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Freitag, April 26, 2024
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    Berliner Gericht verurteilt erneut Opfer von Polizeigewalt

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    Als A. im Mai 2021 einer Kundgebung gegen die Gewalt in Palästina beiwohnt, rückt ein Polizeitrupp an. Ein Video zeigt, wie die Polizist:innen in Vollmontur direkt auf ihn zukommen und auf ihn einschlagen. A. erleidet mehrere Rippenbrüche. Am 17.10. stand er dafür vor Gericht – nicht etwa die Polizist:innen. Wir haben den Gerichtsprozess verfolgt und mit A. geredet. – Es berichtet Ahmad Al-Balah.

    A. ist in Syrien in einem Flüchtlingslager für Palästinenser:innen aufgewachsen, laut seinem Pass gilt er als „staatenlos“. Er kam vor sieben Jahren kurz nach Beginn des Syrien-Kriegs nach Deutschland, lebt und studierte hier. Als er einer Kundgebung für die Rechte der Palästinenser:innen im Mai 2021 beiwohnt, wird er dort – wie andere Demonstrierende – ohne ersichtlichen Grund von der Polizei angegriffen. Von Seiten der Polizei heißt es, die Corona-Auflagen seien ausschlaggebend gewesen.

    Ein unveröffentlichtes Video einer beistehenden Person zeigt, wie die Beamt:innen gewaltsam in die friedliche Kundgebung eindringen. Dabei wird A. von Polizist:innen erst mehrmals geschubst und schließlich zu Boden gestoßen, wodurch er, wie er später berichtet, starke Schmerzen erleidet. Später erkennt A. einen der Polizisten wieder, will ihn zu Rede stellen und macht eine Bewegung mit der linken Hand in seine Richtung – aus Wut über dessen Behandlung, so A.

    Eine weitere halbe Stunde später greifen ihn Polizist:innen gewaltsam an und drängen ihn zu Boden. Bei der Gerichtsverhandlung sagen die Polizist:innen aus, sie hätten ihn über Videoaufnahmen identifiziert. Sie wendeten laut Aussage einen sogenannten „Kopfkontrollgriff“ an. A. habe sich dagegen gewehrt, zum Teil heftig. A. betont, er habe einfach versucht, sich aus dem Griff zu befreien, da er Schmerzen hatte und keine Luft bekam. Die Polizistin hätten ihn danach weggetragen, gegen ein Auto gedrückt, rassistisch beleidigt und bedroht.

    Angedrohte Abschiebung, kein Studienplatz und Aufruf zum Verrat

    Kurz nach dem Vorfall erhält A. einen Brief von der Polizei. Die Anklage lautet: „tätlicher Angriff gegen Vollstreckungsbeamte“ und „Widersetzung der Staatsgewalt“. Ihm wird mit Abschiebung gedroht, da er „die Ordnung der BRD gefährdet“. Und die Behörde wird noch expliziter: „Zugleich verfolgt die Ausweisung den Zweck, andere Ausländer vor vergleichbarem rechtswidrigem Verhalten abzuschrecken.“ Dabei war das Einzige, was A. getan hat, eine Kundgebung für die Freiheit der Palästinenser:innen zu besuchen.

    A. studierte zum damaligen Zeitpunkt in einem speziell für Geflüchtete angebotenen Programm. Nach der Anklage und dem Abschiebebescheid, so berichtet A. im Gespräch, entschied seine Universität, ihn – aus bis heute unerfindlichen Gründen, ohne jedwede Begründung – nicht weiter in ein reguläres Studium aufzunehmen. Mehrere Male habe er nach einem Grund gefragt – ohne Ergebnis.

    Noch zwielichtiger erscheint in diesem Zusammenhang ein Angebot, dass A. in einer Nachricht von einem unbekannten Profil über Social Media kurze Zeit nach dem abgewiesenem Immatrikulationsantrag erhielt. Wie er im Gespräch erzählt, wurde ihm in der Nachricht angeboten, im Austausch gegen ‘gewisse Informationen’ weiter studieren und in Deutschland bleiben zu können. Zudem sei ihm finanzielle Unterstützung in Aussicht gestellt worden. Dafür hätte er nur heimlich einige Videos von politischen Aktivist:innen aufnehmen und sie dieser Person weiterleiten müssen. A. entschied sich dagegen.

    Im Gespräch unterstreicht A., dass er Deutschland lieber verlassen würde, als seine politische Überzeugungen und Mitstreiter:innen zu verraten. A. vermutet, dass das Angebot von einem Geheimdienst ausging. Die Praxis, durch derartige Erpressung Informationen zu gewinnen, sei unter Migrant:innen durchaus bekannt, so A.. Auch die Ablehnung des Immatrikulationsantrags durch die staatliche Universität erscheint A. damit im Zusammenhang zu stehen.

    Das Urteil: Die Polizei kommt mit allem durch

    Vor Gericht zeigte sich, dass die Schilderungen des Angeklagten A. – dem eigentlichen Opfer der Staatsgewalt – wenig Gewicht hatten, auch, weil es kaum Zeug:innen und Beweismaterial gab. Im Gegensatz dazu traten drei Polizist:innen als Zeug:innen auf und wiederholten unisono die Erzählung eines von A. ausgehenden Angriffs. Sie behaupteten ein schweres Zuwehrsetzen von A. bei der Festnahme. Das Videomaterial gäbe – laut Richterin – nichts her, was den Fall zugunsten irgendeiner Seite entscheiden würde – also glaubte sie den Polizist:innen.

    Dass sich die Aussagen der Polizist:innen teils in einigen Details widersprachen, wurde nicht als Ungereimtheit, sondern als besondere Authentizität der Aussagen gewertet: Es sei verständlich, dass man sich nicht so genau erinnere, was vor 1,5 Jahren passierte. Die Richterin zog aus den unterschiedlichen Aussagen gar den Schluss, dass sich die Polizisten unmöglich hätten absprechen können. Daran ändere auch nicht, dass der „betroffene“ Polizist nicht mehr sagen konnte, was für eine Art von Schlag oder wo ihn A. getroffen haben soll. Der Angeklagte bzw. das Opfer der Polizeigewalt wurde schließlich zu einer – laut Staatsanwaltschaft „leichten“ – Strafe von 110 Tagessätzen zu je 30€ verurteilt.

    A. empfindet das Urteil, das fast eins-zu-eins auf Aussagen der Polizei beruht, „einfach nur ungerecht“. Im Gericht sei ihm komisch zumute gewesen. Er habe das Gefühl gehabt, dass alle gegen ihn seien, „sogar die Richterin“. Die drei Polizist:innen hätten ihn die ganze Zeit über angeschaut und gelacht. Eine richtige „Nazi-Situation“ sei das gewesen. A. gibt sich trotz diesem Urteil weiter kämpferisch: Er akzeptiere das Urteil natürlich nicht und werde sich davon „nicht den Mund verbieten lassen“.

    Tatsächlich gehen staatliche Behörden momentan besonders hart gegen pro-palästinensische Demonstrierende vor. Während der Demonstrationen und Kundgebungen zur Unterstützung des palästinensichen Befreiungskampfs im Mai 2021 sind immer wieder Fälle von Racial Profiling und Polizeibrutalität dokumentiert worden. Nach der Verurteilung eines weiteren Teilnehmers einer Demonstration mit Palästina-Bezug im Mai 2021 vor wenigen Wochen ist die Verurteilung von A. nun ein weiterer aktueller Fall von gezielter Täter-Opfer-Umkehr vor Gericht. Wie er deutlich zeigt, scheinen Polizei und Staat ihre Maßnahmen gegen Protestierende ganz gezielt einzusetzen, um größere Teile der Bevölkerung vom Demonstrieren abzuhalten.

    Schädel-Bruch nach Polizeiangriff – doch verurteilt wird der Demonstrant

    • Ahmad Al-Balah ist Perspektive-Autor seit 2022. Er lebt und schreibt von Berlin aus. Dort arbeitet Ahmad bei einer NGO, hier schreibt er zu Antifaschismus, den Hintergründen von Imperialismus und dem Klassenkampf in Deutschland. Ahmad gilt in Berlin als Fußballtalent - über die Kreisliga ging’s jedoch nie hinaus.

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