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Montag, April 29, 2024
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    Mörder statt Helfer – die Polizei tötet zwei Menschen innerhalb einer Woche

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    Innerhalb einer Woche wurden zwei Menschen bei Polizeieinsätzen im Zusammenhang mit psychischen Ausnahmesituationen getötet. – Ein Kommentar von Olga Goldman.

    Einsätze der Polizei in psychischen Extremsituationen enden immer wieder tödlich. Während es die Aufgabe der Polizei sein sollte, solche Lagen auch ohne Gewalt zu lösen, greift sie nicht selten zur äußersten Gewalt – scheinbar nach dem Motto: besser Kontrolle statt Deeskalation und Kommunikation.

    Die Tatorte der letzten Woche

    Am Ostersamstag wurde in Nienburg, zwischen Hannover und Bremen gelegen, der 46-jährige Lamin Touray aus Gambia von der Polizei in einem Kugelfeuer von 8 Schüssen schlicht ermordet, nachdem er ihnen mit einem Messer in der Hand entgegengetreten war. Freunde des Ermordeten hatten den Notruf alarmiert, da sie sich Sorgen im Touray gemacht hatten. Er hatte sich seit Tagen in einem psychisch labilen Zustand befunden. Ein Video des Vorfalls zeigt, wie Touray nach den ersten sieben Schüssen kollabiert und zu Boden geht. Nach wenigen Sekunden folgt der finale Schuss.

    Wie die Tagesschau berichtet, trafen Touray laut Obduktionsbericht zwei der acht Schüsse tödlich. 14 Polizeibeamt:innen waren an dem Einsatz beteiligt. Gegen sie wird nun wegen Totschlags und gefährlicher Körperverletzung ermittelt. Dafür zuständig sind das angrenzende Polizeirevier und die Staatsanwaltschaft Verden.

    Nur wenige Tage danach, am vergangenen Mittwoch 03.04., wurde ein 52-jähriger Obdachloser nahe der Dortmunder Reinoldikirche von der Polizei beschossen und verstarb kurz darauf im Krankenhaus. Die Polizei wurde alarmiert, nachdem der Mann einen anderen Obdachlosen mit einer Eisenstange bedroht hatte. Als sie eintraf, richtete der Mann die Stange auf die Polizei. Auch zu diesem Einsatz liegen Videos von Zeug:innen vor, die Fragen zur Vorgehensweise der Polizei aufwerfen.

    Strukturelles Problem statt Einzelfall

    Die Ereignisse der vergangenen Tage zeigen einmal mehr: die Polizei ist weder Freund noch Helfer. Es geht einzig und allein um Kontrolle. Statt auf die aggressive Person einzugehen und mithilfe von Kommunikation zur Deeskalation beizutragen, wird herum gebrüllt und schnell zur Waffe gegriffen. Gegenüber der Tagesschau sagte der Polizeiwissenschaftler Thomas Feltes, dass drei Viertel der Menschen, die in den letzten Jahren durch Polizeikugeln starben, psychisch krank gewesen seien. Ermittlungen enden oft im Archiv, mit der Begründung, dass die Polizei keine andere Wahl gehabt habe, als zu schießen.

    Das Verhalten der Polizei wird von den Beamt:innen selbst meist mit Gefahrenabwehr begründet. Doch sieht man nicht schneller dann eine Gefahr, wenn man mit der aktuellen Lage aufgrund individueller Vorurteile und Ängste überfordert ist? Mangelnde Schulungen und Ressourcen im Umgang mit psychisch Kranken spielen ebenso eine Rolle. Der Kriminologe Tobias Singelnstein kritisierte in der taz schon im April letzten Jahres, dass die Ausbildung von Polizist:innen psychische Ausnahmesituationen nur oberflächlich behandle. Es sei demnach unrealistisch, von ihnen zu erwarten, dass sie solche Situationen vollständig und richtig einschätzen könnten. Sie könnten keine psychologischen Fachkräfte ersetzen.

    Singelnsteins Einschätzung wirft die Frage auf: Warum hat sich daran bislang nichts geändert? Wie viele Menschen müssen noch sterben, bis das Leben eines psychisch Kranken, zudem eines Menschen mit Migrationshintergrund als schützenswert anerkannt wird? Trotz alledem soll der Polizei durch neue Gesetzesentwürfe und Reformen noch mehr Macht anvertraut werden. Die Fälle aus der vergangenen Woche, den vergangenen Jahren zeigen deutlich: Die Polizei hat ein strukturelles Problem und ist keine Antwort auf die Herausforderungen unserer Zeit. 

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