatlantische Fraktion der deutschen Kapitalist:innenklasse und ihrer ideologischen Vertreter:innen ist das eine Schreckensvorstellung.

Wie sollen sich die Europäer gegenüber ihren scheinbar so zahlreichen Feinden – allen voran Putin – zur Wehr setzen, ohne den großen Bruder USA? Die EU, die über das zehnfache der Wirtschaftsleistung Russlands verfügt und ein vielfaches mehr als Russland an Kapital in seine Kriegsfähigkeiten investiert, kann sich offenbar nicht gegen den „mächtigen Russen“ im Osten verteidigen.

Daher erkundigt sich auch der SPIEGEL beim rechten Geostrategen Sumantra Maitra über alternative Möglichkeiten einer NATO, aus der die USA vielleicht nicht austreten, sich aber doch entschieden zurückziehen, um ihre Kräfte auf Asien, das heißt gegen China zu bündeln.

Ein offener Reaktionär zeigt seine Karten

Maitra ist ein recht offener Gesprächspartner, der die Herrschaftsinteressen des amerikanischen Imperialismus nahezu unverblümt ausspricht. Es geht darum, wie Amerika die Hegemonie über Europa bei minimalen Kosten aufrechterhalten kann, um gleichzeitig den Krieg gegen China weiter voranzutreiben: “Der eigentliche Schock für die Europäer wird kommen, wenn sich die USA vollkommen auf Asien fokussieren – etwa dann, wenn es zu einem Krieg um Taiwan kommt.“ Taiwan ist dabei, ebenso wie aktuell die Ukraine, nur ein nützliches Mittel, um an den eigentlichen Feind China heranzukommen.

So wie der europäische und der US-amerikanische Imperialismus die Ukrainer:innen zu hunderttausenden und auf Generationen hinaus opfern, um möglichst viele Russ:innen zu töten und den russischen Imperialismus zu schwächen, so soll auch Taiwan als Vorwand dienen, um einen Krieg gegen China zu beginnen. Es interessiert das Kapital herzlich wenig, wie es den Menschen in diesen Ländern ergeht. Was zählt, sind die Eindämmung und das Niederringen der eigenen Konkurrent:innen.

Und das lasse sich besonders kostensparend im Bezug auf Europa bewerkstelligen, so Maitras Vorstellung, indem man sein Konzept einer „ruhenden Nato“ verfolgt. In diesem Szenario würden die USA die Atommacht ebenso wie die Seemacht über Europa behalten, während die Europäer:innen sich um Fußtruppen und Logistik kümmern würden:

„Deutschland müsste einfach zurückgehen zum Zustand im Jahr 1988, als die Bundeswehr über zwölf aktive Divisionen mit knapp 500.000 Mann und 2.000 Leopard-2-Kampfpanzer verfügte. Die Briten müssten ihre Navy so ausbauen, dass sie wieder auf dem Stand vor dem Ende des Kalten Kriegs wäre. […] Ich sage nicht, dass sich die USA völlig aus Europa zurückziehen sollten. Die Luftwaffenstützpunkte würden bleiben, auch die Kooperation der Geheimdienste.“

Die Europäer stellten also die Leiber, die dann ins Grab fallen, um die Kapitalinteressen zu verteidigen, sie trügen zudem die Hauptkosten und ließen sich dabei noch bespitzeln. Ein Deal, wie ihn sich selbst Trump, der bekanntlich die Meisterschaft im „Dealmaking“ erlangt hat, kaum besser ausdenken könnte.

Der „Pivot to Asia“ und der Krieg der Großreiche

Während Trump und seine geostrategischen Gefolgsmänner mit ihren offenen Aussagen den Beraterstab des deutschen Liberalismus moralisch erschüttern, hat die amerikanische Politik diesen Prozess ihrer Entfremdung von Europa schon längst in die Wege geleitet. Schon 2011 hat das damalige Oberhaupt des US-Imperialismus, Barack Obama, den „Pivot to Asia“ (dt. Schwenk nach Asien) verkündet.

Damit war genau diese geostrategische Umorientierung weg von Europa und hin zum neuen Hauptfeind China gemeint. Seitdem umringt der amerikanische Hegemon China mit einer immer dichteren Kette von Militärbasen und -bündnissen, führt Handels-, Propaganda- und diplomatische Kriege gegen das Land – und entfremdet sich in diesem Prozess immer mehr von Europa.

Der westliche Imperialismus hat sich den chinesischen Gegner selbst herangezogen. Ein wesentlicher – vielleicht der entscheidende – Motor hinter der Überwindung der Systemkrise des Kapitalismus in den 60-70er Jahren lag in der Öffnung Chinas nach der dortigen Konterrevolution 1976. Gewaltige Massen billiger Arbeitskräfte und Rohstoffe sowie Investitionsmöglichkeiten wurden in den unersättlichen Schlund der kapitalistischen Wirtschaft geworfen.

Anders als in anderen unterdrückte und ausgebeuteten Ländern hatte in China aber schon in den Jahren unter Mao die Industrialisierung begonnen. Dadurch fiel das Land nicht einfach in die übliche Reproduktion der Ungleichheit, sondern konnte sich auch während seiner Durchdringung durch das westliche Monopolkapital weiter ökonomisch fortentwickeln – jedoch auf Kosten der Arbeiter:innen und Bäuer:innen, die gnadenlos ausgebeutet werden.

So entstand in der Phase der Euphorie, während der das westliche Kapital seinen Ausgang aus der Systemkrise feierte, der eigene Konkurrent im Osten. Jetzt ist er da und so stark, dass er selbst den herrschenden US-amerikanischen Hegemon infrage stellt. In einer Situation, in der der amerikanische Imperialismus immer mehr an Kraft und Einfluss verliert und der chinesische Imperialismus zwar gedeiht, aber auch schon an die Grenzen einer bereits unter den Imperialist:innen aufgeteilten Welt stößt, entwickelt sich notwendigerweise ein neuer Weltkrieg. Schließlich ist mit dem Untergang der Sowjetunion, der die Imperialist:innen gegen den gemeinsamen Feind geeint hat, auch der Anstieg der zwischen-imperialistischen Konkurrenz kein Zufall. Das ist die aktuelle Lage.

Europa zwischen den Fronten

Jetzt müssen die USA ihre knapper werdenden Ressourcen und ihre abnehmenden Kräfte konzentrieren, um den aufsteigenden Konkurrenten auf seinen Platz unter den amerikanischen Stiefel zu verweisen. Da spielt der Name des jeweiligen US-Oberhaupts keine Rolle, entscheidend sind die Bewegungsgesetze des Kapitalismus, die diese Konkurrenz hervorrufen und befeuern.

Es gibt dabei allerdings zwei Wege: entweder, man schwächt zunächst den engsten Verbündeten Chinas, namentlich Russland – was zugleich in seiner potentiellen Verbindung mit dem deutschen Imperialismus eine nochmal eigene Gefahr für den US-Imperialismus bedeuten würde. Oder man konzentriert sich schon jetzt ganz auf China, ohne vorher Russland zu schwächen. Darin liegt die Differenz zwischen Demokraten und Republikanern, Biden und Trump. Aber beide zielen auf den gleichen Endgegner.

Europa steht zwischen diesen Fronten und wird zwischen den Großmächten aufgerieben. Einst selbst der Sitz der kapitalistischen Weltmacht, ist es zur zweitrangigen Macht verkommen. Jetzt muss sich der europäische Imperialismus entweder versuchen, irgendwie auf eigene Beine zu stellen (etwa unter der Hegemonie des deutschen Kapitals im Verbund mit den russischen Rohstoffen, wie es beispielsweise die AfD im Sinne hat), oder es muss sich hinter eine der Großmächte stellen.

Die Sprengung der Nordstream 2-Pipelines – wer auch immer letztlich dahinter stecken mag – hat die Entscheidung in Richtung einer Unterwerfung unter den amerikanischen Imperialismus erleichtert. Denn ohne eigene konkurrenzfähige Energieversorgung bliebe jeder Traum eines wieder eigenständigen europäischen Imperialismus genau das: ein Traum.

Unser Ausweg

All das ist die Perspektive der Kapitalist:innen. Für uns Arbeiter:innen, für uns, die kein Interesse am Erhalt des Kapitalismus haben, bleibt innerhalb dieser Logik des Kapitals nur ein Weg: uns selbst, bewusst und gegen das Kapital zu organisieren. Sonst werden wir gnadenlos in einem weiteren Weltkrieg, für eine Gesellschaftsform, die uns feindlich gesinnt ist, geopfert werden.

Sehen wir uns mit offenen Augen an, mit welchem Zynismus der Tod von hunderttausenden Menschen in der Ukraine, die völlige Verwüstung des Landes und der politische Ausverkauf auf Jahrzehnte hinaus in den bürgerlichen Medien als heldenhafter Opfergang verkauft wird. Sehen wir uns genau an, wie der offene Völkermord an den Palästinenser:innen durch den israelischen Siedler-Kolonialismus als Widerstandskampf verzerrt wird. Dann sollte uns das an das Schicksal erinnern, das das Kapital auch für uns bereit hält.

Deutschland rüstet auf, so rasant und massiv, wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Wenn der deutsche Imperialismus offen in die Marschstiefel steigt, dann hat das noch nie etwas Gutes für die deutsche Bevölkerung und schon gar nicht für andere Länder bedeutet. Wir haben eine Verantwortung, einen erneuten Angriff dieses Landes auf die Welt zu verhindern, ob das hinter dem Rücken der USA geschieht oder auf eigenen Beinen.

Uns das bewusst zu machen und die organisatorischen Konsequenzen daraus zu ziehen, werden bürgerliche Medien bis zum Schluss zu verhindern suchen. Daher hassen sie Trump – die hässliche, weil dummerweise offene Fratze des Imperialismus, denn er verdirbt ihnen das Täuschungsmanöver.

Johann Khaldun
Johann Khaldun
Perspektive-Autor seit 2023. Philosoph deutsch-algerischer Abstammung mit Fokus auf Arbeiter:innengeschichte und deutschem Idealismus. Vom Abstrakten zum Konkreten auf dem Weg der Vermittlung.

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