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Mittwoch, Mai 1, 2024
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    Bundestag stimmt über Selbstbestimmungsgesetz ab

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    Bislang war für nichtbinäre und trans Menschen die Änderung des rechtlichen Geschlechts und des Namens nur mit einem entmündigenden, zeit- und kostenintensiven Prozess möglich. Dies soll durch das am Freitag abzustimmende „Selbstbestimmungsgesetz” geändert werden. Die Debatte um das Gesetz wurde von transphoben Stimmen geprägt, die diese Maßnahmen als Gefahr für Frauen und Kinder darstellen. Das neue Gesetz enthält auch Zugeständnisse an diese Stimmen.

    Der Bundestag stimmt über das Selbstbestimmungsgesetz ab. Nach der ersten Lesung im November letzten Jahres wurde der Entwurf an den Familienausschuss übertragen. Im Familienausschuss brachten die Regierungsfraktionen einen überarbeiteten Komplettentwurf hervor, der bei der Abstimmung angenommen wurde. Zugestimmt hatte die Linkspartei, während der Antrag von Union, AfD und Bündnis Sarah Wagenknecht (BSW) abgelehnt wurde.

    Nun finden diesen Freitag die zweite Lesung, in der noch Änderungsanträge gestellt werden können, und die dritte und letzte Lesung statt. Bleibt das Abstimmungsverhalten der Gruppen und Fraktionen gleich, würde das Gesetz verabschiedet werden. Anschließend geht das Gesetz in den Bundestag. Da es sich um ein nicht zustimmungspflichtiges Gesetz handelt, kann es nur noch durch die Anrufung eines Vermittlungsausschusses durch die Mehrheit des Bundesrats verzögert werden.

    Es ist unwahrscheinlich, dass eine solche Mehrheit erreicht wird – auch, da eine Enthaltung als ein „Nein“ zählt. Somit wird das Gesetz wahrscheinlich zum 1. November in Kraft treten. Anträge auf eine Änderung von Geschlechtseintrag und Vornamen sollen allerdings bereits ab dem 1. August beim Standesamt möglich sein.

    Hart erkämpfte Rechte

    Bislang wurden solche Änderungen durch das sogenannte Transsexuellengesetz geregelt. Dieses wurde bereits 1981 beschlossen und ermöglichte trans Personen zwar die Änderung ihres rechtlichen Geschlechts. Diese waren jedoch nur mit einem großen zeitlichen und finanziellen Aufwand, aber auch traumatisierenden und diskriminierenden Auflagen möglich.

    Personen, die ihren Namen und Geschlechtseintrag ändern wollten, mussten sich auf ein circa ein Jahr langes und etwa 1.800 Euro teures gerichtliches Verfahren einlassen. Darüber hinaus brauchte es Gutachten von zwei Psychotherapeut:innen, die bescheinigen sollten, dass eine erneute Änderung des Eintrags unwahrscheinlich sei – Gutachten, die durchaus auch negativ ausfallen konnten.

    Bis 2008 war Ehelosigkeit eine Voraussetzung für die Änderung des Geschlechtseintrags. Bereits verheiratete Paare mussten sich scheiden lassen. Dies war ein Versuch, gleichgeschlechtliche Ehen zu verhindern. Ebenfalls wurde eine Änderung des Eintrags nur angenommen, wenn die Person sich erwiesenermaßen einer geschlechtsangleichenden Operation vollzogen hatte und „dauernd fortpflanzungsunfähig“ sei. Trans Personen wurden so effektiv zu einer Zwangssterilisierung gezwungen. Erst durch Protest von Betroffenen und zwei Klagen vor dem Bundesverfassungsgericht wurden diese diskriminierenden Maßnahmen aufgehoben.

    Dass eine Angleichung der juristischen Person an das tatsächliche eigene Geschlecht nun ohne entmündigende Gutachten und teures Verfahren möglich sind, ist eine Verbesserung, die von nichtbinären und trans Menschen hart erkämpft wurde. Dennoch gab es bereits im letzten Jahr Kritik verschiedener fortschrittlicher Kräfte an dem Entwurf. So auch von der Föderation Klassenkämpferischer Organisationen (FKO), die in ihrem Positionspapier von „zahlreichen Zugeständnissen an vermeintliche ‘Sorgen‘ derjenigen spricht, die an der Aufrechterhaltung von Kapitalismus und Patriarchat interessiert sind“.

    Im Kriegsfall plötzlich nicht mehr „trans”

    Auch in dem nun abzustimmenden Gesetzesentwurf gibt es Einschränkungen: So zählt im Kriegsfall weiterhin das bei Geburt angegebene Geschlecht. Ursprünglich war auch angedacht, dass die Meldebehörden andere Behörden wie das Bundeskriminalamt oder die Bundespolizei über den Geschlechtswechsel informieren muss. Dies wurde mit der Befürchtung begründet, dass sich Kriminelle durch einen Personenstandswechsel einer Verfolgung entziehen könnten.

    Dass diese Einschränkung nun nicht mehr im Gesetz festgehalten wird, schließt eine Verschärfung der Repression und Überwachung jedoch nicht notwendigerweise aus. So sollen z.B. allgemeine Regelungen über Namensänderungen erlassen werden. Dennoch bezeichnete die Union das Gesetz als „Sicherheitsrisiko“.

    Abgesehen davon sollen Kinder ab 14 Jahren durch das Gesetz zwar befähigt sein, einen Wechsel des Geschlechts- und Namenseintrages zu vollziehen. Zusätzlich zur Zustimmung der Eltern oder des Familiengerichts ist nun aber auch die Versicherung erforderlich, an einer jugendpsychiatrischen Beratung teilgenommen zu haben.

    Neben der Union und der AfD kritisierte auch Sarah Wagenknecht, Vorsitzende des BSW, das Gesetz scharf. Wagenknecht warnte davor, „dass künftig Kinder ab 14 Jahren ihr Geschlecht beliebig ändern können”, was sie als „verantwortungslos“ bezeichnete. Diese Rhetorik lässt außer Acht, dass die Zustimmung der Eltern weiterhin nötig ist, nun sogar mit zusätzlicher Beratung durch Psychiater:innen. Auch bemühte Wagenknecht erneut die Darstellung vereinfachter Geschlechtsänderungen als „Angriff auf Schutzräume von Frauen“.

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