Am 1. März wurde der Paritätische Armutsbericht 2024 veröffentlicht. Dieser zeigt deutlich: die Arbeiter:innenklasse ist besonders armutsgefährdet und gesellschaftlich benachteiligt. – Ein Kommentar von Olga Goldman
Geschlecht, Alter, Erwerbsstatus und Haushaltstyp sind entscheidende sozial-demografische Faktoren, wenn es darum geht, wer in Deutschland in Armut lebt. Jedes Jahr veröffentlicht der Deutsche Paritätische Wohlfahrtsverband – Gesamtverband e.V. seine Ergebnisse dazu im sogenannten „Paritätischen Armutsbericht”.
Frauen sind im Durchschnitt ärmer als Männer
Auch im Jahr 2022 zeigte sich eine deutliche Geschlechterkluft in Bezug auf die Armutsquote: Frauen weisen mit 17,8 Prozent eine wesentlich höhere Armutsrate auf als Männer mit 15,8 Prozent. Besonders besorgniserregend ist diese Diskrepanz bei älteren Menschen ab 65 Jahren: Fast jede fünfte Frau in dieser Altersgruppe ist von Altersarmut betroffen. Während die Armutsquote bei Frauen dieser Altersgruppe 19,4 Prozent beträgt, liegt sie bei Männern bei unterdurchschnittlichen 15,1 Prozent.
Wie diese Zahlen bestätigen, fallen die Krisen unserer Zeit bei Frauen schneller und besonders schwer ins Gewicht. Das ist kein Zufall: Ein Drittel aller Frauen arbeitet in atypischen Beschäftigungsverhältnissen. Durch das niedrige Lohnniveau und die schlechtere Bezahlung von „Frauenberufen“ verfügen sie oft über ein geringeres Einkommen, zahlen weniger in die Rentenkasse ein und werden häufiger gekündigt als ihre männlichen Kollegen.
Gleichzeitig ist es so, dass Frauen oft die Hauptlast der Kindererziehung tragen müssen. Außerdem sind es häufig die Frauen, die sich um pflegebedürftige Partner oder Verwandte kümmern, besonders wenn diese krank sind. Auch wenn Rentenpunkte für die Kindererziehung angerechnet werden, gleichen sie den Verlust an Arbeitsjahren oft nicht aus. Steuerliche Erleichterungen gibt es kaum.
Stattdessen spart der Staat – trotz zunehmender Entlassungen, steigender Gewalt und Preisen – beim Wohn- und Bürgergeld, bei der Kindergrundsicherung und bei den Renten. Frauen werden somit in patriarchal-dominierte und teils prekäre Lebenssituationen gedrängt. Dadurch werden sie auch von der Gesellschaft isoliert, da ihnen aufgrund ihrer finanziellen Nöte eine echte Teilnahme am gesellschaftlichen Leben unmöglich ist. Dort, im Schatten der Gesellschaft, sind Frauen noch angreifbarer für Ausbeutung, Unterdrückung und Gewalt. Soziale Benachteiligung, Armut und soziale Ausgrenzung sind also in hohem Maße „geschlechtsspezifisch“ bestimmt.
Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene ärmer als je zuvor
Auch Kinder und Jugendliche sind in besorgniserregendem Maße von Armut betroffen. Die Armutsquote von 21,8 Prozent stellt einen traurigen Rekordwert dar. Sie ist aber auch die Folge der deutschen Staatspolitik der letzten Jahre, in der die Jugend in Vergessenheit geraten ist. Den Institutionen, die eigentlich den Auftrag haben, sich um die nächste Generation zu kümmern, werden die Geldhähne so lange zugedreht, bis sie vor dem Kollaps stehen oder schließen müssen. Ob das Kindertagesstätten, Schulen oder Freizeitclubs betrifft – Beispiele gibt es genug. Kinder sind für deutsche Politiker:innen nur formal eine Priorität, um den moralischen Anspruch hochzuhalten.
Diese alarmierende Situation erstreckt sich auch auf junge Erwachsene im Alter zwischen 18 und 25 Jahren, von denen 25,2 Prozent in Armut leben – ein außergewöhnlich hoher Wert, den der Paritätische Wohlfahrtsverband auf den hohen Anteil von Auszubildenden und Studierenden zurückführt. Entgegen bürgerlicher Meinungsmache sind über ein Drittel der Studierenden in Deutschland von Armut betroffen. Trotz schlecht bezahlter Mini- oder Halbzeitjobs können sich viele Student:innen ihren Wohnraum nicht mehr leisten. Dabei ist die Situation migrantischer und geflüchteter Studierender, die meist vor noch größeren Herausforderungen stehen, oftmals noch prekärer.
Dem Paritätischen Armutsbericht 2024 zufolge sind weiterhin Personen mit niedrigem Bildungsabschluss sowie Menschen mit Migrationshintergrund oder ohne deutsche Staatsangehörigkeit sehr stark von Armut betroffen. Das Märchen vom sozialen Aufstieg und Chancengleichheit wird demnach nur in den seltensten Fällen Realität und bleibt viel eher ein illusionärer Wunschtraum für den Großteil der Menschen innerhalb des kapitalistischen Systems.
Haushaltstyp und Erwerbsstatus sind entscheidend
Besonders armutsgefährdet sind unter dem Strich außerdem Alleinerziehende und Haushalte mit drei oder mehr Kindern. Bei den Alleinerziehenden bedeutet die Armutsquote von 43,2 Prozent einen historischen Spitzenwert. Mehr als ein Viertel der 14,2 Millionen einkommensarmen Menschen ist erwerbstätig, doch der zu niedrig angesetzte Mindestlohn reicht gerade bei Alleinerziehenden mit Kindern oft nicht aus, um die Lebenshaltungskosten abzudecken. Einem Bericht der Rheinischen Post zufolge können 90 Prozent der Alleinerziehenden trotz Vollzeitjob und einem Gehalt auf Mindestlohnniveau ihren Lebensunterhalt nicht allein bestreiten und sind auf zusätzliche staatliche Zahlungen angewiesen. Grund hierfür ist ein System, das Menschen dazu zwingt, um jeden Preis einen Job anzunehmen, um einigermaßen über die Runden zu kommen. Arbeit ist demnach keine Garantie für weniger Armut, sondern lediglich eine arbeitsmarktpolitische Maßnahme, die der deutschen Wirtschaft nutzt.
Ebenfalls die fortwährende hohe Armutsquote unter Erwerbslosen und Rentner:innen zeigt deutlich, dass sowohl das Arbeitslosengeld als auch die Rentensätze zu niedrig ausfallen: Besonders Rentner:innen sind überdurchschnittlich von Armut betroffen und gehören zu den größten Verlierer:innen der vergangenen Krisenjahre. Auch hier sind Frauen überproportional von Bedürftigkeit betroffen: jede dritte Arbeiterin erhält selbst nach 40 Jahren Vollzeitarbeit eine Rente unter 1000 Euro netto. Gerade im Alter wären ein unterstützendes soziales Umfeld und gesellschaftliche Teilhabe von enormer Bedeutung. Doch finanzielle Sorgen führen dazu, dass ältere Menschen immer häufiger und flächendeckender nicht mehr an kulturellen Veranstaltungen teilnehmen und vereinsamen. Diese Entwicklung ist alarmierend und erfordert den sozialen Kampf und dringende gesellschaftliche Maßnahmen, um Armut im Alter einzudämmen und soziale Teilhabe für alle zu gewährleisten.