Die Sneaker-Industrie boomt, doch hunderte Millionen von Schuhen landen jedes Jahr auf der Müllhalde. Was hat das mit der Klimakrise und dem Kapitalismus zu tun und wie kann eine Alternative aussehen? – Ein Kommentar von Johann Khaldun
Die Erde schwitzt unter dem Druck der Überproduktion durch den Kapitalismus. Temperaturen, wie wir sie früher nur aus dem Sommer kannten, treten jetzt schon im April auf. Der Gedanke an den kommenden Sommer – der sicher wieder einmal der heißeste sein wird, seit es Aufzeichnungen zum Klima gibt – löst schon jetzt ungute Gefühle bei hitzeanfälligen Menschen aus.
Und was macht die „unsichtbare Hand des Marktes“, die angeblich ein besserer Planer als die Vernunft sein soll? Eine massive Überproduktion von Schuhen, versteht sich. Die Sneaker-Industrie befindet sich in einer Boomphase: Allein in Deutschland landen jährlich 380 Millionen Schuhe – das sind fünf Paar Schuhe pro Person – auf der Müllhalde, wo sie über die nächsten hundert Jahre in ihre Bestandteile zerfallen sollen.
Dabei entfallen auf jeden produzierten Schuh 17 Kilogramm CO2-Emissionen, wovon 68 Prozent durch die Produktion entstehen. Es werden riesige Mengen Wasser, Energie und menschliche Arbeitskraft für diese Produktion quasi nur auf dem Weg der kurzen Nutzung zur Müllhalde aufgewendet. Dazu werden gerade durch Schuhe besonders große Mengen an Mikroplastik in die Welt gesetzt – nur Autoreifen erzeugen noch mehr.
Textilexperte Kai Nebel vom Textillabor der Uni Reutlingen empfiehlt dazu: „Oberstes Ziel ist es, seine Sneaker so lange wie möglich zu tragen, damit nicht so viel Neue produziert werden müssen“. Wir sollen bessere – das heißt teurere, damit für immer größere Teile der Bevölkerung unerschwingliche – Schuhe kaufen, die lange getragen werden können. Mit anderen Worten wird die Lösung des Problems bei den Verbraucher:innen statt in der Art der kapitalistischen Produktionsweise gesucht.
Produktion von Bedürfnissen statt Produktion zur Bedürfnisbefriedigung
Offenkundig begegnet uns hier eine unsinnige Form gesellschaftlicher Produktion. Es werden Unmengen begrenzter Ressourcen und ausgebeuteter Arbeitskraft verschwendet, um ein Produkt zu erzeugen, das niedere Qualität hat und das dazu auch noch letztlich für die Müllhalde hergestellt wird. Als lebten wir auf einem Planeten mit unbegrenzten Rohstoffen, so, als würde das Klima gänzlich unbeeinflusst bleiben von den freigesetzten CO2-Emissionen, so, als würden nicht Millionen von Menschen für diese nicht nur sinnlose, sondern auch schädliche Produktion ausgebeutet und unterdrückt werden.
Textiler „Abfallkolonialismus” – wo landet die Überproduktion von H&M und Co.?
Die Käufer:innen dieser Schuhe haben freilich auch nicht viel davon. Wir erhalten ein minderwertiges Produkt, das unsere Lebensgrundlage zerstört. Durch Werbung in all ihren Formen mit Film, Musik oder Hochglanz-Modeblättern wird uns zu jedem Schuh ein bestimmtes Gefühl vermittelt, so dass wir das Bedürfnis haben, diesen Schund dennoch besitzen zu wollen. Wir erwerben das Produkt, befriedigen das manipulierte Bedürfnis und sind den Schuh schon satt, bevor er seine kurze Haltbarkeit überschritten hat, weil uns bereits der nächste heiße Treter nahegebracht wird. Was bleibt, ist ein immer wieder neu erzeugtes Verlangen – nicht nach zwischenmenschlicher Vertrautheit, Nähe und Verständnis, sondern nach Befriedigung von Bedürfnissen, deren einziges Ziel es ist, das Kapitalmacht über uns zu stärken. Unser Planet schwindet, die gesellschaftliche Distanz zwischen uns nimmt zu, aber da drüber steht eine Kapitalist:in, die sich diebisch freut, noch mehr Gewinn angehäuft zu haben.
Der Kapitalismus ist hier in seinem Element: Es geht nicht darum, unsere Bedürfnisse zu befriedigen – egal ob authentische oder fremdbestimmte – sondern darum, mit diesen Bedürfnissen einen möglichst großen Profit zu erzielen. Dass dabei auf die Natur und die Endlichkeit der Rohstoffe dieses Planeten keine Rücksicht genommen werden kann, folgt notwendigerweise.
Das Kapital produziert also diese Unmengen von Schuhen nicht, weil deren Qualität so niedrig ist und wir daher tatsächlich ständig neue Schuhe brauchen, wie es der oben genannte Textilexperte nahelegt. Nein, der Gebrauchswert Schuh ist ganz nebensächlich. Diese Schuhe werden so zahlreich produziert und so fiebrig beworben, weil daraus möglichst viel Kapital geschlagen werden soll. Die niedere Qualität und die irrsinnige Überproduktion sind die Folgen daraus.
Die Alternative: Armut?
Um nicht mehr jedes Jahr Millionen Schuhe auf der Müllhalde verschwinden zu lassen, wäre also eine andere Gesellschaft notwendig, in der nicht für den Profit einiger weniger produziert wird.
Hieße eine solche alternative Produktionsweise, die sich tatsächlich danach richtet, vernunftgeleitet unsere Bedürfnisse zu befriedigen, nun in Armut und Entsagung zu leben? Wäre sie quasi das entgegengesetzte Extrem? Sicher ist, dass in einer solchen Gesellschaft – einer sozialistischen nämlich – der Raum für die Überwindung solcher für Mensch und Natur zerstörerischer Produktionsweisen geschaffen wäre. In dem Moment, wo nicht der Markt und die Produktion für das Kapital über die Art und Weise unserer gesellschaftlichen Reproduktion bestimmen, sondern wir selbst bewusst und kollektiv planen, können wir auch im Einklang mit unseren Bedürfnissen und den Schranken der Natur leben.
Wir könnten sowohl künstlich geschaffene Begierden als auch ihre Befriedigung durch schnelllebige Produkte zu den Akten legen. Niemand von uns bräuchte alle drei Monate ein neues Paar Schuhe, dafür aber mit Sicherheit solche, die sich nicht nach drei Monaten überlebt haben. In einer Gesellschaft, die nicht dem Profitzwang unterworfen ist, wäre das auch möglich.