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Freitag, September 13, 2024
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    Europäische Faschist:innen formieren sich neu

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    AfD, Meloni, Orban, Le Pen – nach der Europawahl haben sich Teile der europäischen Ultrarechten und Faschist:innen in neuen Bündnissen zusammengeschlossen. Dabei geht es nur vordergründig um die Frage, wie gemäßigt oder radikal die Parteien sich öffentlich geben wollen. Vielmehr steht hinter den neuen Bündnissen knallharte Geostrategie.

    Nur nicht gemeinsam im Bistro gesehen werden! Im Februar traf die AfD-Vorsitzende Alice Weidel die Galionsfigur der französischen Rechten, Marine Le Pen (Rassemblement National), in einem Pariser Restaurant. Letztere legte offenbar Wert darauf, das Lokal nicht gemeinsam mit Weidel zu verlassen. Ein Foto mit der AfD-Chefin konnte sie im anstehenden Europawahlkampf nicht gebrauchen.

    Die AfD war kurz zuvor durch Recherchen der Medienplattform Correctiv in Bedrängnis geraten: Bei einem Treffen in Potsdam im November 2023 hatten AfD-Mitglieder zusammen mit Personen aus CDU, Werteunion und der Identitären Bewegung unter anderem über die „Remigration” von Migrant:innen diskutiert. Hunderttausende Menschen in Deutschland beantworteten die Enthüllung mit Massenprotesten, wie sie das Land seit Jahren nicht gesehen hatte.

    Le Pens Partei Rassemblement National (RN) hingegen hatte versucht, sich im Wahlkampf ein bürgerlich-gemäßigtes Image zuzulegen. Unter dem Parteivorsitzenden Jordan Bardella, der ebenfalls an dem Essen mit Weidel teilnahm, holte der RN Anfang Juni tatsächlich ein Rekordergebnis und wurde bei der Europawahl stärkste Kraft in Frankreich. Die AfD war auf Betreiben Le Pens kurz zuvor noch aus der gemeinsamen Fraktion im EU-Parlament ausgeschlossen worden, nachdem sich ihr Spitzenkandidat Maximilian Krah wohlwollend über die SS geäußert hatte.

    Geht es nur um Taktik?

    Eine Auseinandersetzung auf rein taktischer Ebene, könnte man meinen. Denn Marine Le Pen, Tochter des langjährigen französischen Vorzeige-Faschisten und Antisemiten Jean-Marie Le Pen, dürfte man ihre Läuterung zur gemäßigten Konservativen ebenso wenig abnehmen wie Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni.

    Letztere behauptete nach ihrer Wahl 2022 schamlos, sie habe noch nie Sympathien für die faschistische Diktatur unter Benito Mussolini gehegt – obwohl sie noch im Wahlkampf dessen Slogan „Gott, Familie und Vaterland“ verwendet hatte, und die Flamme der Mussolini-Faschist:innen bis heute das Symbol ihrer Partei Fratelli d’Italia bildet. Le Pen wiederum benannte die von ihrem Vater gegründete Partei Front National um und schloss den Patriarchen aus ihren Reihen aus, als dieser sich der neuen Tonlage nicht fügen wollte.

    Inhaltlich stehen beide Parteien weiterhin für einen autoritären Umbau des Staats, für Angriffe auf die Arbeiter:innenklasse, die Abwehr und Entrechtung von Migrant:innen sowie eine frauen- und LGBTI+-feindliche Politik. Sie unterscheiden sich damit im Wesen nicht von der AfD: Diese tritt jedoch immer radikaler auf, während Vorgenannte ihre faschistische Linie lieber hinter einem sorgsam inszenierten gutbürgerlichen Image verbergen.

    Die geostrategische Ausrichtung der Faschist:innen

    Trotzdem geht es bei den Auseinandersetzungen innerhalb der europäischen Rechten um deutlich mehr als nur die Frage des Auftretens. Dies wurde spätestens beim AfD-Parteitag Ende Juni wieder deutlich, als die Partei über ihre außenpolitische Ausrichtung diskutierte. Bei der Debatte über die künftige deutsche Politik gegenüber Russland und China und die Transformation der EU zu einem „Bund europäischer Nationen“ ging es um nicht mehr und nicht weniger als den Entwurf einer neuen deutschen Geostrategie.

    Die AfD tritt für eine Abkehr von der transatlantischen Bündnispolitik ein, die der deutsche Imperialismus seit 1945 gewählt hatte. Statt der Anlehnung an die USA und des Interessenausgleichs mit Frankreich im Rahmen der EU will sie Deutschland aggressiv zur Führungsmacht über Mitteleuropa entwickeln, die sich im Bündnis mit einer anderen Großmacht wie Russland oder China langfristig die Kontrolle über den Superkontinent Eurasien teilt.

    Diese geostrategische Ausrichtung ist kein Alleinstellungsmerkmal der deutschen Faschist:innen, sondern sie ist so alt wie der deutsche Imperialismus selbst und auch in den anderen bürgerlichen Parteien und Kapitalkreisen verankert – wenn auch als Minderheitenposition.

    Und genau hier liegt der inhaltliche Unterschied der AfD zu Le Pen und Meloni, die beide inzwischen auf eine transatlantische Ausrichtung umgeschwenkt sind. Dies hat Götz Kubitschek, ein AfD-naher Ideologe, zutreffend dargelegt: Angesichts des AfD-Ausschlusses aus der ID-Fraktion im Europaparlament schrieb er in seiner Zeitschrift Sezession, dass der Ausschluss „auf Betreiben Marine Le Pens“ erfolgt und „eine Entscheidung für ein transatlantisches und gegen ein mitteleuropäisches Europa-Konzept“ sei.

    Le Pen sei in den vergangenen Monaten „unter immensen Druck gesetzt“ worden, nun habe sie sich für eine neue konservative Großfraktion als „US-amerikanischen Ableger“ entschieden. Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán, der eng mit der amerikanischen Rechten verbunden sei, fungiere als deren Strippenzieher in Europa und arbeite gegen eine Politik der Eigenständigkeit und Unabhängigkeit „zwischen den Blöcken“.

    Neue Fraktionen im EU-Parlament

    Tatsächlich haben sich die europäischen Rechtsparteien nach der Europawahl in neuen Bündnissen zusammengeschlossen. Die von Viktor Orbán Anfang Juli initiierte Fraktion Patrioten für Europa umfasst unter anderem die ungarische Fidesz-Partei, Le Pens RN, die österreichische FPÖ und die italienische Lega, sie bildet inzwischen die drittstärkste Fraktion im EU-Parlament. Melonis Fratelli verbleiben mit der polnischen PiS und anderen Parteien bei den Europäischen Konservativen und Reformern.

    Die AfD bildet zusammen mit kleineren Parteien die Fraktion Europa souveräner Nationen und ist damit innerhalb der europäischen Rechten relativ isoliert: Ein Ausdruck davon, dass die US-orientierten Rechten neue Bündnispartner gewinnen konnten.

    Womöglich sind Le Pen, Meloni und ihre Partner zu dem Ergebnis gekommen, dass die Abkehr von der transatlantischen Außenpolitik und die Annäherung europäischer Staaten an Russland unter den heutigen Bedingungen vor allem der deutschen Geostrategie nützen würde.

    Oder sie haben sich strategisch dazu entschieden, im Windschatten der USA zu segeln, um ungestört ihre eigene Agenda voranzutreiben und zu wachsen. Die strategischen Differenzen zwischen Europas Rechten können aber über eines nicht hinwegtäuschen: Alle ihre Flügel sind in den letzten Jahren erheblich erstarkt.

    Dieser Text ist in der Print-Ausgabe Nr. 89 vom August 2024 unserer Zeitung erschienen. In Gänze ist die Ausgabe hier zu finden.

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