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Montag, September 9, 2024
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    Mobbing bis zur Kündigung – „Ich hatte ein Team, das sich dagegen gewehrt hat”

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    Schikane vom Chef, Lästerkultur und gezielte Spaltung in der Kolleg:innenschaft – für viele ist das Alltag am Arbeitsplatz. Im Interview mit Perspektive berichtet die Erzieherin Emmely K.* über ihre Erfahrungen in einer Dresdner Kindertagesstätte – und was sich verändern muss.

    Wie waren denn deine bisherigen Erfahrungen, im Bildungs- und Erziehungsbereich zu arbeiten?

    Ich habe den Beruf als Krippenerzieherin gelernt und diesen seit 1984 ausgeführt und war in einer Kinderkrippe eingesetzt. Die beiden Einrichtungen, in denen ich ganz am Anfang gearbeitet habe und die zusammen in einem Haus waren, schlossen sich nach der Wende zusammen. Das waren alles gute Erfahrungen, die ich da gemacht habe. Ich bin mit Kindern aus der Krippe in den Kindergarten mitgegangen und hab diese, bis sie in die Schule gegangen sind, betreut. Wir waren ein sehr gutes Team, haben zusammengehalten, und es war ein sehr angenehmes Arbeiten.

    2005 bin ich dann aufgrund von Umbauten in eine neue Einrichtung in Dresden gekommen. Meine Chefin dort war immer für ihre Mitarbeiter:innen da und hat immer gesehen, dass wir ein Team und nur so gut sind, wie das gesamte Team. In dieser Zeit hatte ich also sehr gute Erfahrungen mit meinem Beruf als Erzieherin gemacht und auch immer großen Spaß an meiner Arbeit und freute mich, meine Leidenschaft mit Kindern arbeiten zu können, ausleben zu dürfen.

    Deine kommenden Erfahrungen waren Mobbing, Verbreitung von Lügen, Betriebswechsel als Disziplinarmaßnahm, gezielte Spaltung unter Kolleg:innen. Das klingt ja erst einmal sehr krass. Kannst du uns vielleicht erzählen, wie es zu dieser Situation gekommen ist?

    2020 ging unsere alte Chefin in Rente, da bekamen wir eine neue Leiterin. Das war leider eine Katastrophe und ab da begann das ganze Chaos. Wir sahen die Leiterin so gut wie nie, sie war nur im Büro, sie hatte keine Ahnung, wie wir gearbeitet haben. Wir bekamen immer wieder neue Anordnungen, auch direkt von unserem neuen Träger. Zum Beispiel durften keine Geburtstage mehr gefeiert werden, Feiern als solche wie zu Weihnachten oder Sommerfeste wurden abgeschafft. Der Schwimmkurs wurde ebenfalls verboten.

    Vom Träger haben wir dann die Aufgabe bekommen, uns Gedanken darüber zu machen, wie wir einen Schwimmkurs ersetzen könnten. Ältere Kolleg:innen haben immer Früh- oder Spätdienste, Freund:innen der Chefin haben hingegen immer ihre Wunschdienste bekommen. Und all diese Maßnahmen wurden von unserer Einrichtungsleiterin auch brav umgesetzt, ohne auch nur einmal mit uns Mitarbeiter:innen darüber zu diskutieren.

    “Zum Beispiel durften keine Geburtstage mehr gefeiert werden.”

    Es uferte dann darin aus, dass eine Kollegin regelrecht aus dem Betrieb gemobbt wurde. Mit fadenscheinigen Erklärungen wurde sie aus ihrer bisherigen Gruppe entfernt und als Springerin eingesetzt. Viele Kolleg:innen – unter anderem auch ich – standen hinter ihr und verteidigten sie. Daraufhin folgten mehrere Einzelgespräche mit der Leiterin. Diese Kollegin hat sich schlussendlich dann dazu entschieden zu kündigen.

    Letztes Jahr, drei Tage vor Weihnachten, wurde ich dann ins Büro gerufen und mir wurde gesagt, dass ich nach den Weihnachtsferien in eine andere Kita zu gehen habe. Auf meine Nachfrage „warum?””, wurde mir vorgeworfen, ich würde Unfrieden stiften. Ich habe mich dann dazu entschieden, meinen alten Arbeitsvertrag zu kündigen und habe die Versetzung angenommen.

    Nach nur kurzer Zeit habe ich dort dann aber einen Zusammenbruch aufgrund des immensen Stress erlitten, der mit der Versetzung, den konstanten Auseinandersetzungen in meiner alten Einrichtung und dem Aufstacheln meiner Kolleg:innen gegen mich einherging. Daraufhin war ich dann auch für sechs Monate krankgeschrieben.

    Nach deiner Kündigung hast du dich nochmal bei einer anderen Kindertagesstätte von einem neuen Träger beworben. Wie war die Situation dort?

    Genau, ich hatte mich dann für eine neue Einrichtung beworben. Dort wurde ich auch sehr freundlich empfangen, hatte nach meiner Pause wieder neue Kraft geschöpft und war wieder enthusiastisch, Sachen in Angriff zu nehmen. Nach einem halben Jahr beobachtete ich aber ähnliche Entwicklungen wie zuvor, die mich beunruhigten. In Gesprächen mit meinen Kolleg:innen stellte sich zum Beispiel heraus, dass eine Kollegin vor mir vor einigen Monaten ebenfalls bis zur Kündigung gemobbt wurde.

    Meine neue Einrichtung wollte zu einer integrativen Kindertagesstätte werden. Ich selbst habe schon lange mit Kindern mit besonderem Förderungsbedarf gearbeitet und besitze dafür auch eine heilpädagogische Zusatzqualifizierung. Als ich dann Kritik an der Umsetzung eines Förderplan-Gesprächs in der Diskussion mit zwei Kolleg:innen übte, wurde mir von der Leitung vorgeworfen, ich hätte den Datenschutz damit verletzt. Das ist aber vollkommener Schwachsinn, weil die Erzieher:innen in einer Kita über solche Gespräche Bescheid wissen müssen.

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    Als ich dann Vorschläge machte, Kinder, die während der Mittagszeit wirklich permanent nicht schlafen konnten, mal ein Buch oder TipToy zur Beschäftigung mitzugeben, wurde mir von der Chefin unterstellt, ich würde die Arbeit kleinreden und runtermachen. Bei meinen Kindern musste ich mich dann entschuldigen, dass ich ihnen keine Bücher in der Mittagspause mehr geben dürfte. Später habe ich aber erfahren, dass in anderen Gruppen sowas ohne Tadel von der Leitung praktiziert werden kann – nur bei mir halt nicht.

    Daraufhin habe ich ein Gespräch mit der Leitung gefordert, bei welchem auch die Vorsitzende des Vereins und meine beiden Gruppen-Mitarbeiter:innen anwesend waren. In diesem Gespräch hat man mir vorgeworfen, dass ich mich über Anweisungen der Leitung hinweggesetzt, den Datenschutz verletzt hätte und mein Verhalten eine Unverschämtheit sei. Auf meine Belange – zum Beispiel, dass der Lärm in unserem Trakt enorm ist oder mit Eltern keine Elterngespräche geführt werden – wurde in dem Gespräch in keiner Weise eingegangen.

    Der Grund, warum ich mich über so viele Sachen aufregen würde, wäre ohnehin der, dass ich keinen Partner an meiner Seite und dadurch zu wenig Reibungspunkte in meinem Leben hätte. Direkt danach sagte man mir klipp und klar: Entweder ich würde mich zusammenreißen oder „einer müsste gehen“, womit ich natürlich gemeint war.

    Drei Wochen später erfolgte ein erneutes Gespräch mit der Leitung. Dort wurde ich dazu aufgefordert, einen Aufhebungsvertrag zu unterschreiben. Dem widersprach ich und verlangte, dass man mich kündige, da es aufgrund von sinkenden Kinderzahlen in Sachsen aktuell sehr schwierig ist, einen Job zu finden. Meine Chefin schaute mich danach etwas verdutzt an, sie könne mich gar nicht kündigen, weil sie gar keinen wirklichen Kündigungsgrund angeben könnte.

    Bis zum offiziellen Ende meines Arbeitsverhältnisses verstrichen noch einige Wochen. In diesen Wochen wurde mir Gerede von anderen Kolleg:innen zugetragen. Es wurde versucht, meine Kolleg:innen gegen mich aufzuhetzen. Angeblich würde ich „zwei Gesichter“ haben, hätte gegen die Konzeption verstoßen und wäre dominant und gleichgültig in dem Gespräch aufgetreten, da ich nicht geweint hätte.

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    Wie bist du mit dieser Schikane umgegangen und konntest du wenigstens Rückhalt unter deinen Kolleg:innen erfahren?

    Das Gute war, dass ich ein Team hatte, die alle – zum ersten Mal – sich dagegen gewehrt haben. Sie beschwerten sich über den Umgang der Leitung mit mir und hinterfragten den Grund, warum ausgerechnet ich aus dem Team entlassen werde. Ich habe von allen so viel Rückhalt erfahren und positive Sachen gesagt bekommen. Das war sehr bestärkend.

    Letztendlich hat mich die Situation trotzdem zu einer Entscheidung gedrängt: Klappe halten und Geld verdienen oder mich der Schikane entziehen und die Einrichtung verlassen. Ich habe mich schlussendlich für letzteres entschieden.

    “Das Gute war, dass ich ein Team hatte, die sich dagegen gewehrt haben.”

    Was muss deiner Meinung nach geschehen, um so etwas zu verhindern? Welche anderen Probleme siehst du vielleicht noch?

    Ich habe jetzt fast 40 Jahre durchweg in diesem Beruf gearbeitet und sehe schon viele Sachen kritisch. Ich hatte sehr viel Glück, fast 16 Jahre mit einer Chefin zu arbeiten, die das Wohl ihrer Mitarbeiter:innen im Sinn hatte und auf Augenhöhe mit uns gemeinsam diskutierte und arbeitete.

    Was ich für besonders wichtig halte, ist die Möglichkeit, am Arbeitsplatz Probleme und Kritiken offen äußern zu können und einfach auf Augenhöhe mit meinen Kolleg:innen und der Leitung zu arbeiten. Also auch ein demokratisches Mitbestimmungsrecht zu haben, was in der Kita abgeht, in welche Richtung sich Dinge entwickeln und dass das einem nicht so vor die Füße geworfen wird.

    Aber auch Weiterbildungen, gerade wenn man mit Kindern zusammenarbeitet, sind äußerst notwendig, um eben nicht auf einem veralteten Stand stehen zu bleiben. Dass man Raum für Neues lässt, Dinge ausprobiert und den Umgang, die Partizipation und das Bild von Kindern eben immer wieder neu erfinden und an neue Gegebenheiten anpassen muss.

    Was mir auch immer wieder aufgefallen ist: in den freien Trägerschaften gibt es keinen Personalrat. In meinen vorherigen Einrichtungen habe ich auch immer wieder davon mitbekommen, wie Initiativen für eine Personalratsgründung aus der Kolleg:innenschaft abgewürgt und diese Kolleg:innen systematisch von der Leitung bis zur Kündigung oder völligen Unterwerfung getrieben wurden.

    Man kann den Leuten eigentlich immer nur wieder sagen: Tut’s, macht euch stark, gründet Personalräte zum Schutz von uns Arbeiter:innen.

    *Name geändert.

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