Seit Montag befinden sich vier Aktivistinnen der antikapitalistischen Fauenorganisation „Zora” und der sozialistischen Jugendorganisation „Young Struggle” in einem dreitägigen Hungerstreik. Ihnen geht es darum, Solidarität mit den politischen Gefangenen in der Türkei und dem Iran zu zeigen. Wir haben mit Lule Merkenich von Zora über die Protestaktion gesprochen.
Ihr macht einen Solidaritätshungerstreik mit politischen Gefangenen in der Türkei und im Iran, aber warum macht ihr das in Deutschland?
Tatsächlich waren wir heute Morgen schon bei einem Gerichtsprozess, um diesen solidarisch zu begleiten. Angeklagt ist ein kurdischer Aktivist, dem die Mitgliedschaft in der PKK, der Arbeiterpartei Kurdistans, vorgeworfen wird. Dieser Prozess ist kein Einzelfall. Deutschland unterstützt den türkischen Staat dabei, türkische und kurdische Linke und Oppositionelle zu verfolgen und einzusperren. Der deutsche Staat kriminalisiert die kurdische Freiheitsbewegung und revolutionäre Organisationen aus der Türkei und verfolgt deren Anhänger und Aktivisten selbst aktiv.
Der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdogan bedankte sich bei seinem letzten Besuch in Deutschland sogar für die gute Zusammenarbeit in der „Terrorismusbekämpfung“. Aber auch die wirtschaftliche und militärische Zusammenarbeit zwischen den beiden Ländern stärkt das türkische Regime. Deutschland liefert Waffen, die vom türkischen Staat für den Krieg gegen die Kurden in „Rojava” eingesetzt werden. Für uns ist daher klar, dass wir uns gerade auch aus Deutschland solidarisch mit den Kämpfen zeigen, die international stattfinden.
Warum sitzen in der Türkei und im Iran so viele Revolutionär:innen im Gefängnis?
Im Iran wurden seit den Aufständen, die vor über einem Jahr ausgebrochen sind, tausende Menschen verhaftet und unzählige hingerichtet. Auslöser der Proteste war damals die Ermordung der jungen Frau Jina Mahsa Amini durch die iranische Sittenpolizei. Der iranische Staat hat das Ziel, diese Aufstände zu beenden. Die Gefängnisse als Ort der Isolation sollen den Kampfgeist der Protestierenden brechen.
In der Türkei ist die Lage ähnlich. Dort finden seit Jahrzehnten revolutionäre Kämpfe statt. Besonders die kurdische und die sozialistische Bewegung sehen sich in der Türkei schweren Angriffen durch den Staat ausgesetzt. Wir sehen in den letzten Wochen, wie vermehrt Revolutionär:innen und Sozialist:innen festgenommen werden. Revolutionäre Frauen werden aus ihren Betten gezerrt oder unter der Dusche verhaftet. Auch hier ist das Ziel, die revolutionären Kräfte zu schwächen.
“Frauen können alles ins Wanken bringen”
Dabei sind vor allem die Frauen den Staaten ein Dorn im Auge. Sie sind es, die mehrere tausend weitere Frauen auf die Straßen bringen oder zum Guerilla-Kampf ausbilden. Die Türkei und der Iran wissen, welche Schlagkraft Frauen in diesem System haben und alles ins Wanken bringen können. Deswegen machen wir diesen Hungerstreik als Frauen.
Was wollt ihr mit eurem Hungerstreik erreichen?
Der Hungerstreik hat eine lange Tradition als Kampfmittel der politischen Gefangenen und ist ein Mittel, um auf die Forderungen der politischen Gefangenen aufmerksam zu machen. Wir wollen zum einen auch hier in Deutschland eine Öffentlichkeit dafür schaffen, was in den Gefängnissen in der Türkei und dem Iran los ist. Dort werden Menschen gefoltert, Frauen werden misshandelt und erleben sexualisierte Gewalt. Aber auch über den Widerstand, den die Gefangenen dort leisten, wird in den deutschen Medien kaum berichtet.
Noch vor einem Jahr brüstete sich die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock mit der kurdischen Parole „Jin, Jiyan, Azadi“ (Frauen, Leben, Freiheit). Im Zuge der Revolution im Iran war diese Parole auch in Deutschland sehr populär. Mittlerweile hört man davon gar nichts mehr. Doch die Anzahl der Hinrichtungen im Iran steigt weiter. Aber auch der Widerstand in den Gefängnissen wird stärker. Die Frauen in den Haftanstalten fangen an, sich zu organisieren.
Wir wollen mit unserem Hungerstreik die Forderungen nach einem Ende der Hinrichtungen, der Folter und der Isolationshaft unterstützen. Hier in Deutschland fordern wir außerdem ein Ende der Zusammenarbeit mit dem türkischen und dem iranischen Staat. Das heißt auch ein Ende der Abschiebungen und Auslieferungen von politischen Geflüchteten, die hier in Deutschland Schutz suchen.
Du hast gerade schon kurz die Rolle der Frauen im Iran angesprochen. Kannst du noch etwas dazu sagen, welche Rolle die Frauen im politischen Kampf einnehmen, und warum ihr euch auch bewusst als Frauen dazu entschieden habt, in den Hungerstreik zu gehen?
Vor allem im kurdischen Befreiungskampf nehmen Frauen eine besondere Rolle ein. Auch als die Massenproteste im Iran ausbrachen, waren es Frauen, die an vorderster Front des Widerstands standen. Trotz massiver Gewalt seitens des iranischen Staats fingen Frauen an, in der Öffentlichkeit ihr Kopftuch abzunehmen. Aber auch die Frauen, die am 8. März trotz Verbots in Istanbul auf den Taksim-Platz gegangen sind, haben ein starkes Zeichen des Widerstands gesetzt.
“Annalena Baerbock vertritt bloß eine imperialistische Politik mit pinkem Anstrich”
Sowohl der Iran als auch die Türkei erkennen die wichtige Rolle, die die Frauen im politischen Kampf einnehmen, und versuchen daher, Frauen einzusperren und moralisch sowie ideologisch zu brechen. Wir als revolutionäre Frauen in Deutschland sehen den Kampf der Frauen in den Gefängnissen in der Türkei und dem Iran auch als unseren an. Bürgerliche Feministinnen wie Annalena Baerbock vertreten bloß eine imperialistische Politik mit pinkem Anstrich. Diese Heuchelei wollen wir genau so entlarven.
Wie kann man sich so einen Hungerstreik vorstellen? Was macht ihr in diesen drei Tagen?
Wie vorhin schon erwähnt, waren wir heute Morgen schon bei dem Gerichtsprozess gegen einen kurdischen Aktivisten. Wir organisieren Infostände, verteilen Flyer zu unserem Streik und besuchen Familien von ermordeten und verhafteten Revolutionär:innen aus der Türkei, die hier in der Nähe von Frankfurt wohnen. Wir beteiligen uns auch am „Newroz-Fest”, also dem kurdischen Neujahrsfest, in Darmstadt. Das Newroz-Fest ist eng verbunden mit der Tradition des kurdischen Befreiungskampfes. Außerdem organisieren wir eigentlich jeden Abend Veranstaltungen.
Am 18. März waren in zahlreichen Städten in Deutschland Menschen auf der Straße, um für die Freiheit politischer Gefangener zu protestieren. Wie schätzt ihr die Lage hier in Deutschland ein?
Für uns ist die internationale Solidarität wichtig, aber wir bemerken auch, wie die Repression in Deutschland zunimmt. Der deutsche Staat erhöht den Druck gegen Linke, Antifaschist:innen und Antiimperialist:innen. Im vergangenen Dezember waren Aktivist:innen von uns in Berlin von Hausdurchsuchungen betroffen. Auch Verbote von Demonstrationen mit Bezug zu Palästina oder das Verbot von Palästina-solidarischen Organisationen reihen sich in diese Entwicklungen ein. Zuletzt wurde eine Hetzjagd gegen ehemalige RAF-Mitglieder losgetreten, die in der Festnahme von Daniela Klette endete. Die Repressionen auch hier in Deutschland werden in den nächsten Jahren zunehmen. Wir sollten also vorbereitet sein.