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Donnerstag, September 12, 2024
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    Lehrkräftemangel steigt stetig – jede zehnte Lehrkraft ist Quer- oder Seiteneinsteiger:in

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    Zu Beginn des neuen Schuljahrs fehlen in Deutschland tausende Lehrer:innen. Angesichts des Lehrkräftemangels werden mehr Quer- und Seiteneinsteiger:innen denn je eingestellt. Die Zahl der Studienanfänger:innen für das Lehramt nimmt unterdessen weiter ab.

    Nach dem Sommer fehlen an vielen deutschen Schulen Lehrkräfte. Im Vergleich zum letzten Jahr hat sich die Lage in manchen Bundesländern sogar noch verschlimmert: So sind in Thüringen bei Schuljahresbeginn mehr als 900 Stellen offen. Auch in Niedersachsen können nur rund 80 Prozent der ausgeschriebenen Stellen besetzt werden. Die Prognose der Kultusministerkonferenz (KMK) offenbart, dass der Lehrer:innenmangel wohl auch in den kommenden Jahren ein Problem bleiben wird.

    Die Unterbesetzung führt dazu, dass Quer- oder Seiteneinsteiger:innen einen immer größeren Anteil der Lehrkräfte ausmachen. In einer Mitteilung des Statistischen Bundesamts zeigt sich, dass im Schuljahr 2022/23 fast 10 Prozent der Lehrerinnen und Lehrer an allgemeinbildenden Schulen zu diesen zählten. An den beruflichen Schulen liegt der Anteil sogar bei 20 Prozent.

    Als Quereinsteiger:innen werden dabei Lehrkräfte bezeichnet, die zwar nicht unbedingt Lehramt studiert, allerdings ein Referendariat gemacht haben. Seiteneinsteiger:innen sind Lehrpersonen, die weder über ein Lehramtsstudium noch über ein Referendariat verfügen.

    In den letzten zehn Jahren hat sich die Anzahl der Lehrer:innen ohne Lehramtsstudium somit fast verdoppelt. Unterrichteten im Jahr 2012/2013 noch knapp 37.000 Lehrkräfte dieser Art, so sind es mittlerweile rund 71.000.

    Jeder zweiten Schule fehlen Lehrkräfte

    Bei einer Umfrage des Verbands für Bildung und Erziehung (VBE) im November 2023 gab jede zweite Schulleitung an, dass an ihrer Schule die Lehrkräftestellen zu Beginn des laufenden Schuljahres nicht vollständig besetzt werden konnten. Im Schnitt fehlten den Schulen, die nicht alle Stellen besetzen konnten, rund 11 Prozent der benötigten Lehrer:innen. An 3.500 Schulen fehlten mehr als 15 Prozent.

    Sommerarbeitslosigkeit: Dauerthema für angestellte Lehrer:innen

    Grund- und Förderschulen sind von derartigen Problemen dabei überdurchschnittlich stark betroffen. Zwei Drittel der Schulen gaben außerdem an, dass sie Personen beschäftigen, die keine Lehramtsqualifikation erworben haben. Das sind fast doppelt so viele wie noch vor fünf Jahren.

    Unterdessen bricht die Anzahl der Studienanfänger:innen im Lehramtsbereich weiter ein: Im Studienjahr 2022 begannen knapp 45.400 Menschen ein Lehramtsstudium, das sind 3,2 Prozent weniger als im Studienjahr 2021 – und sogar 7 Prozent weniger als vor zehn Jahren.

    Wird der Lehrkräftemangel anhalten?

    2024 haben sich bereits verschiedene Institute und Gremien mit dem Lehrkräftemangel beschäftigt. Die Bertelsmann Stiftung, das Forschungsinstitut für Bildungs- und Sozialökonomie (FiBS) und die Kultusministerkonferenz (KMK) kommen dabei jeweils zu unterschiedlichen Ergebnissen.

    Die neueste Studie des FiBS erschien Anfang März. Hier wird davon ausgegangen, dass sich der Lehrkräftemangel in den kommenden zehn Jahren bis 2035 weiter verschärfen wird. Zu diesem Zeitpunkt, so prognostiziert die Studie, werden an den allgemeinbildenden Schulen 155.000 bis 177.500 Lehrkräfte fehlen. Sie übersteigt damit die aktuelle Prognose des Kultusministeriums aus Dezember 2023 deutlich, die „nur” mit einem Mangel an 68.000 Lehrkräften gerechnet hatte. Die Abweichung in der FiBS-Studie wird mit aktuelleren Daten zur Bevölkerungsentwicklung begründet.

    Lediglich die Bertelsmann Stiftung geht von einer Verbesserung der Situation aus. Laut ihr soll sich der akute Lehrermangel an Grundschulen bis Mitte des Jahrzehnts umkehren. Sie beruft sich dabei allerdings nur auf rückläufige Geburtszahlen und damit weniger potentielle Schüler:innen, nicht auf einen Anstieg der ausgebildeten Kräfte.

    Kultusministerkonferenz fordert Mehrbelastung

    Der Lehrkräftemangel beschäftigt den Bund schon länger. Im Januar letzten Jahres veröffentlichte die Ständige Wissenschaftliche Kommission der Kultusministerkonferenz (SWK) gemeinsam mit der Kultusministerkonferenz (KMK) eine Stellungnahme zum Umgang mit dem akuten Lehrer:innenmangel. Hier wurden verschiedene Notmaßnahmen vorgeschlagen, die bewusst auf eine Mehrbelastung der bereits vorhandenen Lehrkräfte setzen.

    Das Potenzial qualifizierter Lehrkräfte solle ausgeschöpft werden, indem zum Beispiel die Teilzeitarbeit begrenzt werde. Außerdem sollen Kräfte aus dem Ruhestand eingesetzt werden, um Lehrer:innen von Aufgaben jenseits des Unterrichts zu entlasten. Darüber hinaus wird zu einem flexibleren Umgang mit den Klassengrößen ab der Sekundarstufe I geraten, sowie zu mehr Hybridunterricht (Mischung aus Präsenzunterricht und digitalem Unterricht auch von zuhause aus) und Selbstlernzeiten in höheren Klassenstufen – sowohl Schüler:innen als auch Lehrer:innen sollen also einfach mehr arbeiten.

    Als Reaktion darauf bildete sich unter anderem der Bildungsrat von unten. Die Initiative kritisierte die Notmaßnahmen der SWK, da sie vor allem auf einer Mehrbelastung der Lehrkräfte aufbauten. Sie schlagen unter anderem eine temporäre Kürzung der Stundentafel und eine Reform der Lehrer:innenausbildung vor, um den Mangel zu bekämpfen. Doch auf das System, das all den Problemen des deutschen Bildungswesens zugrunde liegt, geht auch dieser Bildungsrat nicht ein.

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