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Samstag, Juli 27, 2024
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    Aktivist Smily: „Ich wollte den Mythos der Allgegenwart des Systems zerschlagen“ 

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    Ob „Budapest-Verfahren“ oder „Antifa-Ost“ – derzeit wird in Deutschland nach einer Reihe von Antifaschist:innen gefahndet. Sie sind untergetaucht. Einen ähnlichen Weg hatte der RASH (Red an Anarchist Skinheads)-Aktivist „Smily“ vor mehr als 10 Jahren eingeschlagen. Wegen Auseinandersetzungen am 1. Mai 2012 und einer Attacke auf einen Infostand der Nazi-Partei NPD sollte er in Haft – doch er entschied sich für den Untergrund im Ausland. Seit 2019 ist er zurück. Perspektive hat ihn zu seiner Gefängniserfahrung, dem Leben in der Illegalität und seiner politischen Motivation interviewt.

    2012 kamst du in Folge einer Schlägerei mit rechten Skinheads in Untersuchungshaft in Stuttgart-Stammheim. Im Stockwerk 6 saßt du nur ein Stockwerk unter dem Ort, an dem Mitglieder der Roten Armee Fraktion 1977 starben. Du warst zu diesem Zeitpunkt bereits einige Zeit politisch aktiv. Hattest du dich mit dem Thema Gefängnis beschäftigt und konntest du dich auf die Haft vorbereiten?

    Es war nicht ganz außerhalb meiner Vorstellungskraft, aber ausreichend beschäftigt hatte ich mich damit bis zu meiner Inhaftierung, die ja dann auch etwas überraschend für mich kam, leider kaum.

    Du bist nicht nur antifaschistisch aktiv, sondern auch überzeugter Kommunist: Was bedeutet die Politik für dich? Wie begründest du, was du tust?

    Ich möchte eine befreite und solidarische Gesellschaft, die nicht auf Konkurrenz, sondern auf Zusammenarbeit aufgebaut ist, und da reicht es nicht aus, nur Antifaschist sein. Man muss mit anpacken, Demokratie von unten zu organisieren. Egal wo man ist.

    Konsequente Antifaschist:innen sind immer wieder mit dem Gefängnis konfrontiert. Kann man sich überhaupt auf das Gefängnis vorbereiten und wenn ja, wie?

    Ja, kann man. Zumindest so weit, dass man nicht ganz ins kalte Wasser springen muss, so wie ich damals. Und dazu sollte man Verwandte, Genoss:innen und Freund:innen gleich mit vorbereiten. Indem man ihnen zum Beispiel sagt, dass sie immer Briefmarken mitschicken sollen, wenn sie schreiben. Denn abgesehen davon, dass man selber ja auch die Möglichkeit braucht zurückzuschreiben, können Briefmarken als Zahlungsmittel innerhalb des Knasts sehr dienlich sein.

    Auch eine linke Tageszeitung zu abonnieren wäre gut, damit man im Gefängnis nicht nur NATO-Propaganda konsumieren muss. Die Bücherfrage sollte man auch klären, da es ja meistens eher weniger gewünscht ist, dass Gefangene politische Bücher lesen. Hier muss man oft Lücken im Knast-System finden. In Stammheim war das so geregelt, dass man nur von einem bestimmten Verlag Bücher bestellen konnte, der nur mäßigen Lesestoff zu bieten hatte. Da haben die Genoss:innen draußen dann gewünschte Bücher von mir, die nicht im Angebot waren, einfach über den Verlag bestellt und mir über selbigen dann zukommen lassen. Das hat funktioniert. So hatte für die Anstalt der Absender gestimmt, und sie mussten mir gewünschte Bücher (nicht immer wohlwollend) aushändigen.

    Auch einen Fitnessplan für sich zu erstellen, für Übungen mit dem eigenen Körpergewicht, die man auf kleinstem Raum machen kann, um Körper, Geist und Seele im Einklang zu behalten, macht Sinn. Nachts wird man dann besser schlafen können und tagsüber auch besser drauf sein. Man muss sich eine Struktur schaffen, wo man sich selbst überlassen ist.

    Es ist auch ratsam, einen Unterstützer:innenkreis aus politischen Kontakten zu gründen, der sich dann im Laufe der Haftzeit auch um einen kümmert. Und es hilft, Texte von anderen Gefangenen zu lesen, die das alles schon mitgemacht haben, um das Knast-System besser zu verstehen und Überlebensstrategien für die Haftzeit kennenzulernen. Man kann auch Kontakte zu Ex-Gefangenen herstellen, die schon in der gleichen Anstalt waren und diese befragen. Jeder Knast hat intern auch nochmal andere Regelungen als andere Anstalten.

    Nach deiner Erfahrung in Untersuchungshaft bist du politisch aktiv geblieben, bald standen jedoch neue Prozesse aufgrund der Verteidigung wegen einer 1. Mai-Demonstration gegen Polizeigewalt und der erfolgreichen Verhinderung eines NPD-Infostands an. Wie kam es dazu, dass du dich dann 2013 entschlossen hast, nicht noch einmal ins Gefängnis zu gehen und stattdessen in die Illegalität?

    Ich wollte mich den Mühlen des Repressionsapparats entziehen und den Mythos der Allgegenwart des Systems zerschlagen. Oder es zumindest versuchen. Zu verlieren hatte ich ja auch nicht mehr viel: Mein Studium war im Eimer und in jedem Fall war wieder ein geschlossener Vollzug für mich vorgesehen. Ich hatte nur noch meine Freiheit, die ich mir erkämpfen wollte.

    Zur Wahl standen ungefähr 3 Jahre im geschlossenen Vollzug (das war noch nicht ganz klar) oder 5 Jahre Verjährungsfrist auf der anderen Seite für die Delikte, die sie mir vorwarfen. Ich wusste, dass einfach nur ein weiteres Exempel an mir statuiert werden sollte, um andere abzuschrecken. Diesen Angriff wollte ich ins Leere laufen lassen. Der Repression zum Trotze.

    Dein Fall hat gezeigt, dass es möglich ist, der Repression zu entfliehen. Im Ausland unterzutauchen, klingt mit Sicherheit viel einfacher, als es in Wirklichkeit ist. Was ist deine Erfahrung, wo liegen Schwierigkeiten?

    Die Frage der Finanzierung sollte eines der ersten Dinge sein, die geklärt werden müssen. Das wird gerade anfangs auch kaum anders möglich sein. Und man sollte sich bewusst sein, dass neben der Frage der Finanzierung noch ganz andere Dinge auf einen zukommen, mit denen man umgehen muss. Beispielsweise eine andere Sprache und Kultur, mit der man lernen muss zu leben und sich dementsprechend anzupassen, ist keine einfache Sache. Ein neues Dach über dem Kopf zu haben ‒ dort aber auch ständig bereit zu sein, sofort wieder seine Koffer zu packen, wenn irgendetwas komisch wird. Wenn möglich, nur Seitenstraßen nutzen, statt belebter Hauptstraßen. Nicht immer in die gleichen Supermärkte zum Einkaufen gehen, usw. Die Telefonnummer öfters wechseln. Sich von Selfies und Gruppenbildern fernhalten. Vor Ort einen überschaubaren, eingeweihten Unterstützer:innenkreis schaffen (am besten politische Kontakte).

    Und bei all dem Druck gleichzeitig versuchen, unauffällig zu bleiben und vor allem cool. Falls man doch mal auf einem Selfie landet oder Ähnliches, dann auch nicht gleich einknicken. Auch mit Mut zur Lücke muss man an die Sache herangehen. Man wird da wohl auch nur schwer alles hundertprozentig perfekt machen können. Aber man muss eine glaubhafte Story erfinden, die man neugierigen Leuten dann kurz hinwerfen kann, wenn diese sich wundern, was man so lange in ihrem Land macht. Und ganz elementar: einen anderen Namen oder Spitznamen verwenden, unter dem einen die Leute dann kennen.

    Wie lässt sich deiner Einschätzung nach eine solidarische Unterstützung für Gefangene aufbauen, wie gestaltet man Antirepressionsarbeit?

    Das Konzept von Solidaritätskreisen gab es ja schon, das war mein Glück. Einer wurde wenige Monate vor meiner Verhaftung gegründet, als ein Genosse zuvor schon denselben Hochsicherheitstrakt von innen sehen musste, nachdem man ihm morgens vor dem Bäcker aufgelauert hatte, um ihn von dort aus direkt gleich mitzunehmen.

    Antirepressionsarbeit kannten wir also schon, mit ihr wurde die Solidarität noch sichtbarer.

    Ansonsten hatte ich in beiden „Lebensphasen“ vielfältige Solidaritätsbekundungen in allen Formen. Darauf habe auch ich mich immer wieder erkenntlich gezeigt, indem ich zum Beispiel Grußworte schrieb, die auf Demos oder Kundgebungen vorgelesen wurden und dort den Genoss:innen vor Ort Kraft gaben. Ich zeigte damit offen, dass ich immer noch auf freiem Fuß war. Da hatte ich dann oft das Gefühl, dass die Solidaritätsarbeit sehr positive Wechselwirkung hervorbrachte. Was ich bekam, wollte ich auch immer in irgendeiner Form zurückgeben. Mir ist bewusst, dass das alles ein extrem hoher Aufwand für meine Genoss:innen war, und dafür bin ich sehr dankbar.

    Wie gingst du mit Isolation, Zweifeln und Ängsten um? Wie bist du politisch geblieben?

    Ich habe mich nicht verrückt machen lassen und begriffen, dass Repression uns als radikale Linke immer betreffen wird. Inwieweit sie uns aber politisch und persönlich dann tatsächlich trifft ‒ oder gar auf den Boden wirft ‒ entscheiden immer noch wir selbst. Isolation muss man durchbrechen, Zweifel und Ängste abbauen, indem man die Situation akzeptiert und einfach das Beste daraus macht.

    Gegenmacht stetig aufblitzen lassen oder für ein stetiges Aufblitzen von Gegenmacht Sorge tragen. Sich das Verhältnis von Revolution und Konterrevolution verinnerlichen. Wer soll es denn sonst machen, wenn nicht wir? Jene, die uns aus ihren bürgerlichen Wohnzimmern heraus kritisieren? Bestimmt nicht. Die konfrontative Auseinandersetzung mit dem Staat muss man eingehen: Dabei eigene Stärken entwickeln und unsere Strukturen und politische Handlungsfähigkeit erhalten. – Letztlich die Antirepressionsarbeit zu einem Teil des politischen Selbstverständnisses machen und Kontakte zu Genoss:innen im Ausland aufbauen und internationale Solidarität leben.

    Auf deinem Lebensweg hast du sicherlich viele Dinge lernen können. Du erlebtest die Untersuchungshaft, den Abschiebeknast und die Illegalität. Aber du sahst auch internationale Politik, Revolutionär:innen verschiedener Länder und ihre Kämpfe. Als Fazit aus all diesen Eindrücken: Was würdest du anderen Antifaschist:innen und Kommunist:innen raten, was sie von dir oder den Eindrücken, die du gesammelt hast, lernen sollten?

    Ja, so ganz lernen kann man das nur, glaube ich, wenn man die Dinge selbst durchlebt. Aber was ich auf jeden Fall sagen kann, ist, dass ich immer wieder gesehen habe, wie andere in ähnlichen Situationen, die noch viel härteren Bedingungen ausgesetzt waren als ich, trotzdem noch politische Arbeit machten und Großes leisteten. Das hat mir immer wieder Kraft gegeben, selbst durchzuhalten. Das, und die Solidarität, die ich in sämtlichen Situationen erfahren habe.

    Nachdem du 6 Jahre untergetaucht warst, kamst du 2019 zurück. Was genau ist seit 2019 passiert? Wie sieht dein Leben heute aus?

    Gut. Ich verreise viel, arbeite und beteilige mich an politischen Projekten. Seit 2019 habe ich etwa 16 Vorträge/Erlebnisberichte über die Themen Knast, Leben in der Illegalität und Solidarität gehalten, die immer gut besucht waren, und ich habe ein Buch geschrieben. Das wird dieses Jahr veröffentlicht.

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