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Donnerstag, September 5, 2024
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    Go Film the Police! – Unsere Smartphones als Werkzeug gegen Polizeigewalt

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    Am 16. Juli fand in Berlin die Abschlussveranstaltung der Kampagne „Go Film the Police“ statt. Die Kampagne ruft die Bevölkerung auf, rassistische Polizeigewalt zu filmen. Welche Bedeutung haben Videos für unseren Widerstand gegen Polizeigewalt? Worauf müssen wir achten, wenn wir die Polizei filmen? – Ein Kommentar von Lara Loyalka.

    Die Kampagne „Go Film the Police“ startete im November 2021 mit der Aufforderung „rassistische Polizeigewalt zu filmen, um die Brutalität der Polizei als organisierte Gewalt sichtbar zu machen und die Rechenschaftspflicht der Polizei einzufordern.“ Die Idee für die Kampagne kam von dem jüngst verstorbenen Aktivisten Biplab Basu. Langjährige Beratungserfahrung für Opfer von rassistischer Polizeigewalt gaben Basu die Idee. Er wollte den Betroffenen zeigen, dass wir gegenüber der machtvollen und rassistischen Institution Polizei nicht ohnmächtig und allein sind.

    Sie fordert zudem, dass die Kriminalisierung und Einschüchterung von Filmenden ein Ende hat. Am Dienstag endet die Kampagne in Berlin und hinterlässt neben einem mehrsprachigen Leitfaden den Auftrag an uns alle, unsere Handys gegen rassistische Polizeigewalt zu verwenden.

    Videos als Beweismittel

    In zahlreichen Fällen von Polizeigewalt werden die Betroffenen selbst wegen Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, tätlichen Angriff oder Körperverletzung von der Polizei angezeigt. Die Polizei, die Basu auch die „best organisierteste rassistische Bande“ nannte, hat in Strafverfahren strukturelle Vorteile. Die Existenz von Videomaterial hat oftmals dabei geholfen, dass Angeklagte freigesprochen wurden.

    Daher ist wichtig, dass die Filmenden Kontakt zu den Betroffenen aufnehmen oder ihre Videos an Beratungsstellen schicken. Gruppen wie KOP, ELSC oder die Palästina Kampagne können unter anderem Ansprechpartner hierfür sein. Fälle, in denen Polizist:innen als „Täter in Uniform“ angeklagt oder gar verurteilt werden, kann man jedoch an einer Hand abzählen. Denn auch Videos ändern nichts daran, dass der Staat kein Interesse an der Verfolgung der eigenen Leute hat. Daher können Gerichte nur eines von vielen Feldern sein, in denen wir gegen Polizeigewalt vorgehen.

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    Videos zum Sichtbarmachen von Polizeigewalt

    Auch außerhalb von Gerichten spielen Videos von rassistischer und auch tödlicher Polizeigewalt eine wichtige Rolle. Ein Handyvideo vom 30. März 2024 zeigt, wie acht Polizeischüsse auf den 46-jährigen Lamin Touray, der sich in einer psychischen Krise befindet, abgegeben wurden und ihn töteten. Das Video zeigt, wie eskalativ sich die Beamt:innen verhalten und Lamin Touray brutal niederschießen.

    Einige Monate zuvor nehmen mehrere Handys auf, wie Mannheimer Polizist:innen den 49-jährigen Ertekin Özkan erschießen. Die Staatsanwaltschaft stellt das Verfahren gegen den Todesschützen ein. Dennoch führen Videos tödlicher Polizeigewalt zu mehr Aufmerksamkeit und sind wichtig für die Forderungen nach Aufklärung, Konsequenzen und Gerechtigkeit durch die Angehörigen und die Bevölkerung.

    Auch auf Demonstrationen benutzen Demonstrierende die eigenen Handys, wenn sie Polizeigewalt sehen und erleben. Dies wird zunehmend wichtiger, da in Europa und insbesondere auch in Deutschland die Versammlungsfreiheit immer weiter eingeschränkt wird. Besonders auf Protesten gegen den Genozid in Gaza wendet die Polizei verstärkt exzessive Gewalt an. Demonstrierende zücken jedes Mal aufs Neue ihre Smartphones und filmen die brutalen Übergriffe. Viele dieser Videos landen dann auf den Social Media Kanälen und dokumentieren die Ungerechtigkeit.

    Diese Beispiele zeigen, dass Videos ein gutes Mittel sein können, Polizeigewalt sichtbar zu machen. Sie können Auslöser für Proteste sein und dazu führen, dass Polizeigewalt nicht folgenlos bleibt.

    Einschüchterung und Kriminalisierung

    Auch Polizeibeamt:innen erkennen, dass unsere Videos ihre Version der Geschehnisse in Frage stellen und sie nicht ungehindert tun können, was sie wollen. Dementsprechend vehement sind die Reaktionen von Beamt:innen, wenn sie gefilmt werden. Auf der Veranstaltung der Kampagne „Go Film the Police“ schildern Teilnehmende von Einschüchterungen: „Er kam zu mir und sagte, ich solle aufhören zu filmen, weil ich die Maßnahme störe.“ Ein anderer berichtet von Nötigung: „Sie bedrängte mich, das Video zu löschen und wollte sogar in meinen Papierkorb schauen“.

    Die Kampagne „Go Film the Police“ fasst die Einschüchterungstaktiken der Polizei wie folgt zusammen: „Wir erfahren regelmäßig von Zeug:innen rassistischer Polizeigewalt, dass sie kriminalisiert werden, wenn sie Polizeimaßnahmen filmen. Sie werden bedroht, geschlagen, Handys werden konfisziert und Video-Material gelöscht. Nicht selten werden sie durch Anzeigen wie „Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte“ kriminalisiert. Die Polizei behauptet, dass Filmen verboten sei. Dabei beruft sie sich immer wieder auf den sogenannten „Abhörparagrafen“ § 201 StGB (Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes).“

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    Rechtslage: Darf ich die Polizei filmen?

    Doch was ist da dran? Grundsätzlich ist es nicht strafbar, Bilder oder Videos ohne Ton von Beamt:innen zu machen. Der § 201 StGB verbietet lediglich, das „nicht öffentlich gesprochene Wort“ auf Ton aufzunehmen. Die Polizei benutzt diesen Paragrafen, um uns daran zu hindern, sie zu filmen. Viele Stimmen in der Wissenschaft und aus der Bevölkerung betonen aber, dass Beamt:innen im Dienst immer öffentlich sprechen, da sie in ihrer Funktion als Polizei handeln. Der § 201 StGB passt also eigentlich gar nicht zu Interaktionen zwischen Polizei und Bürger:innen.

    Nach der aktuellen Rechtsprechung kann man in Situationen Tonaufnahmen machen, in denen unkontrolliert viele Menschen mithören können, also auf Demonstrationen oder in einem belebten Bahnhof. Dann besteht eine „faktische Öffentlichkeit“ und das Wort der Beamt:innen ist nicht mehr privat. Auch wenn Beamt:innen selbst filmen, kann man „zurückfilmen“.

    Der Leitfaden zum Filmen von Polizeigewalt gibt einige wertvolle Tipps an die Hand, was man beim Filmen der Polizei beachten sollte. Wesentlicher Punkt: Man darf polizeiliche Maßnahmen nicht „stören“. Daher empfiehlt der Leitfaden, das Geschehen aus einem Abstand von 5‑6 Metern zu filmen. Außerdem kann das Veröffentlichen von Videos strafbar sein. Also kann es helfen, gegenüber den Beamt:innen zu betonen, dass man zu Beweiszwecken und nicht für eine spätere Veröffentlichung filmt.

    Diese rechtliche Einordnung kann uns helfen, selbstbewusster in gewaltvollen Situationen mit der Polizei aufzutreten. Unabhängig davon aber, was Gerichte, Staatsanwaltschaften oder Gesetzgeber als strafbar oder nicht einstufen, wird die Polizei immer Gewalt gegen uns ausüben, um die Interessen des Staates und damit des Kapitals durchzusetzen. Daher lassen wir uns nicht einschüchtern: Wir intervenieren bei Polizeigewalt und richten unsere Handys auf die Polizei!

    Basu blieb immer realistisch und zugleich zuversichtlich. Indem wir bei Polizeigewalt einschreiten und filmen, werden wir das System nicht gleich kippen. Jedoch war Basu davon überzeugt, „dass jede kleine Konfrontation, bei der die Polizei sich rechtfertigen und sich mit den Betroffenen auseinandersetzen muss, ein Schritt in die richtige Richtung ist“, erinnert sich eine Mitstreiterin Basus.

    Am Ende der Veranstaltung sagt eine Aktivistin: „Natürlich könnt ihr am besten die Risiken einschätzen, die eine Konfrontation mit der Polizei für euch hat.“ Diese seien für Menschen mit EU-Pass und „weiße Menschen“ geringer. Generell lautet die Botschaft: „Wenn ihr ein Verbrechen seht, dann greift ein. Dann ist es nicht die wichtigste Frage, ob das Filmen nun legal ist oder nicht. Sondern dass wir es nicht hinnehmen, wenn die Polizei uns brutal angreift“.

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    • Juristin aus Berlin. Schwerpunkte: Repression und Polizeigewalt.

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