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Mittwoch, Mai 15, 2024
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    Pflegenotstand: Pfleger ruft Notruf und wird gefeuert

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    In einem Altenheim in Schleswig-Holstein rief ein Pfleger die Feuerwehr, da er die Bewohner:innen nicht weiter pflegen konnte. Daraufhin wurde er gekündigt. Mit drastischen Kürzungen im Bundeshaushalt spitzt sich die Situation für Pfleger:innen und Pflegebedürftige weiter zu.

    Am 24. Februar ging gegen 2 Uhr morgens ein Anruf bei der Feuerwehr in Bark im Kreis Segeberg (Schleswig-Holstein) ein. Getätigt wurde dieser vom Pfleger eines Altenheims, der nicht mehr dazu in der Lage war, die 45 Bewohner:innen alleine zu pflegen. Unter anderem fehlte ihm das notwendige Material, doch auch die Unterbesetzung von Pflegekräften trug zur Situation bei. Trotz seiner 13 Jahre Berufserfahrung war der 33-Jährige Nico S. solche Zustände nicht gewohnt. Aufgrund der Belastung und daraus resultierenden körperlichen Beschwerden wurde er schließlich selbst vom Rettungswagen ins Krankenhaus gefahren.

    Das einberufene Team des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) und des eingesetzten Katastrophenschutzes fand Bewohner:innen teilweise in ihren Exkrementen liegend, da benötigte Einlagen, trotz Kenntnis der Heimleitung, von eben dieser nicht organisiert worden waren. Während ein zuerst 80-köpfiges Team aus Freiwilligen und bis zum Eintreffen der Frühschicht zumindest ein Team aus zehn Personen vor Ort vonnöten war, wurde Nico S. und nur einer weiteren Fachkraft die Betreuung der Bewohner:innen in der Nacht zugemutet.

    Im Nachhinein rechtfertigten sich die Betreiber:innen des Heims damit, dass eine zweite Fachkraft vor Ort gewesen wäre. Nico S. erklärte allerdings, dass sich diese in ihrer Ruhepause befand. Zudem ersetzt eine Person mehr auch kein fehlendes, unerlässliches Pflegematerial. Seit diesem Vorfall hat der Pfleger Hausverbot im Altenheim und wurde dementsprechend gekündigt. Die Begründung der Pflegedienstleitung: Er habe nicht richtig reagiert.

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    Dauerzustand statt Einzelfall

    „Es gibt immer wieder Berichte über Verwahrlosung in Pflegeeinrichtungen. Wir haben ein grundsätzliches Pflegeproblem, gerade in Langzeiteinrichtungen. Die Ursachen dafür sind unterschiedlich. In Unternehmen, in denen finanzielle Interessen im Vordergrund stehen und nicht das Wohl der Bewohner, kann es schneller zu solchen Zuständen kommen.“, kommentierte Heike Prestin vom Deutschen Berufsverband für Pflegeberufe einen ähnlichen Vorfall in einem Pflegeheim in Berlin-Lichtenberg. In der Einrichtung der Domicil-Gruppe wählte eine Pflegerin ebenfalls den Notruf, da die anstehende Nachtschicht nicht ausreichend besetzt und die Heimleitung nicht erreichbar war.

    Das Profitinteresse der Unternehmen und der Fachkräftemangel, der zu einer großen Personalnot führt, sind sowohl für das Wohl der Pflegebedürftigen, wie auch für das der Pfleger:innen gefährdend. Schon im Jahr 2011 gaben in einer Umfrage über 50% des befragten Pflegepersonals an, starke psychische und physische Belastungen durch ihren Beruf zu erleiden. 62% fühlten sich dabei nicht wertgeschätzt, 56% klagten über den Stress und 63% ordneten ihre Unzufriedenheit konkret der personellen Unterbesetzung zu.

    „Der Mensch und die Zuwendung müssen auch Zeit und Platz haben. Niemand will im Akkord arbeiten. Erst recht nicht in der Pflege. Wir haben die Bezahlung auf Tarifniveau in der Langzeitpflege zur Pflicht gemacht. Jetzt müssen die Arbeitsbedingungen besser werden.“, äußerte sich Gesundheitsminister Karl Lauterbach in der Vergangenheit zu den Arbeitsbedingungen. Momentan scheint es aber keine notwendige Verbesserung, sondern eine kontinuierliche Verschlechterung der Lage der Pflegekräfte zu geben.

    In Deutschland werden bis 2049 allein durch den Eintritt der Rentenzeit voraussichtlich mindestens 280.000 zusätzliche Pflegekräfte fehlen. Dabei spart die Bundesregierung 2024 ganze acht Milliarden Euro im Zuge des neuen Haushaltsplans im gesundheitlichen Bereich ein. Höhere Gehälter, mehr Personal und weniger katastrophale Arbeitsbedingungen scheinen also so fern wie nie. Deswegen suchen deutsche Politiker:innen auch schon nahezu den ganzen Globus ab, um mehr Pflegepersonal für Deutschland zu gewinnen.

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